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Alt 20.01.2009, 09:48
Stefans Stefans ist offline
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Registriert seit: 27.01.2007
Beiträge: 425
Standard AW: An alle Hinterbliebene...

Hallo Mia,

Zitat:
Zitat von Tinuviel Beitrag anzeigen
Woher weiß man denn wann die Endphase beginnt?
Sorry, ich meinte damit: vom Zeitpunkt des "rasselnden" Atems, an dem die Lunge nicht mehr richtig funktioniert, bis zum letzten Atemzug.

Vorher konnte ich bei meiner Frau keine genauen "Phasen" ausmachen. Noch 12 Stunden vor ihrem Tod habe ich nicht geahnt, dass sie so schnell sterben wird (OK, im nachhinein bilde ich mir das manchmal schon ein - aber was daran Legende und was Wirklichkeit ist, kann ich nicht sagen). Erst abends so gegen 8 (gestorben ist sie morgens um 4) war mir klar, dass etwas grundlegend nicht stimmt. Mittags hatte sie noch Besuch von einer Freundin, und die beiden haben miteinander gescherzt! Abends dann konnte sie plötzlich nur noch wenig und kaum verständlich sprechen und schien etwas verwirrt. 8 Stunden später war sie tot. Wäre meine Frau so in der Klinik gestorben, und ich hätte sie Freitag nachmittag noch besucht, um gleich Samstag früh wiederzukommen... ihr Tod hätte mich wie der Blitz aus heiterem Himmel getroffen.

Die Zeit vorher (so die letzten 4 Wochen) war sehr wechselhaft. In der Klinik ging es meiner Frau extrem schlecht. Sie dämmerte meist vor sich hin, nach ein paar Sätzen war sie erschöpft und ist wieder eingeschlafen, alles tat ihr weh, jede Berührung oder Lageänderung war schmerzhaft. Deutlich besser ging es ihr, als sie wusste, dass sie nah Hause kommen kann. Aber da ist schwer zu sagen, ob das nun daran lag, oder an der Umstellung der Medikation auf intravenös. Als sie schmerztherapeutisch gut eingestellt war (großen Dank an diesen Arzt!), ging es ihr natürlich besser. Mit extremen Schmerzen ist kein Mensch mehr ein Mensch.

Morphium-bedingte Veränderungen gab es natürlich auch. Gedächtnislücken, Erinnerungsverlust, Begriffe verwechseln (z.B. Schublade sagen und Jackentasche meinen), Zeitgefühl verlieren. Es war für mich etwas gewöhnungsbedürftig, sie geistig so "neben der Spur" zu sehen, und man musste schon "zwischen den Zeilen lesen", um zu begreifen, um was es ihr geht. Ein Bsp.: als ich zu ihr sagte, sie könne jetzt meinetwegen nach Hause kommen, der Weihnachtsbaum sei gekauft, fragte sie, ob ich auch an Kerzen gedacht hätte. Klar sage ich (hatten wir schon erledigt, bevor sie in die Klinik kam, hatte sie aber vergessen). Auch die blauen? Ja, die blauen. Und wieviele? Na, so 3 Packungen, mindestens 50 Stück. Da wurde sie aufgeregt: 50, das wären viel zu wenig, da könnten wir ja schon am 1. Weihnachtstag keine Kerzen mehr am Weihnachtsbaum anzünden, also 100 müssten es schon sein, mindestens! Klar, also habe ich noch Kerzen gekauft. Das meine ich mit zwischen den Zeilen lesen: es war klar, dass ihre Vorstellung von der Menge der Kerzen irreal war. Aber es war ebenso klar, dass es ihr extrem wichtig ist, dass Weihnachten Zuhause für sie so wird, wie sie es sich wünscht. Halt mit echten Kerzen am Baum, und davon ausreichend.

Als meine Frau am Freitag vor Weihnachten nach Hause kam, da hat sie nochmal völlig aufgedreht. Der Tag war für alle extrem anstrengend, aber als ihre Freundin und ich abends nach 10 todmüde ins Bett wollten, sagte meine Frau, nachdem sie wirklich stundenlang gequasselt hatte (SIE! Die gleiche, die noch eine Woche vorher keine 3 Sätze rausgebracht hat, ohne dabei einzuschlafen, die Besuch nach ein paar Minuten rausgeschickt hat, weil er ihr zu anstrengend war; und die angst hatte, Weihnachten nicht mehr zu erleben!): was, ihr wollt schon gehen? Die Hausärztin, die meine Frau noch nie gesehen hatte (hatte ich organisiert, während meine Frau in der Klinik war; sie hatte ihren Hausarzt früher noch in der Großstadt in der Nähe aus der Zeit vor unserem Umzug hierhin) und die am Freitag Nachmittag da war, hat mich dann gefragt, ob ich sie verschaukeln wollte. Das sei doch wohl nicht die Patientin, die ich ihr beschrieben hätte! Doch, das war sie, nur eine Woche später... Eine Woche früher in der Klinik konnte sie nichtmal ohne fremde Hilfe vom Bett auf den WC-Stuhl rutschen. Als sie mit dem Krankentransport nach Hause kam, ist sie von der Straße über den Hof bis ins Wohnzimmer selbst gegangen - und hat nur unwillig geduldet, dass sie ein Krankenpfleger dabei am Arm stützt. Braucht sie nicht, das macht sie doch immer allein Wie schlecht es ihr in der Zeit davor ging, das hatte sie völlig vergessen (Morphium sei Dank?).

Dann kamen vor Weihnachten noch ihre Schwester, ihr Bruder, ihr Neffe und (am wichtigsten) ihre Mutter zu Besuch. Nicht lange, bis auf ihre Schwester, die hier schon vorher fast Dauergast war. Aber sie waren da, zum Abschied nehmen. Das waren für meine Frau sehr anstrengende Tage, und danach war sie sehr müde. Also haben wir Besuch von Freunden hier vor Ort immer wieder vertagt. Nach Weihnachten, nicht vor Neujahr, nicht nach dem ersten Wochenende im neuen Jahr... das sie dann nicht mehr erlebt hat.

Allerdings hatte ich diese Müdigkeit nie für etwas anderes als für einen "Durchhänger" wegen Überlastung gehalten. Und gedacht, sie braucht einfach viel Ruhe, um wieder zu Kräften zu kommen, bis sie weiteren Besuch haben möchte. Dass meine Frau dann so schnell stirbt, darüber waren alle erstaunt, die sie in der Zeit vor / um Weihnachten noch gesehen hatten.

Ob / inwieweit sie ihren Todeszeitpunkt mit bestimmt hat, bleibt Spekulation. Die Metastasen wuchsen ja schneller, als man gucken konnte. Und dass irgendwann eine Metastase "durchbricht" und lebenswichtige Funktionen beeinträchtigt, war absehbar. Woran meine Frau letztendlich gestorben ist, wissen wir mangels Obduktion nicht. Auch nicht, ob es "medizinisch zwangsläufig" war, dass sie nun genau an diesem Tag / in dieser Woche stirbt.

Finde ich aber auch nicht so wichtig. Wichtig war, dass sie Zuhause sterben konnte, dass sie Weihnachten Zuhause erlebt hat, und dass sie noch von ihrer Familie Abschied nehmen konnte. Wie sie sich das gewünscht hatte. Wieviel sie selbst dazu beitragen konnte, das alles noch zu erleben und dann sehr schnell zu gehen... keine Ahnung. Aber es war gut so, wie es war.

Viele Grüße,
Stefan
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