Mein kleiner Bruder Alexander

[Ute K.]

Alexander,
morgen kommt Mom endlich aus dem Krankenhaus, welch ein Glück. Ich habs bald nicht mehr über mich gebracht, immer wieder dorthin zu gehen, Du weisst schon.... Aber auch bei ihr kamen natürlich alle Erinnerungen nochmal so heftig hoch, ganz besonders, als sie einmal nach unten zum Röntgen musste, wo wir doch so oft mit Dir waren und uns die Beine vor Angst geschlottert haben. Wir müssen Abstand bekommen, sonst geht es nicht weiter. Die letzten Tage versuche ich krampfhaft, mir die Zeit vor Deiner Erkrankung vorzustellen. Manches fällt mir ein und ich würde fast alles dafür geben, es wäre nochmal so. Was schäme ich mich, wo ich doch damals manchmal dachte, ich hätte Probleme...( oder Du? ). Wie nichtig und klein sind die aus heutiger Sicht. Aber das ist eines der guten Seiten, man bekommt eine andere Sichtweise und eine andere Wertschätzung für die Dinge des Lebens.
Die letzten Tage konnte ich sogar wieder Scherze machen, nur wenn ich Dich besuche, lasse ich meinen Gefühlen freien Lauf und das ist die Zeit, die wir beide ganz bewusst füreinander haben. Das brauche ich. Heute abend höre ich seit langem mal wieder U2, war ja nie so ganz Dein Ding, aber mein Herz geht dabei immer auf, liebe die halt, aber Dich noch millionenmal mehr. Mein Bruder
Vermisse Dich.
Bin heute abend so sentimental, das hast Du immer gehasst... sorry
Deine sista ( und jetzt vorm schlafen höre ich nochmal ganz laut where the streets have no name...)

[Ute K.]

Alexander,
bin eben nach Hause gekommen und denke wieder an Dich.... Jetzt, wo alles still ist, muss ich soviel an Dich denken, ach sch... Du fehlst mir so. Werde ich Dich wirklich niemehr wiedersehen? Du warst doch eben noch da! ich sehe Dich noch in Deinem Schlafanzug und Deinen heissgeliebten Kakao hier bei mir trinken... Ist alles so schwer


Je schöner und voller die Erinnerung, desto schwerer die Trennung. Aber die Dankbarkeit verwandelt die Qual der Erinnerung in eine stille Freude. Man trägt das vergangene Schöne nicht wie einen Stachel, sondern wie ein kostbares Geschenk in sich. Man muss sich hüten, in den Erinnerungen zu wühlen, sich ihnen auszuliefern, wie man auch ein kostbares Geschenk nicht immerfort betrachtet, sondern nur zu besonderen Stunden, und es sonst nur wie einen verborgenen Schatz, dessen man sich gewiss ist, besitzt; dann geht eine dauernde Freude und Kraft von dem Vergangenen aus.

Dietrich Bonhoeffer

Hoffentlich schaffe ich das auch
Deine Ute

[Celestina]

Liebe Ute,
ich weiss genau wie du dich fühlst!mein kleiner bruder Sascha(4) hatte gestern am 18.7.08 seinen 9.Todestag!!!man sagt die zeit halt alle wunden,davon merke ich bis heute noch nichts.Es ist immer noch so schlimm wie am 1.tag für mich.Wir haben lange gekämpft,gehofft und zum schluss doch verloren.
Ich versuche mir immer einzureden ,dass es für ihn im entefekt das beste war.er war schon durch den krebs und gelähmt.zum schluss lag er sogar im Koma.Aber irgendwie muss es immer weiter gehen,auch wenn es sehr weh tut,und schwer fällt.Ich wünsche dir und deiner Familie alles,alles gute und hoffe,dass es euch bald besser geht.Ganz viele liebe grüße,Celestina

[Ute K.]

Hallo Celestina,

vielen Dank für Deine Worte und Wünsche. Ich habe Deine Geschichte gelesen und konnte die Liebe, die Du für Deinen Bruder hast, spüren. Musste fast wieder weinen. Vor allem die schlimmen Bilder und das Leiden tun neben dem eigentlichen Verlust so weh. Es tut mir sehr leid. Aber wie Du sagst, wir müssen kämpfen... Sei ganz lieb umärmelt
Ute

[Ute K.]

Alexander,
4 Monate, ohne Dich zu sehen oder zu sprechen, wie kann das sein? Selbst, als Du in Irland warst, hatten wir ja mehr Kontakt... ehrlich gesagt, wird es nicht viel besser, aber wir versuchen, uns tapfer zu schlagen... Mom will vielleicht in eine Reha, ich wäre natürlich sehr froh, wie Du weisst, aber ob das mal klappt? Am Wochenende fahre ich ja mit C. auf eine Wellness-Tour und eine Woche später nach Leipzig. Ich muss wieder mein Leben leben. Ist nur nicht einfach und kostet immer noch soviel Kraft. Aber ich weiss ja, dass Du das immer wolltest und ich bis zu meinem Ende mit dem Schmerz leben muss. Aber wann wird der denn weniger? Am Sonntag hat Mom gesagt, wie schwer es ihr damals war, als Du nach Irland gingst, so weit weg, aber jetzt ist die Entfernung noch grösser und unendlich und endgültig. Irland war im nachhinein das kleinere Übel. So ändert sich die Perspektive.
Junge, geht es Dir gut? Habe von Dir geträumt, war aber alles sehr unruhig und wirr. Ist das ein Zeichen, dass Du Deine Ruhe noch nicht gefunden hast?
Ich hab Dich sehr lieb
Deine Ute

[Venusberg]

Liebe Ute, liebe Celestina,

mein geliebter kleiner Bruder hat mich vor 15 Jahren hier zurückgelassen und ist in eine hoffentlich schöne und schmerzlose Welt gegangen.
Ich kann Celestina nur recht geben, auch nach 15 Jahren hat die Zeit die Wunden nicht geschlossen.
Ich vermissen meinen kleinen Bruder immer noch sehr und denke oft, mensch' was würde er heute tun. Dieses Jahr wäre er 31 Jahre alt geworden, wäre er verheiratet, hätter er dich zur Tante gemacht usw. usw. Es hört nicht auf.

L.G.
Venusberg

[Ute K.]

Mein Bruder,
heute vor 5 Monaten haben wir das letzte Mal miteinander gesprochen. Ich bin länger als sonst geblieben und als ich gehen wollte, hast Du gesagt," jetzt hast Du aber auch noch 8 Minuten Zeit zum Streicheln"... 5 Minuten waren Dir zu wenig und bei 10 Minuten hattest Du Angst, ich würde nein sagen. So warst Du. Und ich habe mich wieder auf Dein Bett gesetzt und Deinen Arm und Deine Hand gestreichelt und Du meine. Ich hab noch scherzhaft gesagt, hm, morgen ist doch der 15., was war da nochmal? Das Datum kommt mir so bekannt vor, und Du hast gelächelt wie ein kleines Kind. Ach ja, Dein Geburtstag! Ich hab aber kein Geschenk für Dich und Du hast geflüstert: Ute, das ist doch egal. Als ich dann gegangen bin, sollte ich auch das Licht über Deinem Kopfende ausmachen und aber die Türe wie immer auflassen. Sonst sollte das Licht immer anbleiben. Ich sehe Dich noch im Bett liegen, als ich im Türrahmen stand und Dir dreimal tschüss sagte. Am nächsten Tag warst Du schon ganz weit weg, als ich gekommen bin... Bin so froh, das ich so lange bei Dir war, aber die Erinnerung tut mir heute mal wieder ganz besonders weh. Ich kann es einfach noch nicht akzeptieren, dass Du nicht mehr wiederkommst. Seit ein paar Tagen geht es mir auch körperlich nicht so gut, abends habe ich so Herzrasen und meine Beine sind total unruhig. Ach Alexander, es ist so schwer ohne Dich.
Auf der Arbeit gibt es eine schreckliche Neuigkeit, eine junge ganz liebe Kollegin hat letzte Woche eine unheilbare Diagnose erhalten, eine schwere Nervenschädigung, ALS. Wir sind so geschockt und es tut mir so furchtbar leid. Es gibt keine Gerechtigkeit, nicht wahr?
Bin ziemlich down, wie Du merkst, kämpfe aber natürlich weiter. Ich vermisse Dich so sehr, aber dass weisst Du ja schon lange. Hoffentlich hast wenigstens Du eine schöne Zeit, ach Mensch...
Hab Dich lieb Deine Sista

[Ute K.]

Alexander,
leider muss ich Dir sagen,dass es mir im Moment ganz schlecht geht.Am samstag war ich ja auf dem Geburtstag, aber als der jüngere Bruder Ralph samt Kindern vorbeikam, hat mir das so einen Stich versetzt,ich kann das garnicht beschreiben. Ist vom Typ her so wie Du (warst) und ich hab mir plötzlich so leid getan und Du mir erst. Hab dann was getrunken und der Abend war o.k. Aber gestern und heute... ich bin nur am Heulen und das erste Mal richtig wütend und leider auch neidisch. Warum nur alles? Es tut mir so leid, dass Du soviele Schmerzen und Angst hattest und so kämpfen musstest. Ohne Morphium ging doch das letzte Jahr garnichts. So viele Momente kommen wieder hoch, erinnerst Du Dich, wie wir Hand in Hand eingeschlafen sind? Da warst Du glücklich und in Deiner Lunge hat es gebrodelt wie verrückt. Deine Krankheit konnte ich leider nicht mit Dir teilen. Heute ist es mir auch kein Trost, dass es Dir jetzt besser geht...
Keine Angst, Alexander, ich kämpfe weiter, bin ja selbst über mich erschrocken take care Deine Sista