Jeden Tag genießen - wie schafft ihr das?

[Luna1961]

Hallo da draußen,

immer wieder lese und höre ich den Satz:"Ihr müsst jeden Tag genießen!".
Toll. Prima Gedanke. Nur... Heute vor 8 Wochen endete unser relativ unbeschwertes Leben (wir sind 46 und 47 Jahre jung). Mein Mann hat einen Kleinzeller in der Lunge mit Metastasen. Nur noch lebensverlängernde Maßnahmen.
Nach 2 Chemoterminen und einer Kopfbestrahlung kann ich immer noch nicht klar denken. Soll es das schon gewesen sein? Was kommt alles noch auf uns zu? Mache ich alles richtig? Wie fühlt er sich wirklich? Wie lange haben wir noch? Was kommt danach?

Wenn wir es uns leisten könnten, würde ich mit ihm in die Wärme fahren, wochenlang.
Aber da es nicht so ist, gehe ich stundenweise arbeiten und er ist allein zu Hause. Ich habe ein schlechtes Gewissen, ihn allein zu lassen, brauche aber andererseits das Geld, man ist ja nicht Onassis.

Meine Frage: Wie genießt ihr eure Zeit?

LG
Luna1961

[Mae-Geri]

Schwer zu sagen.

Ich glaube es ist das was man bewusster Leben nennt, man wird dankbarer vielleicht auch ein wenig demütig.
Und einen vielleicht kurzen Augenblick des Lächelns, der Zweisamkeit bewusst zu leben ist denke ich das was man auf der anderen Seite als Genuss bezeichnet.


LG
Sandra

[katzesturmi]

gute Frage... unsere Kinder sind zum Glück jeden Tag für einen Lacher gut, der große ist 3,5 und sein Deutsch ist net immer korrekt und der kleine ist 7 Monate und Babys sind ja sowieso ein Sonnenschein.

Ansonsten sind es die kleinen Dinge, ein Morgen mit Sonnenschein, eine Umarmung zwischendurch, ein schöner Film am Abend...
Ich versuche die guten Augenblicke zu nutzen und mich in den schlechten Momentan daran zu erinnern

Wir sind auch noch jung, ich bin 25, mein Mann fast 29 und momentan bekommt er Bestrahlungen wegen einiger Metastasen im Hirn

[Annika0211]

Liebe Luna.
Sei einfach für ihn da, unterhaltet euch. Ihr müsst das beide erstmal verkraften. Vielleicht findet ihr beide auch einen Weg, miteinander offen und ehrlich umzugehen. Oft ist es so, dass der Betroffene nicht darüber reden will und die Angehörigen reden mit ihm einfach "drüber weg".
Das ist natürlich auch ein Weg, wenn man den Betroffenen ablenken will.
Aber denk darüber nach, dass auch du dich damit auseinander setzen musst und dein Mann es damit noch schwerer hat, weil es ihn betrifft.
Mein Papi wollte auch nicht immer drüber reden, so saßen wir täglich zusammen und ich habe von meinem Tag geredet, meine Eltern haben mir erzählt, was so am Tag geschehen ist, wer angerufen hat etc.
Wir haben die Zeit einfach genutzt, beisammen zu sein und uns irgendwas zu erzählen. Mein Papa war für mich der Fels in der Brandung und ich brauchte immer seinen Rat. So hab ich ihn immer an meinem Leben teilhaben lassen, auch als er die letzten Monate nicht mehr so mobil wie früher war.
Mein Bruder hat mit ihm immer Polit-Diskussionen geführt, bei denen sich unsere Mama scheckig lachen konnte. Mein Papa und mein Bruder haben diese Diskussionen geliebt.
Du siehst, es gibt vielfältige Möglichkeiten, die Zeit auf seine Art zu genießen.
Gebt euch das Gefühl, dass ihr euch braucht und dass du für ihn da bist.
Ich glaube, der Zusammenhalt der Familie bzw. mit dem Partner ist für einen Betroffenen superwichtig - der stärkt die Hoffnung und kann manchmal die trüben Gedanken (wenn auch nur vorübergehend) wegwischen.
Ich schicke dir viel, viel Kraft, auch für deinen Mann. Alles erdenklich Gute weiterhin.

[freeskip]

Hallo liebe Luna !

Erst einmal drück ich Dich ganz fest und nun zur Sache. Wie geht man damit um und was ist jeden Tag genießen? ich bin selbst betroffen und das gleich zweimal, einmal Haut und einmal Gehirn und nun seit Weihnachten auch noch meine Frau (gallengang). Während bei mir nach bestrahlung, Chemo und zig-facher Haut-OP nun alles zum Stillstand gekommen ist, kam der Schock mit meiner Frau. bei ihr ist auch nur eine pallative Chemo möglich.
Ich weiß nun beides: 1. als Betroffener nimmt man es nach dem ersten Schock wesentlich gelassener auf und verarbeitet es auch besser, als der Angehörige eines betroffenen. Versuch nur ganz normal mit Deinem mann weiterzuleben und beginnen NICHT mit "übertriebener" Fürsorge. Geh arbeiten und richte, wenn es möglich ist, deine Arbeitszeiten nach seinen Terminen, sodass Du da bist, wenn es ihm schlechter geht.(z.B. nach ambulanter Chemo). Ansonsten genießt einfach die gemeinsame Zeit, nur mal gemeinsam an die frische Luft, gemütliches Kaffetrinken und gemeinsames Frühstück, u.s.w. Es sind die kleinen Dinge, die glücklich machen. Und irgendwann solltet Ihr auch mal über die Zeit danach reden (aber in einem wirklich gutem Augenblick), das hilft auch beiden weiter. So haben wir mal besprochen, welche Behandlungen wir noch zulassen wollen und was auf keinen Fall, wie wir uns unsere Bestattung vorstellen, und was dem Verbleibenden oder den Kindern an Grabpflege wohl zuzumuten wäre. Andermal haben wir darübergesprochen, ob wohl der Bleibende den Rest seines Lebens allein bleiben sollte (oder wollte) oder nicht, u.s.w. und wir haben notarielle Vollmachten und Testamente machen lassen, bis hin auch zu Vollmachten im Sinne von Patientenverfügungen, wenn einer von uns nicht mehr selbst eintscheiden kann. Das alles hat uns sehr geholfen und vorallem von Sorgen befreit, da nun alles geklärt ist sind schon eine Reihe von Sorgen überflüssig und es lässt sich leichter leben. Man stellt sich darauf ein, dass alles endlich ist und ist befreit fürs Leben.
Aber das müsst Ihr alles für Euch auch selbst entscheiden, es gibt kein Patentrezept.
mit lieben Grüßen
freeskip

Wenn der Wind dreht: denkt der Pessimist, alles vorbei, der Optimist wartet auf Änderung, doch der Realist bestimmt den Kurs neu!!!!

[nani1984]

liebe Luna,

jeder genießt seine zeit anderes,
oder kann man noch genießen sagen?

Mein papa ist 47 jahre alt und hat einen Hirntumor, er liegt in einen Hospiz und wartet auf sein gehen.

Auskosten finde ich zutreffender.

Jeder Moment mit den geliebten Menschen ist kostbar.

Ich versuche noch alles mitzunehmen was ich kann auch wenn mir ganz oft die Kraft fehlt.

schöne erinnerungen zusammeln versuche ich denk ich mal.
Ich habe so viele schöne momente mit meinen papa gehabt und versuche den rest auch noch mizunehmen.

Jeder schöne moment, jedes "mensch ärger dich nicht" wird mir in erinerung bleiben wenn er nicht mehr ist.

Ich hätte meinen Daddy auch am liebsten noch einen schönen Urlaub gegönnt doch es ging mit ihn einfach alles viel zu schnell als da man noch was machen könnte.

Ich wünsche dir, euch ganz ganz viel kRaft die braucht ihr sicherlich.

Nutze jeden Moment den du noch ausleben kannst mit deinen Mann, du wirst dich später daran erinnern und dich freuen das du die zeit gut genutzt hast.

lieben gruß nina

[Tania42]

Hallo Luna,

nun bin ich hier auch gelandet. Mein Mann und ich haben uns im Januar und Februar ständig zusammengesetzt und geredet. So viel haben wir in den letzten 19 Jahren nicht geredet.......Wir haben dadurch eine schöne Position.........wir konnten klären, den anderen um Verzeihung bitten, uns Bedanken. Wir haben das gebraucht.
Wir haben einen Plan für unsere Kids geschmiedet.........für den Fall, dass es schneller gehen sollte. (Das es so kommen würde haben wir nicht erwartet)

Es war eine wertvolle Zeit und ich bin dankbar dafür....(vielleicht ist es eine andere Art des Genießens?????)

In dieser Zeit haben wir oft wie zwei Klammeraffen gesessen......

Ich habe auch immer ein schlechtes Gewissen( Arbeit), aber ich kann nicht mehr tun.

Übrigens, gestern war ich spazieren!!! Und ich habe gemerkt, dass Frühling ist und die Vögel sangen....ich habe mich gefreut......vielleicht sind es diese Kleinigkeiten.....?

Lieben Gruß

Tania

[Luna1961]

Hallo, alle zusammen!
Ich danke euch für eure netten Antworten.
Gerade heute hatten wir einen schönen Tag: Wir waren ziemlich hemmungslos einkaufen und haben am Abend Spargel gegessen und Riesling von "unserem" Winzer an der Mosel getrunken. Wir fühlten uns an unseren letzten Urlaub bei eben diesem Winzer erinnert...auf der Terrasse mitten in den Weinbergen...Sonnenuntergang....die Moselschleife...
@freeskip: Alles, was du geschrieben hast, trifft meinen Nerv. Ich danke dir dafür!
Wir haben noch viel zu besprechen...Aber jetzt (noch) nicht... Es ist noch zu frisch...
Nun hoffen wir auf warmes, sonniges Wetter, um draußen sitzen zu können, zu grillen mit Freunden und der Familie, mit dem Enkel auf dem Arm den Garten erkunden zu können...
Ich danke euch allen!
LG
Luna1961

[Barbara H.]

Hallo Luna,
das hört sich schön an. Ich glaube da seid ihr auf einem guten Weg. Bei uns ist es auch so. Mein Papa (53 Jahre) hatte Magenkrebs und nun einige Metastasen im Bauchmuskel, in der Leber und in der Hüfte. Nach jedem CT kommen neue Horrormeldungen. Doch dann sind immer wieder die schönen Momente. An diesen festzuhalten ist schöner. Eben einfach mal zusammen einen Kaffee zu trinken oder änliches. Vor seiner Krankheit war das nie möglich, denn sein Beruf war immer im Vordergrund. Nun haben wir nur noch wenig Zeit, aber diese nutzen wir wohl intensiver.
Ich wünsche euch noch viele schöne Stunden. Liebe Grüße,
Barbara

[Luna1961]

Hallo, ihr Lieben,
ich möchte euch berichten, dass wir unser Bestes tun, um das Leben zu genießen.
Heute nachmittag haben wir uns ganz spontan entschlossen, übers Wochenende in ein Hotel in eine Stadt zu fahren, die wir schon immer mal anschauen wollten.
So spontan zu sein, ging früher gar nicht, weil eigentlich immer was Dienstliches anlag...
Wir sind im Moment sehr entspannt, mein Mann fühlt sich wohl, seine Blutwerte sind wieder ganz spitzenmäßig gut, so dass wir am Montag zur Chemo fahren können, wir freuen uns sehr auf unser langes WE und wünschen euch auch ein paar schöne Tage.

Luna 1961