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  #1  
Alt 26.07.2013, 12:26
anna81 anna81 ist offline
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Beiträge: 19
Standard Im Moment leben, auch mal abschalten, könnt ihr das?

Hallo!

mein Vater ist letztes Jahr an Lungenkrebs gestorben, meine Mutter (60) kämpft aktuell mit schon der zweiten Krebserkrankung (in 2006/2007 Darmkrebs, jetzt Mutliples Myelom). Das Myelom ist grundsätzlich nicht heilbar, man kann aber durchaus auch 10, 15 Jahre damit ganz gut (oder manchmal auch sehr gut) überleben. Leider scheint meine Mutter eine aggressivere Version erwischt zu haben, die weniger als ein halbes Jahr nach der Stammzelltherapie schon wieder therapiert werden muss. Es geht ihr nun schon seit Mai/Juni nicht besonders, manchmal besser, manchmal schlechter, gerade schlechter. Zum Teil sind das Auswirkungen der Therapie, aber natürlich auch der Grunderkrankung. Dazu kommt die emotionale Belastung: Angst, was der schnelle Rückfall bedeutet, der Tod meines Vaters, Hilflosigkeit durch die im Moment sehr eingeschränkte Bewegungsfreiheit (vor allem durch Schwäche, auch Schmerzen). Und nicht zuletzt fühlt sie sich in der Wohnung nicht wohl (es wird sehr viel gebaut, Lärm) und möchte umziehen.

Ich habe große Angst sie zu verlieren, bin aber im Moment vor allem dadurch belastet, was davor kommt. Es tut mir so leid, dass es ihr nicht gut geht, dass sie Angst hat. Wir reden viel, ich nehme ihr auch viel im Haushalt ab, aber ich kann nicht jeden Tag da sein (wir telefonieren aber jeden Tag). Ich mache mir fast ständig Gedanken, wie es ihr gerade geht, habe oft Angst, dass sie stürzt, eine plötzliche schwere Nebenwirkung hat, ich nicht da bin und sie nicht den Notarzt rufen kann. Jedesmal wenn ich sie anrufe und sie geht nicht gleich dran steigt der Adrenalinpegel steil an. Im Moment ist es auch so schwer, schon abzuschätzen, ob die Therapie wirkt, was "nur" Nebenwirkungen sind und was eventuelle Verschlechterungen.

Ich bin Einzelkind, mein Mutter hat zwar viele Bekannte und auch Freundinnen, aber sie mag über alles eigentlich nur mit mir sprechen. Für eine Pflegestufe oder andere Unterstützung ist es (zum Glück?) noch zu früh, das würde meine Mutter auch im Moment weit von sich weisen. Ich helfe tatkräftig und mit "einfach dasein" und reden gerne wo ich kann, aber ich wünsche mir schon oft, dass da noch jemand (oder besser viele jemande) wären, die auch auffangen können. Zum Glück hat meine Mutter nächste Woche einen Termin mit einer Psychoonkologin (die sie sogar schon kennt), ich hoffe, das hilft ihr (und mir!) ein bißchen weiter.

Ich habe vor kurzem auch das erste Mal mit einer Psychoonkologin für Angehörige gesprochen, hat auch ein bißchen geholfen, aber eigentlich sind mir die meisten Tips auch schon klar. In der Theorie! Auch mal was für sich machen, sich überlegen, was ich brauche, damit es mir besser geht. Oder für die Zukunft, Pfelgedienst, SAPV, Hospiz. Kenne ich mich leider mit aus, kann ich beantragen. Aber was ist davor, was ist jetzt?

Und eigentlich will ich meine Mutter aktiv im Jetzt bestärken, Hoffnung machen. Mache ich auch, aber gleichzeitig muss ich ständig denken, was wenn nicht, denke nach über was finanziell zu regeln ist ("danach") usw. Ich will daran glauben, dass sie noch ein paar gute Jahre hat (viel mehr wage ich sowieso nicht zu hoffen), dass wir jetzt nur die Therapie durchstehen müssen.

Wie geht das, wie kann ich mich auf den Moment konzentrieren, für sie und für mich Kraft schöpfen, weitergeben? Wie nicht ständig in diesem Gedankenkarussel feststecken.

Ich habe liebe Freundinnen, die mich gerne unterstützen, mit Reden, oder auch tatkräftig, aber da bin ich wie meine Mutter und kann das auch nicht so oft annehmen Dazu kommt, dass keine von denen bisher auch nur in so einer ähnlichen Situation war (zum Glück!), das heißt das Verständnis ist manchmal auch einfach sehr theoretisch.

Ein Trost ist, dass meine Mutter keine Angst vor dem Tod hat. Aber sie will nicht sterben und sie will sich nicht ständig so schlecht fühlen. Und ich will das auch nicht! Ich würde ihr so gerne etwas abnehmen, es besser machen, aber das geht nicht. Und so "leide ich mit", womit ja auch keinem geholfen ist, dass es mir schlecht geht. Ich lache auch mit Freunden, im Büro, aber im Hinterkopf ist ständig: es geht ihr nicht gut, es tut mir so leid, hoffentlich ist heute nichts neues Schlechtes dazugekommen... Bin fast immer wie unter Strom.

Auweia, das ist lang geworden, musste wohl raus. Was habt ihr für Strategien, wie geht ihr mit eurer Situation um?
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  #2  
Alt 27.07.2013, 21:34
Benutzerbild von Gina79
Gina79 Gina79 ist offline
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Beiträge: 846
Standard AW: Im Moment leben, auch mal abschalten, könnt ihr das?

Hallo Anna! Tut mir leid dass du schon wieder mit dieser schlimmen Krankheit konfrontiert wirst.
Ich bin auch ein Einzelkind und mein Papa ist vor eineinhalb Jahren an Lungenkrebs erkrankt, leider im Februar verstorben.
Ich habe mir auch oft gewünscht, einfach nur im Moment leben zu können und die schönen Momente wo es Papa noch gut ging zu genießen.
In gewissem Maße habe ich es auch genossen und die Zeit war ganz ganz intensiv, dafür bin ich heute dankbar. Aber im Moment leben und die Angst beiseite zu schieben, das konnte ich auch nur schwer.
Man kann sich bemühen und immer wieder probieren in der GEgenwart zu denken und sich nicht von der Zukunft verunsichern lassen. Aber spätestens vor den nächsten Kontrollen oder Krankenhausaufenthalten holt es einem wieder ein und das Kopfkino läuft auf Hochtouren.

Während der Krankheit von Papa habe ich mir oft gedacht wie schön es wäre Geschwister zu haben so dass sich alles ein bisschen aufteilt und man mit jemanden reden kann den es genauso betrifft wie einem selbst. Gut, ich hatte meine Mama noch aber die war und ist auch nicht allzusehr belastbar aufgrund der schwierigen Situation.

Auch mich haben Freundinnen immer wieder eingeladen, zum Baden, zum Fortgehen, zum Einkaufsbummel,... , nur ich konnte mich zu solch "netten" Dingen fast nie durchringen weil meine Gedanken nur bei Papa und seiner Krankheit waren. Dieses sorgenfreie Leben meiner Freundinnen mit ihren kleinen Problemchen über die sie sprachen konnte ich nicht ertragen und ich habe mich dann auch zurückgezogen. Sie konnten nichts dafür und meinten es nur gut mit mir, wollten mich ablenken und aufheitern aber das habe ich nicht zugelassen. Eine ganz schwierige Zeit eben!

In der Arbeit habe ich mir auch nie etwas anmerken lassen aber ich hatte auch von morgens bis zum Abend nur Angst und das jeden Tag. Am liebsten wäre ich den ganzen Tag neben Papa gesessen und hätte ihn verwöhnen wollen. Außerdem war ich immer sehr sehr müde und schlief sehr viel am Nachmittag, so konnte ich nachts nicht schlafen und habe gegrübelt. Aber am meisten Kraft habe ich doch beim Schlafen bekommen und es war auch meine Lieblingsbeschäftigung zu dieser Zeit. Da habe ich nicht an diese fiese Krankheit und meine Angst denken müssen.
Du siehst, es ging (und geht) mir auch nicht anders!
Ich habe mir dann schon ein paar Auszeiten zum Krafttanken geholt und bin viel Spazieren gegangen mit meinem Hund oder bin am Wochenende mal gejoggt. Das hat mir wieder Energie und Kraft gegeben.

Ich hoffe du bist jetzt soweit gekommen mit dem Lesen, ist auch bei mir ein bisschen länger geworden als ich gedacht hatte.

Ich wünsche dir ganz viel Kraft und hoffe dass du dich doch ein bisschen ablenken kannst und mal wieder Kraft tankst, ich weiß es ist ungeheuer schwer!

Alles Liebe, Nina
__________________
Mein Papa: Kleinzelliges Bronchialkarzinom
Diagnose am 21.12.2011
am 23.2.2013
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  #3  
Alt 29.07.2013, 20:34
anna81 anna81 ist offline
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Beiträge: 19
Standard AW: Im Moment leben, auch mal abschalten, könnt ihr das?

Hallo Gina!

Danke für Deine liebe Antwort!

Das mit dem Schlafen geht mir zum Glück ähnlich, ich kann zum Glück gut einschlafen und träume auch nicht schlecht. Leider fängt immer schon beim Aufwachen dieses ungute Gefühl im Bauch an, mir fällt alles wieder ein, was gerade schlecht oder beängstigend ist, ich gehe zig Szenarien durch... Das gibt sich meist erst wieder, wenn ich im Laufe des Tages von der Arbeit meine Mutter angerufen habe. Leider ist sie in letzter Zeit eigentlich immer nicht gut dran, dass tut mir immer so leid, aber immerhin weiß ich zumindest dann, dass sie noch da ist... Man malt sich ja die schlimmsten Sachen aus.

Gerade geht es ihr wirklich gar nicht gut, und ich bin erstaunlicherweise ganz ruhig. Habe so ein bißchen das Gefühl, ich habe mich ein wenig emotional distanziert, Selbstschutz um nicht durchzudrehen. Vorhin am Telefon war sie z. B. ein bißchen gereizt, fast schon ein bißchen verwirrt. Ich bin mir recht sicher, dass das Kortison ist (nimmt sie einmal in der Woche höher dosiert), aber dieses Verhalten erinnert mich sehr an meinen Vater in seinen letzten Monaten und Wochen. Und das macht natürlich Angst...

Gina, noch mal lieben Dank! Ich hoffe, du kannst mittlerweile auch schon ein bißchen besser genießen, hast wenigstens die Angst hinter dir gelassen?
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  #4  
Alt 02.08.2013, 04:04
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Katzensprung Katzensprung ist offline
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Registriert seit: 03.11.2012
Beiträge: 28
Standard AW: Im Moment leben, auch mal abschalten, könnt ihr das?

ja liebe Anna, wie lebt man im Moment, wie hält man es aus, mit dem Leid zu leben... mit dem Abschied nehmen...

ich bin in der Situation, sich mit dem Gedanken des Abschieds vertraut zu machen.
meine Mutter hat Nierenkrebs mit Lymphknotenbefall und Knochenmetstasen im Endstadium. Das wurde erst vor gut einem Jahr diagnostiziert... Ich besuche sie jeden Abend im Krankenhaus. Sie macht sich selbst etwas vor, aber ich weiss, man kann nur noch palliativ helfen, sie hat nicht mehr lange zu leben... ich bin ganz neu in der Rolle, sie zu füttern...

Doch ich musste in den letzten Monaten lernen, mir einen positiven Ausgleich zu schaffen.
Nun halte ich es so, dass ich mich sehr viel mit schönen Dingen beschäftige. Dinge, die mir Spass machen, die mich erfreuen. Ich lache sehr gern, Lachen über - egal welche Banalität auch immer - tut mir gut.
Bei mir ist das z.B. mit dem Hund an die Ruhr fahren und schwimmen gehen. Das ist Zeit für mich, das gönne ich mir. Da müssen auch mal im Haushalt mal Fünfe gerade sein, das hat nicht Vorrang...
Die Natur erleben, die Wolken betrachten, mit unserem Hund und unseren Katzen spielen, das zaubert mir immer wieder ein Lächeln ins Gesicht. Oder mit den Kindern meiner Schwägerin spielen...
Kinder und Tiere sind meine Kraftquelle, sie sind so rein und unschuldig und bringen mich immer wieder zum Lachen. Denn Lachen ist mir gerade jetzt ganz wichtig...wo wir so ein Leid durchleben müssen.
Wie gesagt, das musst ich in den letzten Monaten echt lernen. Aber man muss sich Schönes und Lustiges in den Alltag holen, denn sonst bleibt man selbst auf der Strecke...

Tiere leben übrigens immer im Moment, sie können nicht längerfristig planen. Daher sind sie immer autentisch, was ich so sehr schätze. Ja, ich beneide das ein wenig - den Moment zu geniessen, anstatt sich schon wieder auszumalen, was morgen und übermorgen kommt oder auch nur sein könnte...

mit dem Schlafen habe ich ein grosses Problem...
Wenn ich überhaupt einschlafen kann, bin ich nach 2 Stunden, der ersten Tiefschlafphase wieder wach. Ausser den Tricks mit Meditation, was mir leider selten wirklich gelingt, da ich meistens dann doch ganz schnell wieder in meinem "Kopfkino" bin, habe ich mir für den Notfall, ich meine für die Zeit, wo Mutti stirbt und die erste Zeit danach, etwas von meinem vertrauenswürdigen Hausarzt verschreiben lassen.

ich kann dir nur raten, dich mit Dingen zu beschäftigen, die du liebst... und zu versuchen, die dunklen Gedanken durch "Helle" zu vertreiben... nein, einzudämmen... vertreiben lassen sie sich wohl nicht...

ich wünsche dir und deinen Lieben ganz viel Kraft für die nächste Zeit
Nadi
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  #5  
Alt 02.08.2013, 11:16
Tiina Tiina ist offline
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Registriert seit: 04.08.2010
Ort: Hamburg
Beiträge: 676
Standard AW: Im Moment leben, auch mal abschalten, könnt ihr das?

Liebe Anna,
ich kann das soooo gut nachvollziehen! Mir erging es ganz genauso als meine Mami so krank war (sie ist vor 2,5 Jahren gestorben). Ich war auch immer so unglücklich, wenn es ihr nicht gut ging, war immer in Sorge, die sich nur etwas gebessert hat, wenn ich da war oder wenigstens mit ihr telefoniert habe... Ein paar Mal bin ich voller Panik hingefahren, weil sie nicht ans Telefon ging.
Und immer der Versuch abzuschätzen, wie ernst die Situation ist, gibt es eine Verschlechterung, sind das nur Nebenwirkungen, oder die Hitze... ist das eine harmlose Erkältung oder sollte ich sie ins Krankenhaus bringen...

Ich hätte mir auch so sehr gewünscht, dass da noch jemand ist! Bin auch Einzelkind, mein Vater lebte nicht mehr, es gab nur ein paar ehemalige Kollegen, die sich wirklich gekümmert haben und mit denen meine Mami auch offen war - das waren die einzigen Zeiten, zu denen ich nicht voller Sorge war, wenn die alle paar Wochen für einen halben Tag bei meiner Mami waren, weil ich wusste, die kümmern sich...

Tja, wie Du siehst, ist es mir nicht wirklich gelungen abzuschalten...
Was mir am meisten geholfen hat, war Zeit mit meiner Mami zu verbringen, schöne Dinge mit ihr zu tun, soweit irgend möglich (von Ausflügen zu Spaziergängen zu Beginn bis zu Fahrten mit dem Rollstuhl im Hospiz...). Da konnte ich dann auch am ehesten im Moment leben, Augenblicke der Nähe genießen, auch mal mit ihr lachen...

Ich wünsche Dir viel Kraft in dieser schweren Zeit,
Anja
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