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Alt 11.06.2004, 16:05
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Standard vom Sterben sprechen

Liebe Mitleidenden !

Meine Mutter ist 86 Jahre alt und hat vor 25 Jahren eine Niere entfernt bekommen. Sie trank unmengen von Tee und bis zum jetzigen Auftreten ihres Blasenkrebses fühle sie sich wohl und hatte keine Schmerzen.
Nun hatte sie plötzlich Blut im Harn, eine Blasensspiegelung decke ein "Geschwür auf" und der Arzt riet sofort zur OP.
Sie war guter Dinge, ließ sich operieren. Zuerst teilte man ihr mit, man hätte die Blase erhalten können, aber nach 3 Tagen "kolabierte" diese und sie bekam einen künstlichen Ausgang von ihrer einzigen Niere.
Das hat sie ziemlich seelisch mitgenommen. Der Artr setze viele Medikamente ab, es blieben ihr nur 2 Blutdruckmittel und 1 Herzmittel (Klappenschinsuffizienz).
Ich schickt ihr, da räumlich von ihr entfernt, eine Sozialarbeiterin, die sich um ihre seelischen
Sorgen annahm.
Letzlich konnte sie wieder ein paar Schritte alleine gehen und der Arzt befürwortete eine Entlassung nach Hause. Meine Mutter bewohn alleine ein Haus mit Garten und es gibt keine Angehörigen die sie intensiv pflegen könnten.
Jetzt war für mich der Zeitpunkt gekommen, mich ins Auto zu setzen und zu ihr zu fahren.
Inzwischen hatte ich erfahren, dass Mamma ein aggresives Karzinom hatte, das bereits alle Lymphknoten bis in die Halsregion befallen sind und dass auch blutmäßig streut! Niemand sagte ihr die "Wahrheit".
Meine Mutter ist eine Frau, die sehr geradlinig ist und ziemlich hart und konsequent zu sich selbst, so hat sie mich auch erzogen.
Nach RÜCKSPRACHE mit unserer Pastorin, die sich schon mit "Sterbebegleitung" befasst hat, und Bestätigung ihrerseits, dass ein Patient das RECHT hat seine Diagnose zu erfahren, beschloss ich ihr die Prognose und die Diagnose mitzuteilen.
Ich weinte, sie legte Gelassenheit an den Tag.
Sie meinte, sie hätte ihr Leben ja schon gelebt und ohnehin 25 Jahre geschenkt bekommen.
Ich hatte von der Caritas inzwischen eine HOSPIZ-Begleiterin kontaktiert, und bot Mutter an, diesen Dienst in Anspruch zu nehmen. Sie willigte sofort ein, denn, so sagte sie, sie würde schon jemanden zum REDEN brauchen.
Ihre RATIO hatte die Endlichkeit ihres Lebens akzeptiert, aber ihr GEFÜHL beiweitem noch nicht !
Wem würde es da anders gehen? Wenn es "ernst" wird, sind die Stadien, nach Kübler-Ross
1.)Verweigerung
2.)Aggression
3.)Depression
4.)Akzeptanz
Ich hatte zuvor in einer Woche 3 Bücher über Sterbebegleitung gelesen, weil auch ich nicht weiß, was tun, was reden,wann schweigen etc.
Mutters Verweigerung klang so
" Na ja, ich werde mich "entscheiden" was ich
tun werde " - so als ob sie noch "alles in der
Hand" hätte
Ihre Agression bekam ich auch zu spüren
.... sie wieß mich zurecht, als ich alles putzte,
Teppiche wegräumte die Stolperfallen darstellten und ihr einen Vertreter bestellte, der elektrische Dekubitusmatratzen ( gegen Wundliegen ) mit Luftkammern verkauft.
Sie warf mir vor " Diese Matratze hast Du mir aufoktruiert !" . Ich nahm das alles hin, und die Tränen flossen - nicht aber bei Mamma.
Wir fuhren gemeinsam in die Kirche zum Abendmahl, ich bat ihren Pfarrer sie zu besuchen. Sie nahm an.
´Gott sei Dank - die Hoszipbegleiterin von der Caritas war ihr sofort sympatisch - und sie sagte ihr, dass sie froh wäre "darüber" sprechen zu können. Sie meinte, bei meinem Vater hätten Sie jemanden zum Reden gesucht, aber nicht gefunden.

Jeder Mensch, so stand es in den Büchern, stirbt nach der ihm eigenen Art, wie er zuvor gelebt hat.
Es gibt keine Regeln !
Ich musste mit meiner Mutter aber offen darüber reden, weil ich sie, nun umgeben von organisierten Diplompersonal, dass 2x täglich kommt um das Harnsäckchen zu wechseln - sowie Essen auf Rädern und 3x wöchentlichen Reinigunsdienst - alleine lassen muss!
Sie hat zu mir nie eine warme Beziehung gepflegt, leider,immer wieder hat sie die Hand die ich nach ihr ausgestreckt habe zurückgewiesen und "gebissen". Ich habe sehr darunter gelitten, mein ganzes Leben lang, ich hätte so gerne eine liebevolle Mutter gehabt, zum liebhaben und kuscheln und zum verwöhnen - aber sie war eben anders!
In einem Buch über das Sterben habe ich
5 REGELN für den Begleiter und den Sterbenden gefunden
1.) Ich verzeihe Dir
2.) Verzeihe Du mir
3.) Ich danke Dir
4.) Ich habe Dich lieb
5.) Lebe wohl !
Instinktiv habe ich nach diesen Punkten gehandelt, ich rufe sie jeden Abend an und frage nach ihrem Tag. In 2 Wochen fahre ich für 2 Monate auf die Azoren - und bin dann nicht mehr unmittelbar abrufbar und erreichbar.
Wir haben darüber gesprochen, dass ich sie vielleicht ein "letztes Mal" sehe, und ich habe Sie gebeten mir zu sagen was sie fühlt und sich mit mir auszusprechen.
Zaghaft kam ein Gefühl zu mir, um sich dann sofort wieder zu verschließen. Wir haben beim Abschied geweint - ich habe gesagt " Wir sehen uns im Himmel wieder " - sie hat gesagt " Das ist meine einzige Hoffnung !"
Niemand weiß wie lange "es" dauern wird, ich hoffe ich sehe sie im September wieder, dann fahre ich wieder zu ihr.

Es ist schon so, dass es einem das Herz bricht - wir alle haben nicht mehr gelernt mit den Tod umzugehen. Wir haben eine schreckliche Sterbekultur, besser gesagt, gar keine.
Nur langsam bringen Hospize die Menschen wieder dorthin, das Sterben in ihren Lebensalltag zu integrieren. Nur wer sich dessen bewußt ist, lebt ein reiches und dankbares Leben.
Es ist das einzige, was uns wirklich sicher ist - der Tod! Wir wollen nicht davon wissen, verdrängen und ignorieren.
Ich werde mich weiterhin mit diesem Thema befassen, und versuchen, Menschen, wenn diese in die Endphase ihres Lebens kommen, zu unterstützen.
Ich muss noch viel "lernen" - und bin noch lange nicht soweit Sterbende zu begleiten, schließlich kann ich nicht immer in Tränen aufgelöst und Worte verschluckend eine Hilfe sein.
Ich kann nur allen empfehlen, in einer Leihbibliothek Bücher über das Sterben zu leihen, das hilft enorm, und ich bin drauf gekommen, dass es sehr viel Literatur gibt, nicht nur von Kübler-Ross.
Ich wünsche Euch allen sehr viel Kraft und Liebe und die richtigen Worte zur richtigen Zeit, auch das Schweigen wenn es notwendig ist. Sterbende brauchen unsere Hilfe, Geborgenheit und Ruhe, um würdevoll gehen zu können - und wir alle haben eine Verantwortung für unsere Familienmitglieder und Freunde.
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