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Alt 23.05.2008, 20:09
Gutistanders Gutistanders ist offline
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Registriert seit: 23.05.2008
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Standard Der Blitz schlägt nie zweimal in die selbe Stelle?????

Hallo an Alle,

ich möchte mir hier ein wenig all das vom Herzen schreiben, was mich die letzten 2 Jahre an den Rand der Verzweiflung bringen, weil ich bei allen "Unbetroffenen" nur auf erschreckte Reaktionen treffe. Menschen die meine Geschichte hören, sind entsetzt, können es nicht nachvollziehen und haben Angst mehr darüber zu erfahren.

Als mein Vater im April 06 mit 64 Jahren zwei Tumoren mit 9 Hirnmetastasen diagnostiziert bekam, waren wir wie versteinert. Nur drei Monate später war er tot. Der Weg dahin mit Horror gepflastert. Sein Gehirn war voller Ödeme, der Hirndruck verusachte extremste Persönlichkeitsstörungen. U.a. drückte er, ein wahnsinnig liebevoller und sensibler Mensch, meine Tochter am Hals die Wand in die Höhe. Die einzelnen Stationen waren in drei Monaten: Onkologie im schrecklichsten Krankenhaus Deutschlands (=Ludwigshafen am Rhein), danach in die "geschlossene Anstalt", bis die Ödeme aufs Kortison ansprachen und er wieder behandlungsfähig war, dann Strahlenstation, um die Lebensqualität zu verbessern, obwohl klar war, dass er unheilbar krank war und bald sterben würde. Endstation: Palliativstation, wo er auch unter fürchterlichen Bedingungen verstarb.

Meine Mutter lebte diese drei Monate von der Diagnose bis hin zum Tod meines Vaters wie in einem fürchterlichen Alptraum. Kaum die Rente erreicht, war nun alles vorbei. Wir waren nur noch zu dritt: Meine Mutter, meine Tochter und ich. Mehr Familie gab es nicht. Meine Mutter gab sich immer mehr auf. Tag für Tag hängte sie sich mehr an mich und ließ mir kaum noch freie Zeit. Meine eigene Trauer über meinen Vater hatte ich nie verarbeitet, denn meine Mutter konnte nicht alleine sein. Sie wurde immer unselbständiger. Fuhr kein Auto mehr und hängte sich beständig in meine Fernbeziehung, die mir nur am Wochenende Abwechslung versprach. Meine Mutter begleitete uns zu fast jedem Event. Im November 2007 freute ich mich sehr, denn meine Mutter hatte Urlaub mit einer Freundin gebucht und ich würde 14 Tage auch Urlaub zuhause haben. Mein Vater war mittlerweile 1,5 Jahre tot und so langsam sollte meine Mutter wieder ein eigenes Leben führen.

Es war der pure Horror, als die Freundin aus dem Urlaubsort Tunesien anrief und mir mitteilte, dass meine Mutter extreme Ausfälle aufzeigte und sie in einem tunesischen Krankenhaus wäre. Ich solle sehr stark sein, denn nun müsse sie mir etwas Schlimmes sagen. Meiner Mutter wurde im fernen Tunesien ein Hirntumor mittels CT diagnostiziert. Nach meinem Nervenzusammenbruch brauchten wir 5 Tage und eine Menge Geld um die schwerkranke Frau mittels rotem Kreuz in die Universitätsklinik in Mannheim überführen zu lassen. Jeder wusste was sie hatte, nur sie selbst nicht. Ich hatte die PArole ausgegeben, dass sie nichts erfahren soll, weil ich Angst hatte, dass sie sich umbringen würde. Im Krankenwagen zwischen Flughafen Neuostheim und Einlieferung ins Krankenhaus, sagte ich ihr die Wahrheit. Sie war entsetzt, doch der Hirntumor hatte einen entscheidenden Vorteil: Sie nahm es nicht vollständig auf. Dann ging alles sehr schnell. Die Neurochirurgie entschied eine sofortige OP am folgenden Tag. Wir hatten die größten Ängste, dass es sich wieder um Metastasen handeln könnte, aber wir wussten zu dem Zeitpunkt nicht, dass es noch schlimmer kommen könnte. Nach der OP, die meine Mutter erstaunlich gut überstand, kam der Befund recht schnell am Entlassungstag aus der Klinik: Glioblastom mulitform WHO Grad IV. Tödlich. Unumgänglich tödlich. Meine Mutter ist gerade 62 Jahre alt.

In den folgenden Wochen durchforstete ich das Internet nach allen Möglichkeiten. Vom Krebsforschungszentrum in Heidelberg über die Hirntumorhilfe in Leipzig bis hin zu Studienleitfäden und allem was irgendwie diese unumgängliche Diagnose abmildern könnte. Ich kaufte Bücher, las mich in alles ein und stellte letztendlich nur eines fest: Es wird wohl in auf vielen Ebenen geforscht. Einen Durchbruch gibt es bisher nicht. Es ist immer der selbe Werdegang: OP, danach Bestrahlung und Temodal. Die Rezidivbehandlung, die auch recht unausweichlich ist, unterscheidet je nach Konstitution und Alter des Patienten. Es ändert wenig. Die mediane Überlebenszeit liegt bei einem Jahr. Auch im abbonnierten "Brainstorm" waren nur Erfolgsstories von weitaus jüngeren Menschen zu verzeichnen.

Der weitere Werdegang ist eine traurige Geschichte. Nach Weihnachten, das wir noch voller Hoffnung verbrachten, weil es meiner Mutter wirklich recht gut ging, entzündete sich die OP-Narbe. Eiter brach heraus. Sie wurde sofort wieder operiert. Wundheilungsstörung nennt sich so etwas und ist wohl nicht unüblich. OB es an ihrer Knibbelei an der Wundnarbe lag, oder ob bei der ersten OP unsauber gearbeitet wurde weiß ich nicht, aber dass mir die Ärzte nie die Wahrheit erzählen werden, das weiß ich mittlerweile. Auch die zweite OP überstand meine Mutter verhältnismäßig gut. Sie verbrachte weitere 4 Wochen zu Hause, als die gleichen "Ausfälle" auftraten wie damals in Tunesien. Die komplette linke Körperhälte wurde für sie unkontrollierbar. Wieder ins Klinikum Mannheim. Man vermutete eine weitere Entzündung. Bei der OP stellte sich allerdings "nur" ein extrem großes Ödem heraus, das Hirndruck und damit die Ausfälle verursachte. Wieder 14 Tage KLinikum. Danach wurde sie nie wieder die "Alte". Zu allem anderen gesellte sich eine tiefe Depression. Sie verweigerte jegliche Bewegung, wurde immer schwächer. Das Kortison und das Temodal verursachten einen Muskelschwund, den sie nicht ausglich und als sie bei einer Unachtsamkeit auf der Treppe stürzte, ging sie kaum noch weiter als vom Bett zur Toilette aus Angst wieder hinzufallen. Ob der Tumor dafür verantwortlich war, oder ob es ihre Art war, weiß ich nicht. Ich kannte sie so kaum. Sie jammerte nur noch, bewegte sich nicht, fing an eine Unmenge an Zigaretten zu konsumieren und bettelte alle möglichen Bekannten an ihr Gesellschaft zu leisten, weil ich keine 24 Stunden am Tag bei ihr sein konnte. Einige distanzierten sich von ihr, andere verurteilten mich für meinen seelischen Rückzug.

Als sie sich keinen Schritt mehr bewegte und angeblich nicht mehr aufstehen konnte, setzte sich zu allem anderen eine Lungenentzündung auf alles andere. Wieder Klinikum. 2 Wochen kämpften sie mit ihr auf der Onkologie, danach verlegten die ratlosen Ärzte im Mannheimer Krankenhaus sie auf die Palliativstation, weil sich angeblich bei der vorgenommenen CT ein Rezidiv gezeigt hätte. Viel später erfuhr ich, dass die Lungenentzündung nicht hätte sein müssen, denn die wäre absehbar gewesen und dass man das Immunsystem hätte prophylaktisch aufbauen müssen. Auf mein Entsetzen über die Palliativstation (wo damals mein Vater verstarb) bin ich hilfesuchend nach Heidelberg in die Kopfklinik zu einem äußerst kompetenten und hilfsbereiten Professor Wick vorgelassen worden. Dieser schüttelte nur den Kopf über die Mannheimer Unzulänglichkeiten und empfahl mir, dass meine Mutter "wieder auf die Füße" kommen müsse, damit die Weiterführung der Temodal-Therapie ihr nicht jegliche LEbensqualität nehmen würde. Ein Rezidiv war nicht diagnostizierbar. Dann legte ich mich mit Ärzten und Krankenkassen an, damit meine Mutter zu einer Rehabilitation kam und damit der Muskelaufbau endlich stattfinden würde, der sie wieder auf die Füße und damit auch nach Hause bringen könnte. Die Reha versagte vollständig, denn was niemand therapierte, waren die Depressionen und Ängste meiner Mutter. Sie wurde zum vollständigen Pflegefall. Gehunfähig und im Rollstuhl, obwohl medizinisch dafür kein eindeutiger Grund vorlag. Es blieb mir nichts anderes als einer 4-wöchigen Kurzzeitpflege im Pflegeheim zuzustimmen, wenn ich nicht meinen Job aufgeben wollte. Nun ist meine Mutter im Pflegeheim, voller Depressionen, voller Ängste und ohne Hoffnung. Ich weiß, dass jegliche Heilung zuallererst vom Willen ausgeht. Den hat sie verloren. Nach mir fragt sie nicht mehr. Ich werde nur noch benötigt um Schmutzwäsche abzuholen, sie mit Geld zu versorgen und ihr zu sagen, dass doch alles irgendwie gut wird. Ich weiß, dass selbst meine Fahrt zur Hirntumortagung nach Hannover sinnlos ist, wenn sie selbst keinen Lebensmut mehr hat. Nun verliere ich in absehbarer Zeit nach meinem Vater auch meine Mutter und ich habe Angst. Angst davor, was das alles mit mir macht. Bitte schreibt mir nicht, dass ich stark sein soll. Ich war es. Ich danke euch fürs Lesen. Es tat gut das alles endlich einmal aufzuschreiben.
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