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Alt 18.01.2013, 21:22
Viki Viki ist offline
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Standard Wann kommt es endlich bei mir an

Vor einiger Zeit habe ich mich hier nach einigen Jahren im KK, meist nur lesend, verabschiedet. Aber es belastet mich noch einiges viel zu sehr um endgültig von hier Abschied zu nehmen.

5 ½ Jahre sind eine lange Zeit. Solange habe ich meine Mutter und beste Freundin während ihrer Krebserkrankung begleitet. Es waren Jahre mit viel Freude, Lachen, Besinnlichkeit Trauer, Angst und Hoffnung. Einen Monat nach der Diagnose des Brustkrebs 2007 habe ich mich beim KK registrieren lassen. Mein Vater, hatte Angst, dass die wichtigste Person in seinem Leben vor ihm Sterben wird. Diese Angst hatte ich nur ein bisschen, denn meine Mutter war stark, sehr stark und immer positiv gestimmt. Sie war der starke, alles zusammenhaltende Mittelpunkt unserer Familie.

Meine im Hintergrund lauernde Angst hielt ich mit endlosen Recherchen im Internet nieder. Sie war ja schon älter. Meine gesamte Umgebung meinte, was ist schon der Verlust einer Brust. In ihrem Alter wächst Krebs nur noch langsam. Dagegen sprach nach meinen Recherchen das G3. Sie wurde brusterhaltend operiert. Als sie erfuhr, dass sie bestrahlt werden sollte, meinte sie, nein, das nicht, lieber die Brust ganz weg. Und so geschah es. Sie bekam Tamoxifen, es ging ihr relativ gut damit. Ich bat sie, sich zur Nachsorge in eine onkologische Praxis zu begeben. Für diesen Rat war sie mir die nächsten Jahre sehr dankbar, denn nur durch die 3monatige Nachsorge mit Ultraschall wurde 2008 die erste Lebermetastase entdeckt.

Die nächsten Jahre waren von Dauerchemo, unterbrochen von RFA und zuletzt SIRT, bestimmt. Mit jeder neuen Chemo gewann sie wieder einige Monate Leben mit für ihr Empfinden guter Lebensqualität. Sie hing sehr am Leben. Der mehrmalige Verlust ihrer Haare und Fingernägel, ein ausgeprägtes Hand-Fuß-Syndrom und diverse andere Einschränkungen nahm sie gern in Kauf. Sie lebte. Sie ging in Konzerte und Theater. Nachdem mein Vater 2009 starb, verkaufte sie ihr Haus und zog in eine Wohnung in meiner Nähe. Ich machte mir immer Sorgen, wenn ich sie nicht erreichte, aber sie war dann allein oder mit Freundinnen unterwegs.

Sie fuhr mit dem Taxi jahrelang zur Chemo und wurde dort immer neben Patienten platziert, denen es nicht so gut ging, um diese wieder etwas aufzubauen. Sie dachte nie an sich sondern sorgte sich immer um andere. Bei jedem KontrollMRT zitterte ich mehr als sie. Falsch, ich glaube sie zitterte mindestens so, wollte mir das aber nicht zeigen. Sie sagte mir oft, dass sie mir ein schlechtes Ergebnis nicht gerne sagen würde, weil ich dann nicht mehr schlafen könne.

Die Lebermetastase vermehrten sich und wuchsen über die Jahre. Im Herbst wurde sie plötzlich schwächer, die Blutwerte sehr schlecht. Trotz Epo war eine Chemo nicht mehr möglich. Ihre Heilpraktikerin, die sie jahrelang begleitete, sagte ihr am 25. Oktober in meiner Gegenwart, dass es nun sehr schlecht aussehe. Diesen Termin konnte sie das erste mal nicht mehr allein wahrnehmen. Sie konnte nicht mehr selbst fahren und ich brachte sie hin. Wir schleppten sie dort die Treppe in den ersten Stock hinauf (2 Monate vorher lief sie noch flott allein hinauf). Die Erschöpfung war offensichtlich. Die Heilpraktikerin sagte ihr, eine Chemo wäre in ihrem Zustand wohl nicht mehr möglich, was ihr Onkologe auch bestätigte. Auf die Frage meiner Mutter, was dann geschähe, wurde ihr mit: „Dann wirst du wohl sterben“ beantwortet. Sie war schockiert.

Ich brachte sie nach Hause. Am nächsten Tag war sie noch am Boden und den Tag darauf suchte sie das Gespräch mit mir. Sie fing an sich mit dem Gedanken des nahen Todes vertraut zu machen und begann sich damit zu arrangieren. Ich nicht, mein Bruder nicht, meine Familie nicht, aber meine Mama. Sie erklärte uns, nun sei bald Ende der Fahnenstange und das sei völlig in Ordnung!!! Es war fast unerträglich. Aber ich war auch, obwohl verständnislos unendlich stolz auf sie.

Eine Woche später kam sie auf die Palliativstation, da sie Wasser im Gewebe anlagerte und sich nicht mehr gut auf den Beinen halten konnte. Sie wurde entwässert und nach 2 Wochen in einem desolaten Zustand nach Hause entlassen. Ich zog zu ihr und versorgte sie mit meinem Bruder Tag und Nacht, sie konnte das Bett nicht mehr verlassen. Am 20.12. erhielten wir einen Hospizplatz, am 21.12. starb sie dort überraschend schnell, als ich bei ihr war. Danke Mama, dass ich dabeisein durfte.
Dies ist heute genau 4 Wochen her, die Beerdigung liegt hinter uns und ich hab es immer noch nicht kapiert. Jeden Tag denke ich, Mama hat heute noch nicht angerufen oder, ich geh schnell rüber und frag, was ich für sie einkaufen soll. Jeden Abend will ich das Telefon neben mein Bett legen, es könnte ja was sein. Es kommt einfach noch nicht richtig an. Andererseits habe ich Angst davor was mit mir geschieht, wenn ich es endlich verstanden habe.

Der Text wurde jetzt doch länger als ich es vorhatte, ich hoffe Ihr versteht das.

Viki

Geändert von Viki (18.01.2013 um 21:23 Uhr) Grund: Absätze eingefügt
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