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Alt 20.08.2003, 18:32
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Standard 5 Zentimeter sind kein Todesurteil

http://www.sueddeutsche.de/sz/wissen...ed-artikel436/
Fünf Zentimeter sind kein Todesurteil

Neue Erkenntnisse darüber, wie Metastasen entstehen, stellen gängige Krebstherapien in Frage

Am schwersten wiegt die Unsicherheit. Wer erfährt, dass er an Brust-, Darm- oder Prostatakrebs erkrankt ist, kann sich oft jahrelang nicht sicher sein, was das für ihn bedeutet. Am Anfang stehen Operationen, Bestrahlungen und Chemotherapien – doch wenn die überstanden sind, beginnt das Warten. Dass man geheilt ist, weiß man erst einigermaßen sicher, wenn es nach zehn Jahren keinen Rückfall gab.


Der Grund für die lange Ungewissheit ist nicht der Tumor, der zuerst entsteht. 19 von 20Patienten, die an Krebs sterben, erliegen nicht diesem Primärtumor in Brust, Prostata oder Darm. „Die Absiedlungen, die sich in anderen Organen festgesetzt haben, entscheiden darüber, ob Krebs geheilt werden kann oder nicht“, sagt Dieter Hölzel vom Krebsregister des Tumorzentrums München.


Kein Wunder also, dass Forscher seit langem versuchen, die Regeln zu ergründen, nach denen Tochtergeschwulste entstehen. Nun aber gerät das bisherige Bild ins Wanken: „Wir gehen davon aus, dass es in den meisten Fällen schon viel früher zu Absiedlungen kommt, als wir bislang angenommen haben“, sagt Hölzel. „Metastasen entstehen oft lange vor der Entdeckung des Primärtumors.“


Die Schlussfolgerung ziehen der Arzt und seine Kollegin Jutta Engel aus den Daten von 12400 Brustkrebspatientinnen, die zwischen 1978 und 1996 im Münchner Krebsregister erfasst wurden (1). Brustkrebs ist der Sammelname für fast zwei Dutzend unterschiedlicher Krebstypen mit sehr verschiedenen Heilungschancen. Sechs bis sieben von zehn Patientinnen besiegen ihren Brustkrebs – mitunter auch dann, wenn er bei der Entdeckung schon recht groß ist. Schlecht sind die Aussichten dagegen, wenn sich Metastasen gebildet haben.


Bislang gab es nur ein einfaches Modell, wie sich diese gefährlichen Tochtergeschwulste bilden. Demnach entsteht Krebs ursprünglich aus einer einzigen Zelle, die meist durch Zufall einen ersten genetischen Schaden erleidet. Diese Zelle teilt sich dann häufiger als sie soll, und irgendwann bekommt eine ihrer Tochterzellen einen zweiten Defekt, der ihr Wachstum weiter enthemmt. Nach einer gewissen Zeit dominieren die Abkömmlinge dieser Tochterzelle in dem Tumor, weil sie sich am schnellsten vermehren. Dadurch, dass sich immer neue Zellen mit neuen Fähigkeiten durchsetzen, verändert ein Tumor während seines Wachstums sprunghaft seine Eigenschaften. Wenn er bereits recht groß ist – so das bisherige Modell – lösen sich Zellen aus der Geschwulst heraus und lassen sich anderswo im Körper nieder. Dort wachsen sie zu Metastasen heran.


Die Analysen von Engel und Hölzel zeigen aber, dass dieser Ablauf nur auf einen Teil der Brusttumore zutrifft. Vielmehr lassen sich rückblickend die Krebsherde der 12400 Frauen nach der Neigung zur Metastasierung in drei Gruppen unterteilen. Die erste Gruppe bilden Tumore, die gar nicht metastasieren oder erst dann, wenn sie längst mehrere Zentimeter Durchmesser haben. Von den Frauen in dieser Gruppe lebt selbst dann noch jede zweite, wenn ihr Krebsherd bei der Diagnose bereits zwischen zwei und fünf Zentimetern groß war.


Aber es gibt auch das andere Extrem. Den Münchner Daten zufolge finden sich bei 20 bis 30Prozent der Frauen mit nur wenigen Millimeter kleinen Tumoren bereits Metastasen in Lymphknoten. Die Krebsherde selbst waren so winzig, dass Ärzte nur durch Zufall auf sie aufmerksam wurden. „Das bedeutet, dass es Tumore gibt, die schon unheilbar sind, lange bevor sie überhaupt entdeckt werden können“, sagt Hölzel.


Diese Erkenntnis hat wichtige praktische Konsequenzen. Sie erklärt nämlich, warum der Früherkennung und auch der Behandlung von Krebs Grenzen gesetzt sind. Ziel von Früherkennungsmethoden wie der Mammographie (die bis Ende nächsten Jahres flächendeckend angeboten werden soll) ist es, Krebs zu entdecken, solange er noch heilbar ist. Dazu muss ein Tumor aber auf einem Röntgenbild zu sehen sein, bevor er Metastasen bildet. „Bei diesen Tumoren verbessert es tatsächlich die Heilungschancen, wenn man sie früh entdeckt“, sagt Hölzel. Doch die Zahl solcher Tumoren ist Hölzels Daten zufolge klein: Nur jeder dritte bis vierte Brustkrebs beginnt erst zwischen ein und zwei Zentimeter Größe zu metastasieren.


Dass viele Krebsherde schnell Absiedlungen bilden, stellt auch den Sinn von weitreichenden Operationen und Bestrahlungen in Frage. Bei der Diagnose sind die Weichen nämlich schon weitgehend gestellt: Wenn ein Tumor zu diesem Zeitpunkt noch nicht metastasiert hat, genügt es, ihn herauszuschneiden. Je nach Krebsart wird noch eine Therapie mit Hormonen oder Zytostatika oder auch eine Bestrahlung begonnen.


Wenn ein Tumor bei der Diagnose aber bereits metastasiert hat, dann nützt eine Brustamputation auch nicht mehr als das alleinige Herausschneiden des Knotens. Hölzel kritisiert zudem, dass zu oft Lymphknoten aus der Achselhöhle herausoperiert werden. „Nach unseren Daten haben die Frauen davon keinen Vorteil“, sagt er. „Sie leiden aber unter erheblichen Komplikationen.“ (2)


Dass zusätzliche Therapien bei metastasiertem Krebs kaum weiterhelfen, wundert den Immunologen Christoph Klein von der Universität München nicht. Auch er untersucht die Bildung von Metastasen. Dazu nutzt er genetische Methoden. Seit etwa 15Jahren wissen Forscher, dass bei einem Drittel der Patientinnen mit Brustkrebs einzelne Krebszellen auch im Knochenmark zu finden sind. Mittlerweile gibt es Methoden, diese Zellen herauszufischen.


Das hat die Gruppe um Klein und seinen Kollegen Oleg Schmidt-Kittler bei 371Frauen mit frischer Brustkrebs-Diagnose getan (3). Etwa bei jeder vierten Patientin wurden die Forscher fündig. Mal entdeckten sie in einer Knochenmark-Probe eine, mal zwei oder drei solcher Brustkrebs-Zellen. Dann haben Klein und Schmidt-Kittler das Erbgut dieser Zellen nach Fehlern und Schäden untersucht, die für Krebs typisch sind. Das Muster der Defekte verglichen sie mit dem Muster der Genschäden, die der Haupttumor aufwies.


Das Ergebnis passt ebenfalls nicht ins bisherige Bild von der Metastasierung: Wenn sich Tochtergeschwulste nämlich erst spät absiedeln, müssten Haupttumor und Metastasen die meisten Gendefekte teilen. „Das Fehlermuster der Zellen aus dem Knochenmark stimmte aber nur in einem von sieben Fällen mit dem Muster des Primärtumors überein“, sagt Klein. Meist gab es in den Zellen aus dem Knochenmark deutlich weniger Defekte. Daher müssen sich diese Zellen vom Tumor abgespalten haben, bevor dieser weitere Schäden angesammelt habe.


Wenn sich dieser Befund bestätigt, dann könnte er zwei bisher unverstandene Phänomene erklären. So haben Forscher keine gute Begründung dafür, warum es manchmal Jahre dauert, bis nach der Entfernung eines großen Primärtumors Metastasen auftreten. Andererseits gibt es auch das umgekehrte Phänomen: Bei jeder 14.Patientin mit Brustkrebs sind zwar bei der Diagnose Metastasen zu finden, doch vom Primärknoten fehlt jede Spur. Offenbar ist er noch so klein, dass er nicht zu entdecken ist.


Für Klein sind das Indizien dafür, dass sich bei vielen Tumoren schon sehr früh Zellen im Körper verteilen: „Danach beginnt jede Zelle ihre eigene Entwicklung“, sagt Klein. „Manchmal teilt sich eine Zelle schneller, manchmal langsamer als der Primärtumor.“


Wenn Metastasen und Haupttumor schon früh getrennt Wege gehen, wundert es auch nicht, dass Chemotherapien, die bislang gegen Haupttumoren entwickelt werden, bei Tochtergeschwulsten nur begrenzte Wirkung haben. „Die Therapie wird erst vorankommen, wenn sie gezielt auf Metastasen und nicht auf den Haupttumor ausgerichtet ist“, prophezeit Klein.


KLAUS KOCH


(1)European Journal of Cancer, Bd.39, S.1794, 2003


(2)Breast Cancer Research and Treatment, Bd.79, S.47, 2003


(3)PNAS, Bd. 100, S.7737, 2003
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