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Alt 08.01.2010, 17:37
Stefans Stefans ist offline
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Registriert seit: 27.01.2007
Beiträge: 426
Standard Ein Jahr...

...und 5 Tage ist es nun her, dass meine Frau an Brustkrebs gestorben ist, nach über 20 gemeinsamen Jahren, ziemlich genau 2 Jahre nach der Diagnose. Weiss auch nicht, warum ich gerade schreibe. Vielleicht sowas wie ein Rückblick. Allerdings ziemlich unsortiert, sorry.

Kurz vor Weihnachten 2008 kam meine Frau zum Sterben aus der Klinik nach Hause. Dass sie am Krebs sterben wird, wussten wir schon länger. Und sie wollte das Zuhause tun. Nochmal Weihnachten erleben, ihr Zuhause sehen, Freunde, Familie, Tiere. Das hat zum Glück geklappt, und das war auch das wichtigste. Nachdem das "erledigt" war, hat sie kurz vor Silvester ganz schnell abgebaut und ist am 3.01. morgens um 4 im Beisein von mir und unserem Hund gestorben. Sie war 12 Stunden vorher noch geistig "fit" und hat mit einer Freundin gescherzt.

Ihre Schwester kam "zu spät", hatte den frühen Flieger genommen und stand am 3. um 8 vor der Tür. Da war die Hausärztin schon wieder weg und der Formalkram mit Totenschein erledigt. Wir haben meine Frau dann gewaschen und gekleidet, und meine Schwägerin ist während der 3 Tage, die meine Frau Zuhause aufgebahrt war, hier geblieben. Erst später ist mir dann aufgefallen, dass meine Schwägerin eigentlich nicht zu spät gekommen ist, sondern genau richtig. Diese letzten Stunden nach 23 Jahren waren nur für uns beide, und das war gut so. Da hätte, so böse sich das anhört, meine Schwägerin nur gestört.

Vor den Feiertagen jetzt hatte ich natürlich ziemlichen Bammel. Aber warum auch immer habe ich mir eine Grippe zugelegt und lag pünktlich Heiligabend mit Fieber im Bett. Stimme war auch weg, also nix telefonieren, konnte erst nach dem 3. wieder aufstehen und ein paar Worte sprechen. Insofern habe ich kaum nachgedacht, sondern die Zeit im Fieberdämmer verbracht. Das war aber nicht das Schlechteste, sorgte unfreiwillig für etwas "Abstand".

Mein 2009 war natürlich nicht so besonders. Kann 2010 eigentlich nur besser werden. Von der Stimmung her, gesundheitlich geht's mir zum Glück gut - und dass das das Wichtigste und Einzige ist, was mit allem Wünschen, Hoffen und allem Geld der Welt nicht zu kriegen ist, haben wir ja nun hinreichend erfahren. Trauer und Verzweiflung haben mich erst mit 2 Monaten Verspätung erreicht. Der März war tiefschwarz. Da hatte ich dann den Papagei schon in einer Auffangstation angemeldet und versucht, den Hund loszuwerden. Damit ich die letzte Verantwortung los bin und frei, meiner Frau zu folgen. Den Hund wollte natürlich keiner haben, deshalb habe ich schon längere Zeit mit der Axt in der Hand über seinem Kopf zugebracht. Wenn ich ihn nicht loswerde, muss ich ihn wohl selbst töten, um endlich frei zu sein. Das war knapp, besserte sich aber zum Glück. Hündchen habe ich lieber nicht erzählt, was ich zeitweise mit ihm vorhattte. Nachher bekommt der noch angst vor mir.

Danach ging's so lala, wechselnd auf und ab. Die Abschiedsfeier hier für meine Frau im Sommer war nochmal ein Prüfstein (hätte ich am liebsten abgesagt, war aber schließlich versprochen), ihr Geburtstag und unser 10. Hochzeitstag im September auch, und jetzt eben die Jährung von Sterben und Tod. Dann ist mir im Sommer auch noch mein Papagei gestorben, nach über 40 Jahren, so alt wie ich, und mit dem war ich auch seit langem "verheiratet" (sein Partnerersatz). Ausserdem war ein "Pflegefall", seit 10 Jahren blind, und mir schon deshalb besonders ans Herz gewachsen. Naja, dafür sind Hund und Katze wohlauf, und die Hühner haben sich sogar stark vermehrt (der Hahn funktioniert!). Leben geht, aber neues Leben kommt.

Was bleibt, ist Trauer, jeden Tag neu. Aber die Zeit fängt langsam an, die Wunden zu heilen. Die verzeifelten Phasen werden weniger und kürzer. Es bleibt auch Dank. An die Foren hier und v.a. an die vielen Freunde, die uns in der schweren Zeit beigestanden haben. Unbezahlten Urlaub genommen und in den nächsten Flieger gestiegen, wenn Not am Mann war. Und auch mich nachher nicht vergessen.

Es bleibt auch sonst Gutes, so komisch das klingt, wenn jemand viel zu früh an Krebs stirbt. Als meine Schwägerin, die seit Herbst oft hier war, auch bei der Aufbahrung meiner Frau, und ich hier am 6.01. zusammen in der Küche saßen, nachdem die Tage zuvor Freunde von meiner Frau Abschied genommen hatten und der Bestatter weg war, haben wir auf das Foto meiner Frau an der Wand geschaut und uns gesagt: "Na, wie haben wir das gemacht? Gut haben wir das gemacht! Die Schwester ist bestimmt zufrieden mit uns." Und wir waren gut, auch wenn mitunter einfach Glück dabei war. Meine Frau ist da und so gestorben, wie sie das wollte. Auch wo sie wollte im Friedwald beigesetzt und hier mit einer Feier verabschiedet. Mehr konnten wir nicht tun. Und darauf "zufrieden" zurückblicken zu können, hilft mir oft. Es hätte einiges besser laufen können, natürlich. Aber im großen ganzen war es "gut so".

Am Grab meiner Frau war ich immer noch nicht (ist in ihrer alten Heimat, 750 km weit weg). Habe ich auch nicht vor. Um die Entfernung geht's aber natürlich nicht. Ich habe kein schlechtes Gewissen deswegen, weil ich weiss, dass mir das nichts bedeutet. Und meiner Frau auch nicht. Für mich gehört sie hier her, in unser Zuhause, und da hat sie ihren "Grabstein" / Gedenkstein am Gartenteich, wo wir immer am liebsten zusammen gesessen haben. Da bin ich ihr näher als unter einer Buche im schwäbischen Friedwald, und zwar jeden Tag.

Für die Zukunft weiss ich auch nicht. Die Trauer wird weniger schlimm, das merke ich. Aber die Einsamkeit wird chronisch und nicht besser. Offenbar habe ich es im Laufe von 20 Jahren "verlernt", allein zu leben. Das ist eine echte Umgewöhnung. Kinder haben wir nicht. Mir fehlen nicht soziale Kontakte allgemein, auch nicht gute Freunde, die ich immer anrufen / besuchen und mit denen ich über alles reden kann. Mir fehlt meine Frau, meine Partnerin. Der Mensch, mit dem man morgens aufsteht, ihn verabschiedet, ihn nachmittags wieder sieht, mit ihm beim Essen sitzt und abends mit ihm schlafen geht. Mit der Gewissheit, dass er morgen und für immer da ist. Den man in- und auswendig kennt und er einen, dem man nichts mehr erklären muss, auf den man sich absolut verlassen kann. Mit dem man immer reden kann, aber nicht muss.

Das reissen auch noch so gute Freunde nicht raus. Von daher ist im Alltag mein Hund fast wichtiger als Freunde, denn der ist Tag und Nacht bei mir. Ich wünsche mir schon, dass sich daran was ändert. Und habe nicht vor, den Rest meines Lebens allein zu bleiben. Aber ich habe nicht den Elan und ausserdom große Zweifel, ob ich in meinem Leben nochmal jemdanden so gut kennenlernen und so ein Vertrauensverhältnis aufbauen kann wie zu meiner Frau. Wir haben ewig dazu gebraucht, und im Momnet denke ich: diesen Stress tue ich mir in meinem Leben nicht mehr an, dafür bin ich einfach zu alt. Kommt mal eine neue Partnerin des Weges, ist es schön (die Auserkorene will mich nicht haben, schon geklärt). Aber das eilt nicht. Und kommt niemand, kann ich immer noch eine WG aufmachen, wenn mir allein die Decke auf den Kopf fällt. 2 Zimmer kann ich problemlos vermieten. Aber das ist Zukunftsmusik. Mal schauen, ich mache mir da keinen Druck.

Im Moment ist es ganz OK so, wie es ist. Wenn wieder ein paar beschissene Tage aufeinander folgen, weiss ich ja, dass es auch wieder aufwärts gheht. Und ausserdem werden die Tage wieder länger und bald ist Frühling, dann sieht die Welt schon wieder ganz anders aus.

Viele Grüße,
Stefan
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