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Alt 02.02.2009, 14:36
Ypsi Ypsi ist offline
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Beiträge: 199
Standard Erfahrungen: Anträge für Pflege, Hilfsmittel etc.

Ihr Lieben,

vielleicht hilft es dem einen oder anderen Neuankömmling hier im Forum, ob nun Betroffener oder Angehöriger. Ich hatte, besonders zu Beginn der Krankheit, sehr oft das Gefühl, gerade von Behörden und Krankenkassen, ziemlich alleine gelassen zu werden…

Gerne möchte ich deshalb ein wenig von meinen/unseren Erfahrungen berichten und Tipps geben bezüglich diverser Anträge und Hilfen… Bitte versteht das nicht falsch, es geht natürlich um viel mehr als um finanzielle Unterstützung. Viele Familien werden jedoch durch die Krebserkrankung in finanzielle Nöte gebracht und da hilft jeder Euro…

Zunächst zu unserer Situation – jede Erkrankung ist natürlich anders, verläuft anders und auch die Voraussetzungen, ob nun wohnliche oder finanzielle Voraussetzungen, sind unterschiedlich. Das ist mir klar. Deshalb kurz zur Erklärung unserer Situation:
Mein Vater wurde wenige Wochen nach der Diagnose Lungenkrebs, nichtkleinzelliges Bronchialkarzinom, Stadium IV (nicht operabel, mit Wirbelsäulenmetastasen), im Juli 2008 zum so genannten Pflegefall. Mein Vater ist alleinlebend, meine Mum und er haben sich scheiden lassen. Ich bin das einzige Kind. Außer meiner Mutter und mir kümmert sich von der Familie (zwei Schwestern von ihm leben in unmittelbarer Nähe) Niemand.

Und noch eines vorab:
Verliert nicht den Mut, kämpft um euer Recht! Das kostet viel Energie, aber es lohnt sich.
Wichtig ist auch, sich bei der Krankenkasse mit dem zuständigen Sachbearbeiter persönlich zu treffen. Mit diesem Sachbearbeiter wird man sehr viel zu tun haben und wenn man sich einmal persönlich kennt, geht vieles leichter und schneller!

Antrag auf Zuzahlungsbefreiung:
Jegliche Ausgabe-Belege, die im Zusammenhang mit der Krankheit stehen, müssen gesammelt und aufbewahrt werden. Der Antrag auf Zuzahlungsbefreiung kann gestellt werden, sobald die Zuzahlungskosten 1% des Nettojahreseinkommens übersteigen. Dazu werden zwei Dinge benötigt:
- Bescheinigung vom Hausarzt, dass es sich um eine chronische Erkrankung handelt (diese Bescheinigung wird nicht von allen Krankenkassen eingefordert, aber von einigen). Normalerweise ist die Diagnose Krebs gleichbedeutend mit chronischer Krankheit.
- Antrag auf Zuzahlungsbefreiung bekommt man bei der Krankenkasse, bei manchen Kassen kann man sich das Formular auch von deren Homepage herunterladen.
Manche Krankenkassen lehnen einen Antrag im laufenden Kalenderjahr ab. Das ist nicht rechtens und dagegen kann und sollte man Einspruch erheben. Die Berechnung ist für die Krankenkasse einfach komplizierter, weil ja bis beispielsweise Mai normales Gehalt bezogen wurde und dann ab Juni die Krankschreibung erfolgte. Mit Beginn des neuen Kalenderjahres muss der Betroffene erneut einen Antrag stellen. D.h. auch dann muss man wieder die Belege sammeln, bis die Zuzahlungsgrenze erreicht ist und kann erst dann den Antrag auf Zuzahlungsbefreiung stellen.


Anträge auf Fahrtkostenerstattung:
Kann der Betroffene selbst nicht mehr Auto fahren und/oder muss in Begleitung zu Behandlungen gebracht werden, kann man einen Taxischein bei der Krankenkasse beantragen. Für ambulante Chemotherapien beispielsweise wird dieser Taxischein manchmal auch direkt von der behandelnden Klinik ausgestellt.
Für Angehörige nicht vergessen: Bei der Einkommensteuererklärung kann man angeben, dass man einen Angehörigen pflegt. Dort kann man sowohl Fahrkosten als auch sonstige Ausgaben aufführen.

Arbeitgeber:
Aufgrund der Krankschreibung gilt zunächst ein besonderer Kündigungsschutz für den Betroffenen. Manche Unternehmen versuchen jedoch während der Krankschreibung eine so genannte Änderungskündigung oder eine Änderung des Arbeitsvertrages anzustreben. Lasst euch hier juristisch beraten.
Angehörige von Betroffenen haben das Recht, sich krankschreiben bzw. vom Arbeitgeber freistellen zu lassen. Letzteres ist oft nicht realisierbar. Auch hier kann ich Angehörigen nur den Rat geben, sprecht offen mit euren Vorgesetzten und auch mit euren unmittelbaren Kollegen. Bittet um Verständnis, nicht um Sonderbehandlung, aber um Verständnis. Bittet darum, das eine oder andere Telefonat und/oder Fax vom Arbeitsplatz aus erledigen zu dürfen. Mir ist klar, dass das nicht in jedem Beruf geht und auch nicht jeder Chef bereit ist, diesen Bitten zuzustimmen.

Pflege und Pflegedienst:
Das ist insbesondere am Anfang der Krankheit ein psychisch sehr schwieriges Thema. Für den Betroffenen muss es sehr schlimm sein, zuzugeben, dass Hilfe von außen benötigt wird. Und auch als Angehöriger braucht es seine Zeit, zu verstehen und sich selbst einzugestehen, dass man nicht alles alleine stemmen kann. Für den Betroffenen ist es ohne Zweifel schwierig, Hilfe zum Beispiel bei der Körperpflege anzunehmen. Für meinen Vater beispielsweise wäre es unvorstellbar, dass ich als Tochter ihn dusche oder wasche.
Der Betroffene muss auf jeden Fall selbst entscheiden… man kann Pflegedienste zu einem unverbindlichen Erstbesuch bitten, völlig unabhängig davon, ob der Antrag auf Pflegeleistung schon gestellt oder sogar schon genehmigt ist. Bereits bei der Vereinbarung des Erstbesuches sollte man so viele Informationen wie möglich an den Pflegedienst weitergeben, so kann ein guter Pflegedienst schon vorab versuchen, den richtigen Betreuer zu finden. Auch wird ein guter Pflegedienst Betroffene und Angehörige bei der Erstellung des Erstantrages unterstützen.
Den Antrag auf Pflege bekommt man von der Krankenkasse. Optimal ist, wenn dem Erstantrag eine Kopie der Diagnose beiliegt. Dieser Antrag geht dann an den so genannten Medizinischen Dienst weiter. Dort wird ein Gutachten erstellt, entweder nach Aktenlage oder nach einem „Begutachtungsbesuch“ durch Mitarbeiter des medizinischen Dienstes. Dieses Gutachten wird mit einer Empfehlung des medizinischen Dienstes an die Krankenkasse weitergegeben. In 99% aller Fälle wird die Krankenkasse der Empfehlung des medizinischen Dienstes folgen. Die letztendliche Entscheidung liegt jedoch bei der Krankenkasse selbst.
In unserem Fall wurde die Pflegestufe I nach Aktenlage genehmigt. Die Pflegestufe II wurde nach einer Begutachtung genehmigt. Wichtig ist: sollte ein Antrag abgelehnt werden (was oft passiert) kann Einspruch erhoben werden. Wird diesem Einspruch dann beispielsweise aufgrund einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes dann zugestimmt, so gilt das Datum des ursprünglichen Antrages als Beginn der genehmigten Pflege. In unserem Beispiel war es recht klassisch: Antrag auf Pflegestufe II im Oktober 2008, Begutachtung durch den medizinischen Dienst im November 2008, Ablehnung des Antrages auf Höherstufung von Pflegestufe I in II im Dezember 2008; Einspruch unsererseits aufgrund erheblicher Verschlechterung des Allgemeinzustandes / erhebliche Erhöhung des Pflegebedarfes (hier muss der Antrag erneut ausgefüllt werden), Genehmigung des Antrages dann im Januar 2009 (rückwirkend zum Oktober 2008).
Das Pflegegeld kann dem Betroffenen folgendermaßen zugute kommen: einmal als Geld- und einmal als Sachleistung. Als Geldleistung gilt, wenn der Betroffene einen nahen Angehörigen mit der Pflege betraut und diesem dann das Pflegegeld für dessen Ausgaben und Zeitaufwand gibt. Die Sachleistung kann und sollte direkt mit dem Pflegedienst abgerechnet werden. Die Geldleistung beträgt etwa 50% der Sachleistung. D.h. lässt sich der Betroffene das Pflegegeld ausbezahlen, erhält er beispielweise in Pflegestufe I rund € 350,-; der Pflegedienst kann jedoch Sachleistungen bis zu € 600,- mit der Krankenkasse abrechnen. Es gibt bei den Pflegediensten auch bestimmte Bereiche, einmal die Hauswirtschaftshilfe (einkaufen, putzen etc) und die medizinische Hilfe am Patienten direkt.
Verhinderungspflege:
Jedem Betroffenen und dessen Angehörigem steht die so genannte Verhinderungspflege - unabhängig von der Pflegestufe zu. D.h. ist der Angehörige im Urlaub und/oder verhindert (Krankheit, Geschäftsreise), kann Verhinderungspflege beantragt werden. Diese wird einmal im Kalenderjahr zugesprochen. Die maximale Höhe beläuft sich auf ca. € 1.400,- Sachleistung. Auch diesen Antrag bekommt man von der Krankenkasse. Verhinderungspflege kann erst beantragt werden, wenn der Betroffene bereits volle sechs Monate eine genehmigte Pflegstufe hat.
Wird ein Antrag auf Pflege an die Krankenkasse gegeben, kann es teilweise Wochen oder sogar Monate dauern, bis eine Rückmeldung erfolgt. Hier zeigt sich wieder, wie wichtig es ist, mit dem Sachbearbeiter der Krankenkasse (persönlich) zu sprechen. Auch ist es möglich, mit dem medizinischen Dienst zu sprechen, die Situation nochmals am Telefon zu schildern und um rasche, eilige Bearbeitung zu bitten. Die Diagnose Krebs trifft leider oft Menschen, die mitten im Leben stehen. Von heute auf morgen müssen derlei Entscheidungen getroffen werden. Ich möchte die Situation älterer Menschen nicht schmälern oder die Schwierigkeiten, die deren Angehörige mit der Versorgung Ihrer Familienmitglieder haben. Dennoch ist es so, dass bei einer Krebserkrankung sehr viel schneller Veränderungen des Allgemeinzustandes eintreffen und man deshalb einfach schnellere Hilfe benötigt. Insofern sehe ich persönlich ein etwas „aufdringliches“ Nachfragen und Bitten bei der Krankenkasse, als auch beim medizinischen Dienst als legitim an.

Hilfsmittel, wie beispielsweise Greifhilfe, Rollstuhl, Sitzkissen, Badewannenlift, Toilettenerhöhung und und und
Der Hausarzt stellt ein Rezept über das benötigte Hilfsmittel aus, dieses Rezept muss bei der Krankenkasse eingereicht werden, dann erst kann die Bestellung bei dem Lieferanten erfolgen. Auch hier wird der Betroffene wieder von einem guten Pflegedienst unterstützt. Dort sind die Adressen von entsprechenden Lieferanten bekannt und auch die Ansprechpartner. D.h. im besten Fall stellt der Arzt ein Rezept aus und zwei Tage später wird der Badewannenlift schon geliefert und angeschlossen. Über weitere mögliche Hilfsmittel kann sowohl der Hausarzt, der Pflegedienst als auch die Krankenkasse Auskunft geben. Manchmal weiß man ja gar nicht, was es alles für Hilfsmittel gibt, welche dem Betroffenen Erleichterung verschaffen.

Wie gesagt, dieser nun doch recht lange Beitrag soll nur ein bisschen Unterstützung in Sachen Rechte und Hilfe in Sachen Pflege und sonstigen Dinge geben. Mag´ sein, hier sind Dinge aufgeführt, die für den einen oder anderen selbstverständlich sind.
Ich würde mich freuen, wenn weitere Informationen hier hineingeschrieben werden. Wenn Fragen sind, so versuche ich, sie gerne zu beantworten.

Ich habe bewusst versucht, die psychologischen Aspekte hier nicht aufzuführen, dass würde das Thema verfehlen und dafür bekommen wir alle Hilfe in unseren speziellen Untergruppen-Foren oder bei den Krebsberatungsdiensten der Kliniken.
Solltet ihr selbst, als Betroffene oder auch als Angehörige, dafür >kein Händchen< haben, sucht euch Hilfe. Wenn beispielweise die Schwester oder der Neffe ganz gut mit diesem Antrags-Brimborium (so sagt´s Paps immer) umgehen kann, bittet ihn oder sie um Hilfe. Für mich als Angehörige ist es ein gutes Gefühl, wenigstens dieses kleine bisschen tun zu können… weil ich ansonsten dieser Krankheit gegenüber doch sehr hilflos bin… und oft das Gefühl habe, einfach da zu sein, reicht nicht aus. Obwohl letzteres sehr sehr wichtig ist.

Viel Kraft euch Allen!

Liebe Grüße
Ypsi

Geändert von Ypsi (02.02.2009 um 14:42 Uhr) Grund: Thema Verhinderungspflege hinzugefügt
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