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Alt 25.08.2012, 00:39
dickie dickie ist offline
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Beiträge: 40
Standard Nun ist es vollbracht

Gestern starb mein lieber Mann. Wie nur haben wir diese letzte Woche überstanden? Ich fühle mich so unendlich leer, habe Sehnsucht, mein Herz tut so weh. Er hatte wohl niemals eine Chance gehabt, warum also hat er noch so vieles aushalten müssen? Nach der Verklebung der Lunge, nach immer mehr Komplikationen, haben wir ihn nach Hause geholt. Er war so froh. Eine Nacht wurde ihm geschenkt, bis am nächsten Vormittag ein Schmerz ausbrach, an dem er zerbrach. Er hatte noch geglaubt, Tarceva hätte den Tumorschmerz zum Stillstand gebracht. Aber Anzeichen dafür, dass wieder etwas hereinbrechen sollte, gab es immer mehr. Ich bin wahnsinnig geworden danebenzustehen, als er sich vor Schmerzen krümmte, immer wieder sagte: Solche Schmerzen habe ich noch nie gehabt. Was ist das, was ist das? Dann Durchfall, Erbrechen, Schwäche. In der Notaufnahme dieses Warten, diese immer wieder gleichen unsinnigen Fragen, während er es kaum aushalten konnte. Morphium wurde in den Bauch gespritzt, es half nichts, auch die nächste Dosis nicht. Das waren die schlimmsten Stunden in unserem gemeinsamen Leben, daneben zu stehen und so hilflos sein zu müssen. Am nächsten Tag Untersuchungen, die bestätigten, dass der Tumor mit dem Darm verwachsen war. Er konnte nicht essen, alles kam im großen Schwall sofort wieder heraus. Wie hat er sich in wenigen Stunden verändert, so eingefallen, so zittrig. Die Augen so groß, der Blick eines Sterbenden. Während er noch immer die Schmerzen aushalten musste, weil nichts, absolut nichts zu helfen schien, hörten wir die Schreie aus dem Kreisssaal. Es schien alles so unwirklich, absurd: da entstand zur gleichen Zeit neues Leben, während mein armer Mann mit Schmerzen am Ende seines Weges war. Ultraschall bestätigte, man musste sofort handeln. Ein künstlicher Ausgang wäre die letzte Möglichkeit ihn noch etwas zu halten. Er rief mich sogar an, mit fester Stimmer teilte er mir mit, dass er sofort operiert werden würde. Ich weiß, er strengte sich so sehr an, täuschte Zuversicht vor, wo es nichts mehr gab. Man sprach von Wochen, ein gemeinsames Weihnachten wohl eher nicht, dann von Tagen. In großer Hektik versuchten wir meine Tochter aus ihrem Urlaub zurückzuholen. Mein Mann hatte darauf bestanden, dass sie ihn antrat, obwohl sie nicht fahren wollte. Nun ging es um Stunden. Man öffnete seinen Bauchraum, um ihn gleich wieder zu schließen. Die Ärzte waren entsetzt, als sie sahen, dass der gesamte Bauchraum voller Metastasen war, der Darm schwarz, abgestorben, zum Teil von ihnen umschlungen. Der Tumor war geplatzt und hatte sein Gift überall verstreut. Welche unendlichen Qualen muss mein Mann ausgestanden haben. Wie tapfer muss er gewesen sein! Was kann ein Mensch alleine aushalten? Die operierende Ärztin meinte, wir sollten morgens zu einem Gespräch kommen, damit man überlegt, wie es weitergehen könnte. Meine Tochter drängte darauf, auch zu dieser späten Stunde zu ihm zu fahren, denn unerträglich wäre es, wenn er beim Aufwachen niemanden von uns sähe. Welch ein Glück, dass wir das getan haben und nicht bis zum Morgen gewartet. Das Einzige, was jetzt noch zählte, waren die letzten schmerzfreien Stunden. Es brach mir das Herz ihn so zu sehen. Sollte das alles gewesen sein. Alles zu Ende, vorbei. Wir blieben an seiner Seite, hielten seine Hand, streichelten und küssten ihn. Er atmete so schwer, die Pausen immer länger, diese schreckliche Schnappatmung. Wir sagten ihm immer wieder, wie sehr wir ihn lieben, dass er alles richtig gemacht hat, wie dankbar wir ihm sind für alles, was er uns, seiner Familie mitgegeben hat. Die Nacht verging, die Stunden wie ein ganzes Leben. Eine einfühlsame Nachtschwester stellte ein Bett dazu, versorgte uns mit Kaffe, gab uns zu essen, tröstete uns. Ein junger Stationsarzt, der den Tag zuvor meinen Mann noch entlassen hatte, war zutiefst bekümmert, konnte es mit uns nicht fassen, was nun geschah. Mein Mann starb. In den frühen Morgenstunden fuhren meine ältere Tochter und ich nach Hause, saßen schweigend zusammen, blickten uns an. Es tat so weh, dort hing seine Jacke, seine Brille, das aufgeschlagene Buch. Alles vorbei. Ein Leben vollbracht nach kurzer schwerer Krebserkrankung, die ihn aufgefressen hat. Jeden Tag musste er ein Stück mehr abgeben, bis nichts mehr übriggeblieben war.
Meine jüngere Tochter schaffte es nicht mehr rechtzeitig.
Nun ist es still. Ich stehe im Schlafzimmer, sehe das Bett, in dem er gelitten hat, die Medikamente, den Stützstrumpf, die Brechschüssel. Ich bin fassungslos, vier Monate Kampf, bei dem ihm der Krebs nie eine Chance gegeben hatte. Nun ist er erst seit gestern tot und schon musste ich so viele seltsame Dinge klären. Unfassbar.
Ich möchte mich bedanken bei denen, die mir Mut gemacht haben, mit mir meinen Kummer geteilt und ihn verstanden haben. Danke dafür, dass ich nicht alleine sein brauchte. Allen, die als Angehörige ihre Lieben begleiten, wünsche ich unerschütterliche Kraft. Diese Krankheit verändert alles, sie ätzt das Leben weg. Aber dennoch bei allem Schmerz hat sie mir und meiner Familie gezeigt, dass wir ihr mit unserem Trotz, dem Zusammenhalt, mit unserer Liebe etwas entgegenzusetzen hatten. Wie heißt es:
Es ist nicht entscheidend das Leben mit Tagen, sondern die Tage mit Leben zu füllen.
Das ist uns trotzallem gelungen, dafür bin ich unendlich dankbar.
Ich bin so unendlich traurig und fürchte mich vor dem nächsten Mittwoch, vor der Beerdigung.
Aber er hat es geschafft, wir müssten uns vor Freude umschlungen halten. Er hat es endlich hinter sich und kein würdeloses quälendes Abtreten mehr.
Es ist vollbracht.
Dickie
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