Krebs-Kompass-Forum seit 1997  


Zurück   Krebs-Kompass-Forum seit 1997 > Allgemeine Themen > Gedenkseite - Place of Memory

Antwort
 
Themen-Optionen Ansicht
  #1  
Alt 22.11.2005, 17:58
Barbara 64 Barbara 64 ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 02.12.2003
Ort: Deutschland/Hessen
Beiträge: 37
Standard AW: Zwei Jahre danach...

Du hattest Papa schon aufgegeben, als er im März 1992 mit der Diagnose Lungenkrebs nach Hause kam. Die Zeit bis zu seinem Tod an Heiligabend war für Dich im Grunde eine Wartezeit auf das sichere Ende. Eine Zeit, in der Du mir immer wieder gesagt hast, daß er sterben würde, bald schon...
Als Du nun selbst betroffen warst, war der Tod auch ein Thema, doch wichtiger waren Therapie und Hoffnung. Du hast viel gesprochen über Deine Gedanken und Gefühle, und ich habe Dir die sogenannte 'Wahrheit' gesagt. Es stand nicht gut für Dich, viele Jahre würden es wohl nicht mehr werden, doch es gab die Möglichkeit einer Chemo mit einer guten Prognose zumindest für eine Stagnation. Ich wollte mit Dir zu einem weiteren Arzt, wenigstens mit Deinen Unterlagen nach Heidelberg, doch Du wolltest das nicht. Du hattest Dich für die Chemo entschieden und basta.

Während der Woche, die Du noch im Krankenhaus bleiben mußtest, habe ich Dich täglich besucht. Du hattest viele kleine Wünsche, und Du hast 'Krankenhausbekleidung' gebraucht. Ich hatte während meiner Besorgungen für Dich immer wieder die Situation damals mit Papa im Kopf... Du warst sehr rigoros damals, und ich erinnere mich noch heute daran, wie weh mir Deine pragmatische Gleichgültigkeit tat... Es gab Momente, da hätte ich Dir am liebsten gesagt, daß Krankenhauskost doch völlig ok ist und ich an Flügelhemdchen auch nichts auszusetzen finde... Zum Glück war ich dann aber doch erwachsen genug, meine kleinen Racheimpulse nur in meiner Phantasie auszuleben.

Wir hatten kurze, doch sehr offene Gespräche, Mama, dies etwas, wofür ich sehr dankbar war und bin. Zum einen sicher deshalb, weil ich die Atmosphäre zwischen uns angenehmer fand, zum anderen, weil ich mich seit Papas Tod immer wieder gefragt habe, ob es an mir lag, daß Sterben zwischen ihm und mir kein Thema war. Ich glaube schon, daß er gewußt hat, daß es keine Heilung gibt, doch ich war mir nie sicher, ob er nicht doch hätte reden wollen, ob ich nicht hätte fragen sollen...
Ich hätte auch mit Dir lieber über Deine Lebenspläne geredet, doch in unseren Gesprächen über Sterben habe ich gespürt, daß ich nicht ausweiche, wenn ich das Gefühl habe, es ist ein Thema, und das hat mir ein gutes Gefühl für mich gegeben, eine Art von Sicherheit meiner Selbst, die ich vorher nicht so gewiß hatte.´

Du warst für mich 'wie neu', ich habe völlig neue Facetten von Dir erlebt; plötzlich waren Dinge, die Dir vorher Angst gemacht haben, kein Problem mehr. Daß sich in Extremsituationen die Prioritäten ändern, daß wir Dinge auf einen Schlag anders sehen und empfinden weiß ich aus eigener Erfahrung, daß sich irgendwie die ganze Persönlichkeit 'umdreht', kam für mich unerwartet. Und ich frage mich bis heute, welches war Dein wahres Ich...


Ein Traum, ein Traum ist unser Leben
Auf Erden hier.
Wie Schatten auf den Wolken schweben
Und schwinden wir.
Und messen unsre trägen Tritte
Nach Raum und Zeit;
Und sind (und wissen's nicht) in Mitte
Der Ewigkeit...

Johann Gottfried Herder
Mit Zitat antworten
  #2  
Alt 30.11.2005, 10:30
Barbara 64 Barbara 64 ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 02.12.2003
Ort: Deutschland/Hessen
Beiträge: 37
Standard AW: Zwei Jahre danach...

Ich habe Dich abgeholt, als Du aus dem KKH entlassen wurdest. Du warst guter Dinge doch sehr schwach.

Endlich zu Hause... Und Du wolltest nie wieder in ein Krankenhaus.

Du warst voller Zuversicht, hast Dir selbst gekocht und mit einer Bekannten kurze Spaziergänge geplant und gemacht. Schließlich wolltest Du wieder zu Kräften kommen. Und in der ganzen Zeit keine Klagen, kein Genörgel... ach, Mama...

In der ersten Nacht nach Deiner KKH-Entlassung habe ich bei Dir geschlafen, danach wolltest Du das nicht mehr, es ging Dir 'gut', und ich hatte die Notrufanlage vom ASB besorgt, alles ok. Und es ging tatsächlich 'aufwärts'.
Du hast Dir Gedanken gemacht, was wohl wird. Und Du hast mir gesagt, daß Du keinesfalls in einem Krankenhaus sterben wolltest, wenn es soweit sein würde, dann wolltest Du in ein Hospiz. Ich habe dann mit zunehmender Verzweiflung nach einem gesucht, habe jeden gefragt... Kaum einer hatte Verständnis dafür, daß ich das mit Hochdruck betrieben habe, schließlich ging es Dir soweit gut. Mir ging es nicht gut, denn ich wollte Dir Deinen Wunsch erfüllen und sah keine Möglichkeit. Das einzige Hospiz in der Nähe hatte eine Warteliste, zwei bis drei Monate im Voraus... Wie sollte ich denn festlegen, ob und wann Du sterben würdest ? Das hat mich ziemlich fertig gemacht damals.

Con hat mich sehr unterstützt in dieser Zeit, und auch unser Kleiner, der mit seinen damals zehn Jahren fast schon ein Großer war, hat mir viel geholfen allein dadurch, daß ich mit ihm auch mal auf andere Gedanken kommen konnte. Und Du, die meine zwei Lieben jahrelang abgelehnt hat, warst mit einemmal offener. Wir hatten Dich im KKH besucht, und Du warst vollkommen überrascht, daß der Junge mitwollte; doch, Mama, er wollte... er hat Dich sehr gemocht die ganzen Jahre, wollte Dich immer wieder besuchen und hat nicht verstanden, daß ich das nicht wollte - ich habe ihm nie gesagt, daß Du nicht wolltest, daß sie mitkommen... An Deinem Geburtstag durften sie auch nicht kommen, beim letzten hat er gefragt, und ich habe gesagt, daß wir zu Dir gehen, wenn wir in Ruhe zusammen sein können ohne viele Leute... Ich habe Dir das sehr übel genommen, Mama, und ich bin auch nicht zu Deiner Feier gekommen - und das ist das einzige, was ich tatsächlich bereue...

Deine erste Chemo... Ich bin mit Dir zum Onkologen gegangen, Du warst sehr gefaßt, ich war sehr nervös... Wieder zu hause war die ersten Stunden alles ok, dann haben Dich die Nebenwirkungen doch erwischt. Zum Glück war Dein Hausarzt jederzeit bereit, zu Dir zu kommen, und er konnte auch mich ein wenig beruhigen. Ich bin dann die Nacht über bei Dir geblieben, und am nächsten Tag, ein Samstag - ich werde nie verstehen, warum man eine erste Chemo an einem Freitag macht - war wieder alles im Lot. Es ging Dir gut, Du hattest Hunger, also haben wir gefrühstückt. Und danach hast Du mich nach hause geschickt, alles ok, es geht Dir gut, Du hast Besuch eingeladen zum Kaffee...

Mama, ich fand ganz erstaunlich, wie Du Dich verhalten hast... Ich weiß schon, Du hattest Angst, Du hast Dir Sorgen gemacht... Doch bei all dem warst Du so optimistisch und energisch... Ich war wirklich beeindruckt von Dir.



Ein Traum, ein Traum ist unser Leben
Auf Erden hier.
Wie Schatten auf den Wolken schweben
Und schwinden wir.
Und messen unsre trägen Tritte
Nach Raum und Zeit;
Und sind (und wissen's nicht) in Mitte
Der Ewigkeit...

Johann Gottfried Herder

Geändert von Barbara 64 (05.12.2005 um 19:20 Uhr)
Mit Zitat antworten
  #3  
Alt 05.12.2005, 19:18
Barbara 64 Barbara 64 ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 02.12.2003
Ort: Deutschland/Hessen
Beiträge: 37
Standard AW: Zwei Jahre danach...

Wir haben viel geredet, auch über die Zeit, als Papa gestorben ist. Ich habe Dir gesagt, was mich damals gestört und verletzt hat, und es schien so zu sein, als ob Du zum ersten Mal zuhören konntest. Du meintest, Du würdest Dich gar nicht erinnern, aber wenn das wirklich alles so gewesen sei, dann täte es Dir leid...
Mama, es war so, tatsächlich war es viel schlimmer, als es sich in einem Gespräch anhören kann. Ich habe kaum glauben können, daß Du Dich nicht erinnert hast, aber Du warst immer ganz gut im Verdrängen von Wahrheiten, die Dich schlecht dastehen ließen. Doch zum ersten Mal konntest Du zumindest zulassen, daß es da auch noch eine andere, meine Wahrnehmung gab.

Du wußtest, daß Du nicht mehr 'ewig' zu leben hattest, hofftest auf ein Jahr... Dein Ziel war, zumindest Deinen 70. Geburtstag im Juli 2004 zu feiern. Ich würde ja da sein, Dich unterstützen, Dir beistehen. Und wir haben Weihnachten verplant, Du würdest Heiligabend zu uns kommen und bei uns schlafen...
Mama, war Dir eigentlich bewußt, wie vollkommen absurd das Ganze war ? Jahrelang dieser unsinnige Kampf, jahrelang Dein Mißtrauen, jahrelang Deine erfolglosen Versuche, mich zu ändern, und plötzlich, in dieser tatsächlich ernsten Situation vertraust Du mir bedingungslos, baust auf mich, akzeptierst Con... und findest das ganz 'normal'...

Ich fand das vollkommen verrückt, empfinde es heute noch als unwirklich. Sicher, einerseits war das schön, auch Papa hat, als es ernst wurde, auf mich vertraut, und so sollte es ja auch sein. Andererseits hattest Du wenige Chancen ausgelassen, um die Distanz zwischen uns zu bewahren. Deine sogenannten Freunde, die Nachbarn, alle Meinungen waren eher Maßstab für Dein Urteil über mich als die Frage, ob ich froh und zufrieden bin. Plötzlich waren alle 'weg', und ich durfte sein, wie ich bin, selbst meine Freunde waren Dir plötzlich wertvoll, weil sie mich unterstützt haben und Dich auch...
Es war ein merkwürdiges Gefühl, nach all den Jahren war es so, wie ich es mir gewünscht hätte, und nun konnte ich es Dir nicht glauben. Und ich glaube es bin heute nicht, habe bis zum heutigen Tag Zweifel daran, ob das, was es damals war, wahrhaftig war...

Con und auch die anderen sagen mir, ich solle darauf vertrauen, Du hättest mich lieb gehabt und eine wirkliche Verbindung zu mir. Sie können zwar meine Zweifel verstehen, und sie empfinden auch den Widersinn in dem Ganzen. Doch sie können nicht fühlen, was ich fühle: Meine Mutter, von der ich mich nie wirklich geliebt fühlte, hat plötzlich eine gewisse Nähe zugelassen... Und ich konnte es nicht genießen. Ich habe es nicht gespürt in mir. Ich wußte nur, daß Du auf meine Verläßlichkeit bauen konntest und darauf, daß ich alles tun würde, was Du für Dich wolltest, weil Du das bei Papa erlebt hattest. Du hattest keine Wahl: Mich oder Keinen, und Du hast Dich für mich entschieden.
Manchmal wünsche ich mir, ich hätte ein Gefühl, das mir sagt, daß das nicht einfach nur die zweitschlechteste Alternative für Dich war. Doch da ist nichts...


Ein Traum, ein Traum ist unser Leben
Auf Erden hier.
Wie Schatten auf den Wolken schweben
Und schwinden wir.
Und messen unsre trägen Tritte
Nach Raum und Zeit;
Und sind (und wissen's nicht) in Mitte
Der Ewigkeit...

Johann Gottfried Herder
Mit Zitat antworten
  #4  
Alt 07.12.2005, 12:26
Barbara 64 Barbara 64 ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 02.12.2003
Ort: Deutschland/Hessen
Beiträge: 37
Standard AW: Zwei Jahre danach...

Heute vor zwei Jahren warst Du mit uns zum letzten Mal an Papas Grab. Du hast nicht viel geredet, und ich habe keine Ahnung, was in Dir vorging. Heute, rückblickend, frage ich mich, ob Du daran gedacht hast, daß Du da auch liegen würdest... Hast Du geahnt, wie bald das sein würde, Mama ? Ich glaube nicht. Wir alle haben mehr Zeit erwartet...

Danach warst Du bei uns zum Kaffeetrinken, 2. Advent... Es war ein schöner Nachmittag, Du warst guter Dinge, hast unsere Plätzchen probiert, gescherzt, gelacht... Cons Mutter war da, und ihr habt Euch unterhalten, ich glaube, Du hast es genossen. - Weißt Du, früher dachte ich, irgendwann würde ich sie vielleicht auch mit irgendeinem 'Mutter-Namen' ansprechen können, ich glaube, sie wünscht sich das auch ein bißchen... Seitdem Du tot bist kann ich mir das überhaupt nicht mehr vorstellen... Ich werde nie mehr zu jemandem 'Mama' sagen...
(Unser kleiner großer Nick versucht manchmal, die Vornamen zu benutzen, einige seiner Freunde tun das bei deren Eltern, klingt ja auch nicht cool, 'meine Mama'... Ich habe ihm gesagt, daß er sich das gut überlegen soll: alle benutzen die Vornamen, Mama und Papa gilt nur für ihn, ganz exclusiv... Das fand er dann doch wieder besonders. Und in der Schule spricht er von seiner 'Mutter' bzw. seinem 'Vater', das klingt erwachsen genug... Dich hat er beim Vornamen genannt. Manchmal denke ich, es hätte ihm gefallen, Oma zu Dir zu sagen...)

Du warst sehr müde und schlapp, und irgendwann hast Du Dich dann aufs Sofa gelegt und bist eingeschlafen. Nick ist in irgendein Kindertheaterstück gegangen, er wollte Dich nicht wecken und hat Dir einen Zettel geschrieben, 'Tschüss...'.
Er hat Dich an diesem Tag zum letzten Mal gesehen. Als ich Monate später all Deine Sachen, die tausend Kleinigkeiten geräumt habe, habe ich diesen Zettel gefunden, Du hattest ihn mitgenommen und aufbewahrt. Das hat mich schon sehr gerührt... und gefreut für ihn. Ich habe ihm seinen Zettel gezeigt, er war spürbar bewegt... Schade, Mama... Du hättest alle Chancen bei ihm gehabt, und genutzt hast Du nur die letzte... Nick weiß das nicht so, wie wir es wissen, er hat Dich in guter und fröhlicher Erinnerung, und das darf auch so bleiben.

Ein Traum, ein Traum ist unser Leben
Auf Erden hier.
Wie Schatten auf den Wolken schweben
Und schwinden wir.
Und messen unsre trägen Tritte
Nach Raum und Zeit;
Und sind (und wissen's nicht) in Mitte
Der Ewigkeit...

Johann Gottfried Herder
Mit Zitat antworten
Antwort

Lesezeichen


Aktive Benutzer in diesem Thema: 1 (Registrierte Benutzer: 0, Gäste: 1)
 

Forumregeln
Es ist Ihnen nicht erlaubt, neue Themen zu verfassen.
Es ist Ihnen nicht erlaubt, auf Beiträge zu antworten.
Es ist Ihnen nicht erlaubt, Anhänge hochzuladen.
Es ist Ihnen nicht erlaubt, Ihre Beiträge zu bearbeiten.

BB-Code ist an.
Smileys sind an.
[IMG] Code ist an.
HTML-Code ist aus.

Gehe zu


Alle Zeitangaben in WEZ +2. Es ist jetzt 21:03 Uhr.


Für die Inhalte der einzelnen Beiträge ist der jeweilige Autor verantwortlich. Mit allgemeinen Fragen, Ergänzungen oder Kommentaren wenden Sie sich bitte an Marcus Oehlrich. Diese Informationen wurden sorgfältig ausgewählt und werden regelmäßig überarbeitet. Dennoch kann die Richtigkeit der Inhalte keine Gewähr übernommen werden. Insbesondere für Links (Verweise) auf andere Informationsangebote kann keine Haftung übernommen werden. Mit der Nutzung erkennen Sie unsere Nutzungsbedingungen an.
Powered by vBulletin® Version 3.8.7 (Deutsch)
Copyright ©2000 - 2024, vBulletin Solutions, Inc.
Gehostet bei der 1&1 Internet AG
Copyright © 1997-2024 Volker Karl Oehlrich-Gesellschaft e.V.
Impressum: Volker Karl Oehlrich-Gesellschaft e.V. · Eisenacher Str. 8 · 64560 Riedstadt / Vertretungsberechtigter Vorstand: Marcus Oehlrich / Datenschutzerklärung
Spendenkonto: Volker Karl Oehlrich-Gesellschaft e.V. · Volksbank Darmstadt Mainz eG · IBAN DE74 5519 0000 0172 5250 16 · BIC: MVBMDE55