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Alt 20.01.2014, 03:00
Sonnenkind1986 Sonnenkind1986 ist offline
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Beiträge: 3
Beitrag Halbwaise als junger Erwachsener - Erfahrungsberichte

Hallo liebe Forum-Nutzer, liebe Hinterbliebene,

ich suche speziell den Erfahrungsaustausch mit anderen jungen Erwachsenen, die einen Elternteil verloren haben. Ich meine damit insbesondere diejenigen, die noch keine eigene Familie gegründet haben, wahrscheinlich zwischen 20 und 30 Jahre alt.
Natürlich freue ich mich auch über Antworten von denjenigen, die über 30 sind und selbst Familie haben und gerne ihre Erfahrungen in diesem Beitrag teilen möchten.

Der Begriff Waise oder Halbwaise wird per gesetzlicher Definition nur noch bis zum Jugendalter verwendet, im Erwachsenenalter nicht mehr. Dennoch erhält man, sofern man Student ist, bis zum 27. Lebensjahr eine (Halb-)Waisenrente, von daher lässt sich der Begriff doch noch etwas ausgedehnter verwenden - es geht mir jedoch nicht um den Begriff.

Per Gesetzt schon erwachsen aber durch das Nicht-haben einer eigenen Familie immer noch mehr Kind als Erwachsener geblieben, ob von Zuhause ausgezogen oder nicht. Ich möchte gerne erfahren, wie andere junge Menschen den Verlust eines Elternteils erlebt haben und welche Auswirkungen das bisher auf ihr Weiterleben hatte.

- Wen habt ihr verloren (Vater oder Mutter)? Wie alt wart ihr zu dem Zeitpunkt? Wie lange dauerte die Krebserkrankung?
- Wie habt ihr die Zeit der Trauer durchlebt bzw. durchlebt sie noch?
- Welchen Einfluss hat der Verlust des Elternteils auf euren Alltag?
- Wie ging es für euch weiter im Job / Studium?
- Umfeld: Findet ihr viel Verständnis und Trost in eurem Freundeskreis? Fühlt ihr euch verstanden?
- Habt ihr eine große oder kleine Familie (Einzelkind)?
- Hat sich der Verlust bei euch körperlich geäußert (z.B. Schlafstörungen, Schmerzen, Unruhe, Krankheiten, was auch immer)
- Inwiefern habt ihr euch danach verändert?
- Inwiefern hat sich eure Lebenseinstellung / Lebensanschauung verändert?
- Was hat euch in den Zeiten der Trauer besonders gut getan und was ging überhaupt nicht?
- Was hat die schwere Zeit vor dem Tod - die Krebserkrankung - in euch verursacht, in euch verändert?
- Glaubt ihr an ein weiterleben nach dem irdischen?


Ich weiß, das sind viele Fragen und man kann sicher viel dazu schreiben, deswegen bin ich umso mehr dankbar für Antworten!
Ich mache natürlich gerne den Anfang und teile meine Geschichte.

Ich habe am 4.03.2013 meinen Vater an Bauchspeicheldrüsenkrebs verloren. Er war 57 Jahre alt, ich 26 und sein einziges Kind, einzige Tochter.
Zu diesem Zeitpunkt hatte ich mein Studium beendet, ins Berufsleben eingestiegen und bin gerade dabei gewesen, auszuziehen. Da ich aber die 26 Jahre immer mit meinen Eltern gelebt habe (zumindest im gleichen Haus) und sonst keine Geschwister / Familie hier habe, waren meine Eltern immer für mich mein ein und alles.
Nach einundhalb Jahren seit Diagnose ist mein Papa in meiner Anwesenheit gestorben, sehr qualvoll. Das hat mich völlig aus der Bahn geworfen.
Ich habe meine Kraft in den 1,5 Jahren seit Diagnose ausschließlich für kämpfen, hoffen und positiv denken aufgebraucht. Die Lage war von Anfang an aussichtslos, aber auch mein Vater wollte kämpfen, also zog ich erst recht mit. Als er starb, war es so, als sei ein sehr großer Teil von mir mit ihm mitgestorben. Der Teil, der Lebensfreude und Energie enthält.
Nach seinem Fortgang litt ich monatelang, bis heute noch zum Teil vorhanden, an extremen Erschöpfungszuständen und Überforderung durch die kleinsten alltäglichen Aufgaben. Schlafstörungen, Haarausfall, Kopfschmerzen.
Die Sehnsucht nach ihm und das Bedürfnis zu erfahren, was mit ihm passiert ist und wie es ihm geht, schienen mich regelrecht zu zerreißen. Der Schmerz übertönte alles. Ich habe monatelang einfach alles schleifen lassen und nichts machen können. Für mich hatte fast alles an Bedeutung und Wichtigkeit verloren, nichts schien mehr weder schön noch schlimm zu sein.
In Gedanken ging ich den Krankheitsverlauf immer und immer wieder durch und machte mir Vorwürfe, was man hätte noch alles probieren und tun können. Ich komme bis heute nicht mit der Tatsache klar, dieser Situation so machtlos und hilflos ausgeliefert gewesen zu sein, von vornherein ohne Chance. Ich denke, dass auch dieses Gefühl der Hilflosigkeit und Ohnmacht mich so lange wie gelähmt hat. Die Bilder der Sterbeszenen meines Vaters verfolgen mich bis heute. Ich möchte keine Details beschreiben, aber es war ein Horror-Szenario, das mich immer wieder heimsucht.
Von meinen Freunden, alle mehr oder weniger in meinem Alter, habe ich viel Mitgefühl und Hilfe erhalten. Dennoch hatte niemand von ihnen bisher einen nahen Verwandten verloren (zum Glück!) und das merkte ich auch schnell. Ich hatte stets das Gefühl unverstanden zu sein und durfte mir nicht selten auch ziemlich blöde (gut gemeinte) Ratschläge anhören, die nie von Menschen kommen würden, die das selbst schonmal durchlebt haben. Ich habe mich zwischenzeitlich sehr isoliert und verkrochen. Und auch jetzt, 10 Monate später, habe ich immer noch Schwierigkeiten mich über irgendetwas zu freuen oder mich für etwas zu begeistern.
Ich selbst bin in der Wirtschaftsbranche tätig gewesen und habe schnell festgestellt, wie emotionslos und aufgesetzt das Arbeitsleben dort stattfindet und das vor allem nur eines zählt: Leistung. Nochmal Leistung, und noch mehr Leistung. Dann bitte schnelle Erfolge, und Überstunden sind doch selbstverständlich. Pünktlich nach Hause zu gehen ist schon schräg, und krank sein, das geht schonmal gar nicht. Persönliche Probleme bleiben Zuhause aber die soll es sowieso generell nicht geben! Unsere Gesellschaft hat sich in extremster Weise zu einer Leistungsgesellschaft entwickelt, in der das Privatleben keinen Platz mehr hat. Vor allem bei jungen Menschen wird desöfteren eine 70-h-Woche als normal betrachtet. Ich war nicht bereit, weiter daran teilzuhaben, abgesehen davon, dass ich mental und körperlich auch nicht mehr dazu in der Lage war. Ich war nicht bereit, mich zu verstellen und an diesem Wahnsinn dran teilzuhaben, gelangte ich doch zu dem schmerzlichen Wissen, wie schnell das Leben vorbei sein kann. Plötzlich verstand ich die Bedeutung von dem Satz "Das Leben in kurz" wahrhaftig.

Die "ersten" Ereignisse waren wie bestimmt bei jedem Verlust besonders schmerzhaft. Erster Geburtstag, erstes Weihnachten, etc. Dies wurde sehr durch die Tatsache bestärkt, dass ich sonst außer meiner Mutter und Tante keine Familie hier habe und man zu diesen Festen einfach den Halt einer großen Familie nicht spüren konnte.
Die Zeit scheint schneller zu vergehen als sie es je getan hat. Es ist, als sei es 10 Wochen her und noch immer ist es nicht ganz begreifbar, was da überhaupt geschehen ist.
Mein Vater war eine sehr starke Person und der "Fels in der Brandung". Auf ihn konnte man sich immer verlassen und er hat alles für meine Mutter und mich getan. Mit ihm war alles einfach sicher. Durch seinen Tod ist gleichzeitig die Sicherheit des Familiendaseins weggefallen. Ich bin in den nächsten paar Jahren soweit selbst zu heiraten und Kinder zu bekommen, und das alles wird er nicht mehr miterleben, das bricht mir das Herz.
Ich selbst habe vorher an kein Weiterleben nach dem Tod geglaubt, habe mich aber für das Thema geöffnet und mich mit Nahtodberichten aus aller Welt auseinandergesetzt. Zweifel bleiben, dennoch spendet es mir Trost und Hoffnung, dass es meinem Vater jetzt gut geht und dass wir uns doch noch eines Tages wiedersehen.
Aber gegen das Vermissen? Dagegen habe ich bisher noch keinen Trost oder Milderung gefunden...


Ich freue mich über weitere Erfahrungsberichte und danke herzlich im Voraus.

Liebe Grüße
XXX
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