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  #1  
Alt 25.04.2011, 15:48
Kleines Kleines ist offline
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Registriert seit: 25.03.2011
Beiträge: 7
Standard Mein Vater hat Lungenkrebs - Gedanken einer Angehörigen

Bei meinem Vater, 71 Jahre, wurde im März diesen Jahres Lungenkrebs diagnostiziert.
Metastasen in Leber, Wirbelsäule, Gehirn.

Seit dem gehen mir viele Gedanken durch den Kopf.
Das Umfeld, die Gesellschaft, scheint noch weniger damit umgehen zu können als ich.

Ich möchte dieses Thema nutzen, um endlich all diesen egoistischen, traurigen Gedanken einen Platz zu geben.
Mir steht nicht mehr der Sinn danach, stark zu sein. Allen etwas vorzuspielen, alles sei gut, es gehe einem bestens.
Nur um andere nicht in die peinliche Lage bringen zu müssen, Mitgefühl zu zeigen.
Zuweilen bin ich angewidert von einer Gesellschaft, in der es keinen Platz für Trauer gibt. Man muss funktionieren.

Der Grund, warum mich gerade das, und nicht die Diagnose meines Vaters tangiert, liegt wahrscheinlich in unserer Familiengeschichte.
Ich bin dem Tod schon früh begegnet. Vor fast genau 20 Jahren starben meine Geschwister mit 26 und 31 Jahren. Ich selbst war 10, mein Vater 51, meine Mutter 49 Jahre.
Das ist etwas, was man kaum überwinden kann. Und die Gesellschaft hat das ihre getan. Es hat mich in meiner Entwicklung stark beeinflusst. Nicht nur der Tod meiner Geschwister, sondern viel mehr, wie damit umgegangen wurde.
Ich wurde gemieden, geschnitten, beleidigt, gemobbt. Gerade zu einer Zeit, in der man auf Mitgefühl, Verständnis und Hilfe hofft.

Und das kommt alles wieder hoch. Denn mein Vater ist schwer krank.

Von der Gesellschaft wird mir nicht gestattet zu trauern, zu leiden und einfach Unglücklich zu sein.

Ich habe wohl etwas zu spät angefangen hier zu schreiben, denn nun gibt es so vieles, was mir auf dem Herzen liegt, dass es mehrerer Beiträge bedarf.

Ich denke, dass andere sich in diesen Gedankengängen wiederfinden.
Das man mit all dem Leid und den Sorgen nicht allein ist.

Das es einen Platz gibt, an dem man auch unglücklich sein kann.
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  #2  
Alt 25.04.2011, 16:15
Kleines Kleines ist offline
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Registriert seit: 25.03.2011
Beiträge: 7
Standard AW: Mein Vater hat Lungenkrebs - Gedanken einer Angehörigen

Mein Vater war bis zur Diagnose ein äußerst umtriebiger Mensch.
Er arbeitete noch 12h täglich, am Wochenende war er eigentlich immer unterwegs.

Ich gebe zu, er war nie ein guter Vater. Nicht das, was man sich idealer Weise wünscht. Aber er ist nunmal mein Vater und ich liebe ihn mit all seinen Fehlern.

Es ist furchtbar traurig zu sehen, wie er leidet. Er war ein äußerst drahtiger Mann, oftmals jünger geschätzt, mit viel Energie.

Zu sehen, wie traurig und hoffnungslos er nun ist, tut mir in der Seele weh.
er ist nur noch ein Schatten seiner selbst.

Nur in seiner Nähe schaffe ich es stark zu sein. Weil ich mich zu sehr darüber freue, dass er noch lebt. Er ist noch da. Und nach der Chemo.....
*alles wird wieder gut*
Solange er da ist, verschiebt sich die Realität. Alles ist nur halb so wild.
Es wird auch bessere Zeiten geben.

Wenn er völlig erschöpft von einer kleinen Radtour nach Hause kommt und erzählt, wo er gewesen ist, mit diesem triumphalen Glänzen in den Augen, dann freue ich mich mit ihm.
An manchen Tagen besteht der Triumph daraus, es in den 3. Stock geschafft zu haben.
Doch wenn er glasige, wässrige Augen bekommt, weil er an einem anderen Tag fast unmenschliche Kräfte hat aufbringen müssen, um diese Stufen zu erklimmen, dann kommen mir auch die Tränen.
Wenn er völlig resigniert auf dem Krankenhausbett sitzt und mit leerem Blick nach draußen schaut - dann wünschte ich mir, ich könnte ihn auf irgendeine Weise aufmuntern. Dann wünschte ich mir, wir hätten die Behandlungen hinter uns, er wäre wieder daheim.....

Doch am härtesten Trifft mich dies:
'Kleines, weißt du was, ich möchte tot sein. Einfach weg. Das wäre das Beste.'
Er wünscht sich nichts sehnlicher, als der Lungenembolie, die ihn als erstes ins KH brachte, erlegen zu sein. An dieser Stelle bin ich paralysiert. Unfähig mich zu bewegen, etwas zu sagen.

Ich gebe ihm die Nähe, die er zulässt. Wenn mein Vater unbedingt mit mir Frühstücken will, dann tue ich das. Wenn mein Vater Nachmittags zu Kaffee und Kuchen ruft, dann komme ich. Wenn er Einkaufen gehen will, dann komme ich mit. (Da er wegen eines gebrochenen Wirbels nichts tragen darf)

Ich bin im (vor)letzten Semester meines Studiums. Müsste lernen, zu Vorlesungen gehen.
Aber mein Vater ist mir wichtiger. Für ihn und meine Mutter lasse ich alles stehen und liegen. Wer weiß, wie lange er uns noch erhalten bleibt?
Und wer würde schon von einer fast 70 Jährigen erwarten wollen alles allein zu meistern?

Mein ganzer Tag wird nur von ihm bestimmt.
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  #3  
Alt 25.04.2011, 16:40
Mausi1985 Mausi1985 ist offline
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Registriert seit: 01.03.2011
Ort: Weimar
Beiträge: 58
Standard AW: Mein Vater hat Lungenkrebs - Gedanken einer Angehörigen

Hallo Kleines,

ich kann dich nur zu gut verstehen. Irgendwann möchte man vor der Gesellschaft nicht immer nur stark sein.

Ich habe mit der Zeit aber gelernt, auch mal "schwach" zu sein. Warum soll man immer verstecken, wie es einem wirklich geht? Ich zeige es auch nicht allen und jeden, doch in bestimmten Situationen geht es nicht mehr anders und ich sage den Leuten offen ins Gesicht "Heut gehts mir besch..."

Meine Oma hatte Lungenkrebs und das letzte Vierteljahr war ziemlich anstrengend für uns alle und in der Zeit hab ich gelernt, "bei ihr bist zu stark, sie braucht dich jetzt, aber bei den anderen entscheidest du spontan". Meine Kollegen haben mir oft angesehen, wenn es mal wieder nicht so gut war.

Hier im Forum findest du immer ein offenes Ohr. Mir hat es auch sehr geholfen in der ganzen Zeit. Schreib einfach, was dir auf dem Herzen liegt.

Ich wünsch dir für die kommende Zeit viel Kraft, die wirst du brauchen.

LG Susi

Geändert von Mausi1985 (25.04.2011 um 16:53 Uhr)
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  #4  
Alt 25.04.2011, 17:52
puzzleteil puzzleteil ist offline
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Registriert seit: 08.04.2011
Beiträge: 1
Standard AW: Mein Vater hat Lungenkrebs - Gedanken einer Angehörigen

Hallo Kleines,

ich habe deine Worte, deine Gedanken gelesen und war sehr gerührt von ihnen.

Auch ich musste die Erfahrung machen, dass mich Leute mieden, dass mir Menschen sagen wollten, wie ich mit der Erkrankung meines Vaters umzugehen habe, wie enge Angehörige mir ihren Trauerweg aufdrängen wollten - und ich zeitgleich das schlechte Gewissen hatte.

Es war schwer für mich (auch aufgrund meiner Familiengeschichte) hier den Weg zu gehen - den für mich richtigen.

Ich wünsche dir sehr viel Kraft
puzzleteil
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  #5  
Alt 27.04.2011, 09:27
Kleines Kleines ist offline
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Registriert seit: 25.03.2011
Beiträge: 7
Standard AW: Mein Vater hat Lungenkrebs - Gedanken einer Angehörigen

Danke Mausi und Puzzleteil.
In diesem Forum fühle ich mich wirklich gut aufgehoben.

Ich durfte die Erfahrung machen, dass zumindest eine nahestehende Freundin keinerlei Berührungsängste zeigte, als ich ihr meine Sorgen und Ängste offenbarte.
Es wäre niederschmetternd gewesen, sie zu verlieren. Bei einer anderen Freundin habe ich dies noch vor mir.
Zudem gibt es noch einige ältere Bekannte, die Aufgrund ihrer eigenen Lebenserfahrungen ebenfalls Verständnis zeigen. Das hilft einem wirklich durch den Alltag.

Da mein Vater sich seinem Alltag nicht stellen muss, ist er fast ausschließlich von Menschen umgeben, die Mitgefühl und Verständnis zeigen.
Arbeitskollegen, die ihn besuchen oder anrufen, sich nach seinem Befinden erkundigen usw. Für diese kleinen Aufmerksamkeiten ist er sehr dankbar. Erstaunlicher Weise kommt dies meist von Menschen, von denen man dies nicht erwartet hat. Verwandte, mit denen er mittlerweile kaum Kontakt hatte, kommen ihn besuchen.
Doch wurde er von anderen tief enttäuscht. Er hatte eine gute Bekannte, mit deren Familie er sich bis dahin auch gut verstand. Er kümmerte sich um sie, machte Erledigungen. Als er dies nun nicht mehr machen konnte, wurde er einfach beiseite geschoben – wie ein defektes Haushaltsgerät. Er hatte zuvor nie realisieren können, dass diese Beziehung allein aus Geben bestand.
Gut, ich mochte diese Frau nie. Ich fühle mich zuweilen schuldig, weil ich hoffe, dass die Hölle doch existiert.....
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  #6  
Alt 27.04.2011, 09:29
Kleines Kleines ist offline
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Registriert seit: 25.03.2011
Beiträge: 7
Standard AW: Mein Vater hat Lungenkrebs - Gedanken einer Angehörigen

Ich selbst kann mich aus meinen egoistischen Gefühlen nicht befreien.
Seit Beginn des Jahres habe ich nur an den Abschluss meines Studiums gedacht. An meine Prüfungen, Noten und wo ich danach arbeiten werde. Auch darüber, wie ich bei Einstellungsgesprächen wohl wirken würde.
Nach all den Sorgen wegen des Studiums war mir gerade klar geworden, dass mein Leben endlich richtig gut lief. Dass es eigentlich keine Probleme gab – jedenfalls keine, die sich nicht beheben lassen konnten. Es gab keinen Grund zur Klage.
Und nur einen Tag nachdem ich zu dieser Erkenntnis gelangte, veränderte sich die Welt.

Die Erwartung, die ich an mich und mein Studium hatte, blieben. Wurden stärker. Mein Vater soll's ja noch erleben.
Also muss ich schnell und gut meinen Abschluss machen. Jeder erwartet das.
In der Uni wird von Professoren und Mitarbeitern erwartet, dass ich Leistung erbringe; Theorie auf Anhieb verstehe.
Nahe Verwandte können meinen Abschluss auch nicht erwarten. Aber zudem soll ich mich gut um meine Eltern kümmern. (Vor 3 Wochen erkrankte meine Mutter an schwerer Lungenentzündung)

Von all den Erwartungen werde ich noch zerissen. Ich kann mich nicht auf die Uni konzentrieren.
Ich lasse alles schleifen.
Für meinen Vater ist es ein unerträglicher Gedanke, dass ich wegen ihm irgendetwas nicht erreiche.
Aber da kann ich nicht über meinen Schatten springen. Ich kann zu keiner anderen Person werden.
Wenn er wüsste, dass ich in der Zeit 2 Prüfungen 'vermasselt' habe....
Ich versuche wieder in den Universitären Alltag zu kommen, doch es scheitert jedes mal.

Zudem bin ich an dem Punkt angelangt, dass ich meine Situation auch dort kundtun werde. Auch wenn es dadurch keine besseren Noten gibt, so habe ich doch das Verlangen, dass mir das Studium erleichtert wird. Indem der Leistungsdruck und der zeitliche Druck von mir genommen wird.
Ich erwarte und erhoffe mir Unterstützung. Zusätzliche Sprechstunden u.ä.
Denn dieser Druck macht mich fertig.
Nur habe ich immer noch diese Hemmungen mich anderen/ fremden mitzuteilen.
Auch habe ich immer noch Sorgen, dass ich auf völliges Unverständnis treffe - das wird sich morgen zeigen.
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