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Alt 24.07.2003, 00:01
Gast
 
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Standard junge Frauen und der Tod der Mutter

Hallo Katrin,

ich drück Dich erst mal ganz fest, Du hast sicher einen schweren und aufwühlenden Tag hinter Dir. Es ist komisch, welche Gedanken einem während der Beisetzung durch den Kopf gehen, oder? Ich hatte ungefähr die gleichen Gedanken. Ich weiß, dass das Grab nicht die Stelle ist, wo meine Mama wirklich ist. Sie ist nicht da und trotzdem gehe ich täglich hin. Warum? Es zieht mich immer wieder dorthin, genauso wie ich sie früher immer besucht habe. Irgendwie ist es wie ein Treffpunkt, den wir ausgemacht haben, ich warte und warte, warte, dass irgendetwas passiert, aber eigentlich ist sie nie da. Zumindest habe ich das Gefühl nicht. Sie ist mir viel näher, wenn sie von ihrem Bild an der Wand auf mich runterlächelt. Ich habe zum Grab meiner Mama vielleicht deshalb keinen richtigen Bezug, weil ich sie noch einmal aufgebahrt gesehen habe, einen Tag vor der Beerdigung. Und es war nicht sie, die da im Sarg lag. Ich habe gespürt, dass sie längst woanders ist. Sie sah ganz anders aus, so unwirklich. Daran musste ich denken, als wir sie beerdigt haben, an diese Frau, die nicht meine Mama war.
Ich habe die ganze Zeit darauf gewartet, wann meine Trauer, mein Verlust kommen würde! Was heißt Trauer? Wann fängt sie an? Wie und was fühlt man? Warum können andere weinen und alles rauslassen, andere, die meiner Mutter nie so eng verbunden waren wie ich? Ich habe lange nichts gefühlt und das hat mir schreckliche Angst gemacht. Ich habe nicht verstanden, warum ich den Tod meiner Mutter so cool genommen habe! Mittlerweile bin ich, glaube ich, einen Schritt weiter. Ich denke, diese Zeit war wie ein Schockzustand, der nie enden wollte. Das hat mich fast wahnsinnig gemacht. Ich habe ständig auf den Zeitpunkt gewartet, von dem jeder sagt, dass man ihn durchmacht, dieses tiefe Loch, in das man fällt. Aber das war bei mir nicht so. Ich war immer nur in diesem Schockzustand, in dem ich genau das gefühlt habe, was Du schreibst: Dass Dir Deine Mama manchmal so fern vorkommt, so unwirklich, und dann plötzlich erinnerst Du Dich, wie sie sich anfühlte. Man denkt, es hätte sie nie gegeben, zumindest kann man es sich nicht mehr wirklich vorstellen, weil sie eben nicht mehr Teil des Lebens ist, und dann auf einmal eine Erinnerung, ein Bild, und sofort ist alles so real als würde sie noch leben. Das ist wirklich komisch! Warum fühlt man so? Dieses Gefühl habe ich bis heute: Mal ist sie mir so unendlich fern und mal so nahe, dass, wenn ich an sie denke, der Verlust so unendlich wehtut, dass man den Schmerz kaum aushalten kann. Ich bin froh, dass ich nicht allein so fühle, dass andere Menschen dieselben Gedanken haben und das wir uns hier austauschen über diese Gedanken, das ist ein schönes Gefühl. Wenn keiner über seine Gedanken schriebe, wüßten wir gar nicht, dass andere Menschen genauso fühlen und denken. Deshalb finde ich das keineswegs kitschig, was du schreibst - schließlich sind wir alle uns hier verbunden - verbunden durch das gleiche Schicksal: Wir haben alle unsere Mutter verloren.

Deine Kiki
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