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Alt 31.01.2009, 23:33
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HelmutL HelmutL ist offline
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Daumen hoch AW: Zuhause verstorben

Hallo Geske,

auch ich möchte an dieser Stelle das Sterben meiner Frau beschreiben, wie ich es empfand. Vielleicht nimmt es ja dem oder der Einen oder Anderen die Angst, einen Menschen beim Sterben zu begleiten. Dazu zitiere ich lediglich aus früheren Beiträgen.

Zitat:
Zitat von HelmutL Beitrag anzeigen
Nach einem ersten Pleuraerguss über den Jahreswechsel hat es sie zum Zweitenmal getroffen. 14 Tage vor ihrem Tod war noch alles in Ordnung, die Verklebung hatte gehalten. Es ging langsam, wenn auch mühsehlig, bergauf. Die Hoffnung kam langsam zurück. Mittwoch, 20.2., dann die Umkehr. Rasselnde Atemgeräusche, Appetit weg, kaum noch getrunken. Samstags der Notarzt, Morphium, ab in die Klinik. Die Punktion erfolglos, gerade mal 100 ml Flüssigkeit. Der Vergleich der Röntgenbilder: die Pleura ist voller Flüssigkeit, die sich in vielen einzelnen Kammern gesammelt hat. Von der Lunge ist nichts mehr zu sehen. Eine Behandlung ist sinnlos.

Was übrig blieb war Morphium, Sauerstoff und diverse Infusionen. Mytiam ist dann eingeschlafen. Ob sie wusste, was nun kommt, ich weiss es nicht. Ich glaube aber doch. Ihre Augen, ihr Blick.

Alles ging so schnell. Keine Zeit zum Denken. Der Arzt sagte zu mir und meiner Jüngsten: "Sie werden ihre Frau nicht mehr mit nach Hause nehmen. Diesen zweiten Erguss kann man nicht mehr behandeln. Wir werden jedoch alles Menschenmögliche tun. Ihre Frau wird keine Schmerzen, keine Angst, keine Panik haben. Sie wird friedlich sterben können."

Wir bekamen ein Einzelzimmer um ungestört zu sein. Dei Älteste kam noch hinzu. Myriam hat friedlich geschlafen, wie seit Monaten nicht mehr. Sie hat gespürt, dass wir bei ihr waren. Den ganzen Abend, die Nacht waren wir bei ihr. Am Sonntagmorgen kam ihre beste Freundin und deren Freund noch hinzu. Zusammen haben wir gewacht, geweint, geredet. Geschichten aus unserem gemeinsamen Leben erzählt. Die Fahrten an die Nordsee. Bei manchen Erinnerungen sogar gelacht. Am Sonntag, 24.02., 16 Uhr 10, war es dann vorbei. Gott hatte sie zu sich gerufen. Friedlich, ohne Schmerzen und Angst ist sie gestorben. Für uns war es schlimm, auf der anderen Seite erleichternd, dass sie so gehen durfte und dass wir bei ihr waren. Für sie war es die Erlösung. Wir sind Gott dankbar, dass wir sie in ihren letzten Stunden begleiten durften.

Die Ärzte, die Pflegerinnen und Pfleger waren so lieb und um uns Sechs so besorgt und hilfsbereit,das kann man sich nicht vorstellen. Alle Viertelstunde war Jemand da und hat nach der Technik gesehen, hat uns Wasser, Tee oder Kaffee angeboten. Etwas zu Essen war kein Problem, selbst mitten in der Nacht. Meinen tiefsten Dank dafür.

In einem speziellen Raum konnten wir uns dann nochmal verabschieden. Doch das war schon nicht mehr unsere Myriam. Das war nur noch die sterbliche Hülle.
....und hier meine persönlichen Empfindungen im Augenblick ihres Todes:

Zitat:
Zitat von HelmutL Beitrag anzeigen
Ich hatte das grosse Glück bei meiner Frau sein zu dürfen. Ich war bei ihr bis zur letzten Sekunde, habe ihre Hand gehalten, ihren letzten Atemzug gespürt, ihre letzten Herzschläge gesehen. Genau das hat sie gewollt. Auch genau in diesem Moment. Sie hat damit den Stein von meinem Herzen genommen.

Alles war Friede.

Die Welt mit all ihrer Hektik, Streit, Schmerz, Angst und Not hielt für einen winzigen, langen Moment den Atem an. Es war unglaublich still. Keine Kälte, keine Wärme. Nur hell und klar.

Sie ist frei. Grenzenlos. Nicht mehr gefangen in diesem kleinen, gequälten Körper. Nichts kann ihr mehr etwas anhaben. Nichts konnte uns Beiden in diesem Moment etwas anhaben. Alles Andere war unwichtig.

Nie in unserem Leben waren wir so Eins wie in dem Moment ihres irdischen Todes.

Ich bin Gott dankbar, dass ich das miterleben durfte. Diesen winzigen Augenblick des Ausblicks in die Ewigkeit. Ich küsste zum letztenmal ihre Stirn, schloss ihre Augen.

Ihre Seele hat den Körper verlassen. Zurück bleibt nur die sterbliche Hülle. Ich hatte das Gefühl: das ist nicht mehr meine Frau, die da liegt. Nur wie ein Kleid, das man ablegt um ein neues anzuziehen. Ich ziehe nur die Falten glatt, dass es nicht noch mehr zerknittert.

Ich kann es nicht anders beschreiben. So war es und so ist es.

Helmut


Leider ist es nicht jedem vergönnt, zu Hause sterben zu dürfen und auch zu können. Eine solche
intensive ärztliche Versorgung wäre dort nicht möglich gewesen, das Ganze fand auf der Intensivstation statt. Jedenfalls hatten wir das grosse Glück auf solch mitfühlende Menschen in der Klinik zu treffen.

Mein tiefstes Mitgefühl an alle, die hier schreiben.


Liebe Grüsse

Helmut
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