[Pflegefrau]

Meine liebe Kleine,

nun bin ich schon 20 Wochen ohne Dich, aber ich fühle Dich immer nah bei mir. Ich weiß, dass Du auf mich aufpaßt, Du hast es mir versprochen. Ich vermisse Dich so sehr, obwohl ich doch genau weiß, dass Du nicht mehr leben konntest. Es tut so weh, aber es tat auch sehr weh, Dich leiden zu sehen und nicht helfen zu können. Dir wird es sicherlich besser gehen, auch wenn alle Dich so sehr vermissen. Heute war ich wieder bei Deinen Arbeitskolleginnen und habe ihnen einen Kuchen gebracht, so wie wir es oft zusammen gemacht haben. Die Süßigkeiten durften natürlich auch nicht fehlen, ganz in Deinem Sinne, nicht wahr? Alle haben sich sehr gefreut, dass ich sie nicht vergessen habe. Aber was die alle für Dich getan haben ist ja unbeschreiblich! Ich habe ihnen Fotos von Deinem Marmorengel als Grabstein mitgebracht, sie fanden ihn auch sehr schön. Ach Karin, warum nur mußtest Du uns verlassen, Du warst doch noch so jung und lebensfroh? Mir tut auch Dein lieber Mann so leid, ihr ward so glücklich, hattet ein gemütliches Heim gebaut und dann die Krankheit, die alle Träume zunichte machte! Ich werde es wohl nie verstehen können. Was mir am meisten Sorge macht ist, ich habe keine Tränen mehr, habe an nichts mehr Freude und sehe keine Perspektive für mich. Ich weiß auch nicht, ob ich jemals wieder in meinem Beruf glücklich werden kann, ich glaube nicht mehr daran. All die Arbeit erinnert mich zu sehr an Dein Leiden und überall werden die Bilder von Dir vor meinen Augen sein. Ich weiß wirklich nicht, was ich machen soll. Ich kann meiner Meinung nach nicht wieder in der Pflege arbeiten, meine Psyche hält das nicht aus. Ich träume jede Nacht von Pflegefehlern, habe Angst davor und traue mir einfach nichts mehr zu. Hoffentlich bekomme ich die Reha und es wird sich ein Weg finden. Ach, wenn Du doch da wärest und ich mit Dir reden könnte! Und dann wieder fühle ich mich Dir ganz nahe, spreche mit Dir, glaube Deine Antworten zu hören, nur ich sehe Dich nicht, fühle Dich nicht, aber spüre, Du bist da. Ist schon eigenartig, diese Liebe und die Nähe und doch fehlst Du mir unendlich.

Nichts ist wie früher und wird es auch nie wieder sein!
Jeder Tag war ein Stück Abschied,

Machs gut, mein Kind, ich liebe Dich unendlich!
Deine traurige Mama