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Alt 17.10.2002, 19:24
Gast
 
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Standard Dokumentarfilm über das Tabu Sterben

Lieber Lillebror,

in manchen Punkten hast du mich, glaube ich, missverstanden. Ich "muss" nicht endlich sein, um ein bewussteres Leben zu führen. Ich habe geschrieben, dass ich durch die Auseinandersetzung mit meinem eigenen Tod, natürlich nur soweit wie meine Vorstellungskraft es zulässt, bewusster lebe. Vielleicht ist der Ausdruck "intensiver leben" passender. Damit meine ich nicht, dass ich nur noch superglücklich durch die Gegend renne, sondern, dass die Höhen und Tiefen in meinem Leben einfach ausgeprägter sind und ich verstärkt für mich wichtiges von für mich unwichtigem trenne.
Das ist aber nur ein Beispiel aus meinem persönlichen Leben, auf das ich keinen Übertragbarkeitsanspruch erhebe. Und es muss auch nicht zwangsläufig so sein, dass ein bewussteres Leben nur durch die Auseinandersetzung mit dem Tod entsteht. Das habe ich nicht gemeint.
Ich glaube auch nicht, dass es zu jeder Zeit möglich ist, den Tod zu akzeptieren, weder den eigenen, noch den eines vielleicht angehörigen, lieben Menschen. Man kann vielleicht intensiv darüber nachdenken und vielleicht gibt es sogar Phasen im Leben, in denen man leichtfertig sagt, dass man keine Angst mehr davor habe, aber die wechseln sich meist ja dann auch wieder mit Phasen der Verdrängung ab. Dazu fällt mir übrigens ein, dass ich mal gelesen habe, dass du mit dem Sterbephasenmodell von E. Kübler-Ross so wenig anfangen kannst. Ich glaube, du hast sie nicht aufmerksam gelesen, oder aber sie nicht richtig verstanden. Sie sagt an keiner Stelle, dass diese Phasen, ob nun ein Sterbender sie erlebt oder ein Angehöriger oder auch ein Mensch, dessen Tod vielleicht noch nicht unmittelbar bevorsteht, allesamt erlebt werden müssen oder in genau der Reihenfolge, in der sie sie beschreibt. Sie sagt auch nicht, dass man in dieser schweren Zeit nicht Rückschritte machen kann oder dass man immer zum Schluss zu der Fähigkeit gelangt, den unausweichlich bevorstehenden Tod in Frieden anzunehmen.
Egal, was danach kommt, die Tatsache, dass man irgendwann nicht mehr da ist, kann man doch versuchen zu akzeptieren. Es IST unvorstellbar, der Mensch stößt an seine Grenzen bei dieser Diskussion. Aber es hat nicht viel damit zu tun, was nach dem Tode kommt. Allerdings kann ich eine Sache, die danach kommt, schon mit ziemlicher Sicherheit festlegen, und die ist nun wirklich nicht "mystisch": Ich werde hoffentlich in den Gedanken meiner Lieben weiter existieren. Vielleicht habe ich aber auch allein durch meine Anwesenheit auf dieser Erde dazu beigetragen, dass diese weiter existieren kann und "Werke" hinterlassen, die andere bereichern.

Liebe Grüße. Anja
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