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Alt 07.08.2007, 13:41
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lima-mali lima-mali ist offline
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Standard AW: Das Leben nach der Erkrankung in all seinen Aspekten

Danke für dieses interessante Thema!

Mein Mann, 52, ist an Knochenmarkkrebs (Multiples Myelom) erkrankt. Diese Erkrankung ist nicht heilbar. Seither ist nichts mehr, wie es einmal war...

Wir waren beide in der gleichen Branche berufstätig, häufig auf Dienstreisen; unsere Karriere war uns wichtig. Wir hatten daher nur wenig Freizeit, haben diese aber intensiv miteinander genossen. Wir konnten uns Annehmlichkeiten leisten - ein großes Haus, einen Gärtner, die Putzfrau, etc. Unser Leben war schön und rund - es hätte von uns aus immer so weitergehen können.

Der Krebs hat uns ohne Vorwarnung mitten im Leben erwischt. Wir hatten keine Krebserkrankungen im Familien- oder Freundeskreis, waren mit dem Thema nie konfrontiert. Krebs bekommen immer nur "die Anderen"...

06. November 2006: Falsch gedacht. Peng. Aus. Weltuntergang.

Es hat uns den Boden unter den Füßen weggezogen und wir sind in ein tiefes, schwarzes Loch gefallen. Seither versuchen wir, mühsam wieder nach oben zu krabbeln. Sehr mühsam.

Alle Perspektiven, Ziele und Werte im Leben haben sich geändert, verschoben.

Wir haben schmerzhaft lernen müssen, dass wir auf unserem neuen, schwierigen Weg Menschen verlieren werden. Menschen, die leider nicht bereit sind, diesen Weg mit uns zu gehen. Wir haben aber auch Hilfe, Wärme und Zuneigung von Menschen erfahren dürfen, von denen wir das nie erwartet hätten. Unser Freundes- und Bekanntenkreis hat sich zu 2/3 verabschiedet. Aus dem Familienumfeld haben wir rd. die Hälfte Menschen verloren. Die, die jetzt noch bei uns sind, werden aber für immer bei uns bleiben - was auch kommt. Dafür sind wir sehr dankbar.

Ich habe inzwischen meine Berufstätigkeit aufgegeben. Das tut etwas weh, ist aber die einzige Möglichkeit, alle Anforderungen parallel zu meistern und immer für meinen Mann da sein zu können. Zum Glück können wir uns das - mit ein paar Einschränkungen - leisten. Auch dafür sind wir dankbar.

Wir haben erkannt, dass das Leben "jetzt" ist. Die Vergangenheit ist vorbei, die Zukunft ungewiss - es zählt nur die Gegenwart. Der heutige Tag, vielleicht noch der morgige - das sind unsere Aufgaben. So hangeln wir uns von Tag zu Tag. Hoffend, kämpfend, ängstlich, mutig, verzweifelt, tapfer, lachend, weinend, zufrieden, überfordert, liebend, leidend...

Wir waren es stets gewohnt, perfekt zu funktionieren. Auch unser neues Leben mit der Krankheit haben wir - soweit eben möglich - in kürzester Zeit perfekt organisiert. Ein bißchen sind wir stolz darauf, in so kurzer Zeit alles Notwendige auf die Beine gestellt zu haben. Niemand ahnt, welche Kraft uns das gekostet hat, wieviel Tränen, wie viel schlaflose Nächte.

Mit dem Mut der Verzweiflung und viel Liebe stellen wir uns dem Krebs in den Weg. Wir haben ihm den Kampf angesagt und die Zuversicht, diesen zumindest befristet zu gewinnen. Einen Tag, und noch einen, und dann noch einen und danach eine Woche, einen Monat, ein Jahr, ein Jahrzehnt...

Unsere Beziehung zueinander war schon immer sehr gut. Unter der Belastung ist sie tiefer geworden, enger. Wir wissen, dass wir es nur gemeinsam schaffen werden. Wir wollen nicht zulassen, dass ein paar verrückt gewordene Zellen uns beide auseinanderreissen.

Wir wollen nicht aufgeben - noch lange nicht. Wir haben gelernt, dass das ganze Leben eine Krankheit ist, die immer tödlich endet. Unsere Hoffnung ist nur, dem Schicksal Zeit abtrotzen zu können - kostbare, gemeinsame Zeit. Zeit, um auf der Terrasse einen Kaffee zu trinken. Zeit, um miteinander im Klinikgarten ein paar Hummeln beim Tanz um die Blüten zuzusehen. Zeit, um miteinander den Sternenhimmel zu betrachten und zirpenden Grillen zuzuhören. Zeit.

So wenig. So viel.
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Weitergehen - und nach dem Wunder Ausschau halten.
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