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Alt 28.10.2008, 11:57
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meliur meliur ist offline
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Standard AW: Alltag nach der Darm-OP

Hallo Ihr Lieben!

So, jetzt kommt mal wieder ein kleiner Zwischenbericht in eigener Sache!
Gottlob sahen ja all die letzten Untersuchungen bei mir recht gut aus. Es ist schon verrückt: Heute vor 2 Jahren war ich gerade 2 Tage wieder zurück aus der Klinik, mit Reißverschluss im Bauch, und bewegte mich wie eine Omi in Zeitlupe. Ich wog 7 Kilo weniger, aber die Narbe war so dick, dass mir die Hosen trotzdem passten. Ein bisschen tatterig kam ich mir vor und merkte, dass ich mich an das Ding, das mein Körper ist, ganz neu gewöhnen muss. Nie gemachte Erfahrung - der tickte ja schon seit der Diagnose plötzlich nicht mehr so, wie ich ihn vorher 35 Jahre lang gekannt, wie ich ihm vertraut hatte, wie ich mich blind hatte auf ihn verlassen können. Jetzt aber, nach der OP, machte er noch weniger das, was er sollte. Manchmal diese Angst, inkontinent zu sein oder zu werden. Die Bedenken, ob ichs in die Stadt schaffe, auch kräftemäßig. Aber ich wollte mich nicht unterkriegen lassen!
Bald kannte ich jede zugängliche Toilette in der Stadtmitte, und so gings. Und bald konnte ich die normalerweise 10min, für die ich jetzt doppelt so lange brauchte, auch ohne totale Erschöpfung laufen. Irgend ne kleine Besorgung, egal: Ich KANN das! Weil ich WILL! Ich will langsam wieder Alltag! Ich lebe doch!

Und jetzt, 2 Jahre später?

Es ist fast wie früher, meistens. Ich arbeite wieder so viel wie vorher. Ich mache Sport und ärgere mich, mir zuwenig Zeit dafür zu nehmen, wie vorher. Ich finde, dass ich ein paar Kilo weniger wiegen könnte, wie ganz früher. Ich vergesse oft den Krebs.
Nicht wie vorher: Alle zwei Wochen kommt eine Putzhilfe und macht die Wohnung sauber. In den Wochen dazwischen machts mein Freund - oder ich, wenn ich Zeit und Power habe. Das ist gut so. Ich kann nicht mehr ganz alles essen, was ich will und wann ich will. Macht aber nix. Mein Körper ist immer noch nicht total zuverlässig, wirds auch nicht mehr werden, aber damit kann ich leben. (Man entwickelt Strategien - was ätzend bleibt, sind die Blähungen, wenn ich nicht alleine bin. Plötzlich eine Toilette zu brauchen, wenn keine in der Nähe ist.) Mein Arbeitsplatz ist jetzt viel näher an meinem Wohnort - das schenkt mir wertvolle Zeit. Freundschaften sind anders geworden: Manche intensiver, manche weniger. Mein Blick aufs Leben hat sich verändert. Mehr Dankbarkeit. Vielleicht ein bisschen wacher als früher, vielleicht. Die Gedanken an den Tod sind nicht mehr so abstrakt. Es ist anders, wenn man sie schon mal gedacht hat - nicht nur die an den Tod anderer, sondern auch die an den eigenen Tod.
Ganz anders als vorher: Familienpläne abschminken. Ich hätte so unglaublich gerne eigene Kinder gehabt. Das treibt mir immer mal wieder viele Tränen in die Augen und macht die Versuchung so groß, dieses nutzlose "Warum?", "Warum ich?" zu fragen, von dem ich doch weiß, dass es keine Antwort gibt.

Nächste Termine sind gerade in Verhandlung: Nachdem ich jetzt bald ein Jahr lang ein Hormonsubstitut genommen habe, um der durch Östrogenmangel initiierten Osteoporose vorzubeugen, möchte ich das Zeug jetzt absetzen. Ein paar Monate warten, um zu sehen, was aus der klitzekleinen Hoffnung geworden ist, dass sich vielleicht doch noch irgendwas aus eigener Kraft in meinem Unterleib tut, dass vielleicht doch nicht alles durch Chemo und Bestrahlung kaputtgegangen ist, sondern nur sehr viel Zeit brauchte, sich zu erholen. Und eine Knochendichtemessung möchte ich nochmal machen. Um zu sehen, ob sich was verändert hat im letzten Jahr. Denn ein wirklich eindeutiger kausaler Zusammenhang zwischen der Einnahme synthetischer Östrogene und dem Rückgang des Osteoporose-Risikos ist nicht gegeben, das basiert nur auf auf der Hand liegenden, sehr wahrscheinlichen Vermutungen.
Ende April nächsten Jahres gibts dann die nächste MRT.

Aber: Diese Hormon-Osteoporose-Geschichte, das sind alles sozusagen Zweitbaustellen. Und das ist eigentlich auch was Tolles: Die Erstbaustellen sind alle geschlossen! Bis jetzt wenigstens hat man keine Metastasen entdeckt, und alles scheint ruhig! Darüber kann ich soooooo froh sein.

Ein bisschen nachdenkliche Herbstgrüße,
Meliur
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