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Alt 31.07.2002, 21:50
Gast
 
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Standard Hilflose Helferin

Liebe Brigitte,
eigentlich wollte ich auf Deine Verallgemeinerungen nicht mehr reagieren, aber ich tue es dennoch einmal:
offensichtlich fängst du wirklich bei Adam und Eva an, nämlich Deinen Ausführungen nach zu einem Zeitpunkt, an dem es noch keine Spitäler und Kliniken gab, aber die Menschen in ihrem eigenen Umfeld sterben durften und man sich Deiner Meinung nach mit Krankheit und Tod intensiver auseinandergesetzt hat . Ich wünsche Dir nicht, daß Du zu dieser Zeit hättest leben müssen. Ohne Kliniken, ohne Industrie, ohne Forschung und ohne Spezialisierung. Ich weiß nicht, wohin Dich Dein Karzinom dann gebracht hätte....
Du hast auch heute die Möglichkeit, zu Hause im Kreise Deiner Angehörigen zu sterben. Wenn Du dies möchtest und Deine Angehörigen stark genug sind, Dir dies zu ermöglichen. Aber kein
Angehöriger ist von Außenstehenden zu verurteilen, weil er dem Sterbenden diese Möglichkeit nicht bieten kann! Und das hat sicher nichts damit zu tun, daß er sich nicht ausreichend mit Tod und Sterben auseinander gesetzt hat! Ich stelle Dir hier noch einmal die Frage: bei wievielen Menschen hast Du Sterbebegleitung durchgeführt, und zwar in allen Phasen? Zu Deinen hochgelobten früheren Zeiten hat sich diese Frage wohl so sicher nicht gestellt! Sterbebegleitung früher ist wohl nicht mit Sterbebegleitung heute zu vergleichen. "Wir haben also nie gelernt uns mit Krankheit und Tod auseinanderzusetzen...." Wer ist "wir"? Warum verallgemeinerst Du kontinuierlich? Generell setzt sich Pflegepersonal, das in somatischen Kliniken eingesetzt ist, täglich mit Krankheit und Tod auseinander! Hast du schon einmal in der Pflege gearbeitet? Hast Du eine Ahnung davon, wieviel "Auseinandersetzung mit Krankheit und Tod" Pflegepersonal täglich nach dem Dienst mit nach Hause nimmt? Deine Schlußfolgerung bzgl. der nicht durchgeführten Auseinandersetzung mit Tod und Krankheit, was vom Pflegepersonal bestätigt wird, indem so viel Arbeit anliegt, kann ich leider gedanklich nicht nachvollziehen. Wenn damit gemeint ist, daß ich während meiner Arbeit als Pflegekraft nicht die Zeit habe, mich mit meinen persönlichen Gedanken über Tod, Krankheit und Trauer auseinanderzusetzen, so hast Du damit sicher Recht. Es stimmt auch, das dies mit Sicherheit in keinem anderen Beruf während der Arbeitszeit möglich ist. Aber so wie Pflegekräfte diese Thematik verbunden mit viel gesehenem Leid häufig mit nach Hause nehmen, so steht es jedem anderen auch frei, sich damit in seiner Freizeit zu beschäftigen. Die meisten Menschen haben Zeit, Lebensversicherungen abzuschließen oder Testamente zu erstellen, auch wenn sie vom Arbeitsleben "ausgepumpt" sind. Aber sich mit Krankheit und Tod ERNSTHAFT zu beschäftigen, dazu bleibt keine "MÖGLICHKEIT"??? Möglichkeiten gibt es genug! Nicht an allem ist immer die Gesellschaft Schuld, sondern der einzelne, jeder für sich in seiner eigenen Hütte! Es ist natürlich wesentlich einfacher alles zu verallgemeinern! Spätentens beim Tod eines Bekannten, Freundes oder Familienangehörigen wird jeder einzelne daran erinnert, daß es da auch noch Tod und Krankheit gibt! Es ist nicht das Resultat der Gesellschaft, daß der einzelne sich dann nicht damit beschäftigt. Das liegt mit Sicherheit an der Oberflächlichkeit des Einzelnen! Also bitte nicht"wir haben nicht gelernt"- lernen ist eine aktive Geschichte und keine passive, zum lernen braucht es lernen WOLLEN!
Durch Spezialisierungen haben wir aufgehört ganzheitlich zu denken? Im Gesundheitsbereich kennst Du dann vielleicht die falschen Leute. In der Pflege gibt es grundsätzlich zwei Komponenten: die allgemeine Pflege, die die Behandlungspflege und die körperliche Pflege einschließt und die psychische Betreuung. In der Medizin schließen immer mehr Kliniken neben der Schulmedizin in manchen Bereichen die Homöopatzie oder die TCM mit ein. Psychosomatische Kliniken und Ärzte findet man mittlerweile an jeder Ecke, da man erkannt hat, daß Seele, also Psyche und organische Erkrankungen häufig eng zusammen gehören.
Nun zu Jenny: es ging nie darum, daß Jenny in ein Hospiz SOLL. Deshalb hat Kado auch um Hilfe gebeten. Und das finde ich auch toll! Deshalb habe ich mich auch ziemlich über Deine mails hier aufgeregt. Du warst diejenige, die Kados Ausbildung bemängelt hat und im weitern Verlauf Deiner mails Dich groß und breit darüber beschwert hast, daß Du in Kliniken nur von unfähigen Pflegern "umwimmelt" wirst. Du warst diejenige, die hier absolut verallgemeinert behauptet hat, daß jeder Pflegende erst mal lernen muß mit Krankheit und Tod umzugehen, hast aber gleichzeitig die Möglichkeit dazu wieder völlig allgemein eingeschränkt, denn: "woher sollen die es denn lernen, wenn Ärzte, Professoren....es nicht wissen"! Das heißt für mich, selbst Pflegepersonal ( Du hast es ja auch irgendwo mal so ausgedrückt ) ist nicht in der Lage, sich mit Tod und Krankheit auseinander zu setzen. Ich verwehre mich gegen diese Verallgemeinerungen. Ich bin Krankenschwester und habe 20 Jahre mit Leib und Seele in diesem Beruf gearbeitet, viele Jahre in der Intensivmedizin und viele Jahre als Führungskraft im Nachtdienst, wo ich ständig mit Schwerstkranken von insgesamt 16 Stationen gearbeitet habe. Qualitätssicherung wurde bei uns groß geschrieben. Ebenso psychische Betreuung von Angehörigen und Patienten. Ich habe niemals behauptet, daß es gut ist, wenn Jenny in ein Hospiz käme! Im Gegenteil, ich bestärke jeden darin, wenn es ihm möglich ist, seinen Angehörigen oder sonstigen lieben Menschen zu Hause in gewohnter Umgebung sterben zu lassen. Aber man beachte bitte den Zusatz "wenn es ihm möglich ist". Und ich betone hier nochmal, daß keiner das Recht hat, jemanden zu verurteilen, wenn er für sich persönlich feststellt, daß er das nicht verkraften kann oder körperlich / seelisch nicht schafft. Ich habe lediglich darauf hingewiesen, daß nicht unbedingt Patienten in Hospize ABGESCHOBEN werden, weil "wir" nicht in der Lage sind mit dem Tod umzugehen. Die meisten Menschen sterben übrigens immer noch in Krankenhäusern. Und es gibt durchaus Menschen, die die letzte Zeit ihres Lebens in einem Hospiz verbringen WOLLEN. Ich verwehre mich gegen solche Verallgemeinerungen, wie Du sie an den Tag legst. Ich habe viele Menschen kenengelernt, die ihren sterbenden Angehörigen mit äußerster Liebe zu Hause haben sterben lassen. Ich habe gesagt, daß ich vor diesen Menschen, die zumeist pflegerisch Laien waren, extreme Hochachtung habe. Für Dich scheint es nur allgemeine Kritik an der GESELLSCHAFT zu geben. Kannst Du auch noch den einzelnen Menschen sehen?
Du wirst als Krebspatientin von Pflegern, Ärzten, Freunden, Verwandten, Behörden etc. nur rumgeschubst, belächelt nicht ernst genommen etc. , wie Du sagst.Von Kliniken mit ausschließlich solchem Pflegepersonal und solchen Ärzten würde ich mich an Deiner Stelle fernhalten! Oder sind es doch nicht alle???
Zu Deinem persönlichen Beispiel: in Deinen mails an Kado ging es eigentlich nicht um Schwierigkeiten mit Ärzten, sondern um die "Unfähigkeit" von Pflegern und daß man Deiner Meinung nach wohl in Kliniken von Pflegern "umwimmelt" wird, die alle keine Ahnung haben wie man mit Krebskranken umgeht, daß Patienten in Tumorzentren oder Hospize abgeschoben werden, und daß Kliniken nicht zum Sterben ausgerichtet sind. Und nur zu diesen Verallgemeinerungen von Dir habe ich Stellung bezogen. Das Thema Ärzte, das du jetzt angeschnitten hast, ist sicherlich ein ganz anderes.
Ja, auch bei uns stufen die Kassen nach Pflegekategorien ein. Aber auch das hat nichts mit der Unfähigkeit zu tun, die du dem Pflegepersonal in Kliniken und auch Deinen Mitmenschen teilweise unterstellst.
Zum Schluß: ich habe nicht Menschen mit Autos verglichen, sondern zwei "Häuser", wenn Du so willst ( Spezialklinik und Autohaus/-werkstatt ), da Du Dich darüber mokiert hast, daß man Krebspatienten in TUMORZENTREN teilweise behandelt. Diese Spezialklinik hat sicherlich nichts mit dem "Abschieben" von Krebspatienten zu tun ( wie Du es wieder allgemein dargestellt hast ), sondern einfach mit Spezialisierung. Es gibt viele Spezialkliniken für einzelne Fachrichtungen, nicht nur für Krebs! Genauso, wie es im täglichen Leben Spezialisierungen, zum Beispiel bei Autohäusern gibt. Mir als Krankenschwester brauchst Du bestimmt nicht mitzuteilen, daß der Mensch keine Ware ist! Ich glaube, dazu habe ich zu lange und vor allem zu gerne in meinem Beruf gearbeitet und mich dabei aufgerieben. Aber nur nebenbei gesagt, heute wird in dementsprechenden Fachkreisen vom Krankenhaus als "Dienstleistungsbetrieb" gesprochen, und das stammt nicht von mir ( ich habe dazu auch eine bestimmte Meinung, die aber hier nichts zur Sache tut ).
Ulrike
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