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Alt 07.11.2015, 00:20
Daisy1979 Daisy1979 ist offline
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Standard AW: ***Ist Dir eigentlich nie langweilig?*** bzw. Wie sieht der Alltag ein Kranken au

Die Frage nach der Langeweile eines Krebspatienten ist eine sehr gute Frage! Das ist quasi mein "Hauptproblem" seitdem ich krank bin.
Ich leide seit Januar 2014 (also jetzt seit etwa 22 Monaten) unter einem metastasiertem Leiomyosarkom (uteriner Typ). Zu Beginn meiner Erkrankung wurde ich erst mal aus allem herausgerissen! Damals habe ich noch in einer WG gewohnt, habe nebenbei mehrere Jobs gehabt, habe studiert und bin einer sehr umfangreichen, ehrenamtlichen Tätigkeit nachgegangen. Ich hatte bestimmt öfter mal einen Tag mit 10 Stunden Arbeit oder mehr (also mit Studium, jobben, Ehrenamt) in meinem Alltag vor dem Krebs! Quasi von einem Tag auf den anderen war (erst mal Schluß mit allem): mein Vermieter hatte der ganzen WG gekündigt (das hatte zwar nichts mit meiner Erkrankung zu tun, aber von Rücksichtnahme in meiner besonderen Situation war leider auch keine Rede), meine Jobs (auf Minijobbasis und halt noch schwarz nebenbei) habe ich alle sofort verloren, in meinem Studium mußte ich mich erst mal ein Urlaubssemester nehmen und mein Ehrenamt musste ich einstellen (war immer bis spät abends). In den ersten Monaten mit meiner Erkrankung war ich hauptsächlich im Krankenhaus, da ich mehrmals operiert wurde, das war von Januar bis Juli letzten Jahres. Dann habe ich im August letzten Jahres die Prognose "noch 1,5 Jahre" bekommen. Daraufhin bin ich erst mal in ein tiefes, schwarzes Loch gefallen, und war im NCT Heidelberg in der psychologischen Akutbehandlung (zwar nicht stationär, sondern ambulant mehrmals pro Woche, was aber trotzdem sehr intensiv war). Doch seit dem Herbst 2014, also ca. seit 1 Jahr, geht es mir eigentlich ganz gut (physisch und psychisch), ich war zwar noch ein paar Mal im Krankenhaus, aber ansonsten bin ich kaum eingeschränkt, zumal auch zunächst erst einmal keine Chemo bei mir ansteht. Ich schlafe mehr als früher (früher haben auch mal 6h pro Nacht gereicht, jetzt sind es mindestens 8h, eher 9-10h) und bin etwas schneller erschöpft, wenn ich etwas tue, aber ansonsten geht es mir gut. Geheilt werden kann ich leider nicht mehr, aber auch mit meinen (wieder aufgetretenen) Metastasen kann ich gut leben, und werde wohl höchstwahrscheinlich mehr schaffen, als die 18 Monate, die man mir letztes Jahr im August prognostiziert hat. Die Frage, die ich mir nun seit dem letzten Herbst stelle ist: Was mache ich mit meiner ganzen Zeit? Finanziell sah es bei mir so aus, dass ich im gesamtem Jahr 2014 (direkt nach der Erstdiagnosehabe ich einen Antrag gestellt) Hartz 4 bekommen habe, und dann seit Januar diesen Jahres Sozialhilfe, weil es hieß: erwerbsunfähig. Ich bin in diesem Jahr recht viel gereist und habe Freunde (die in ganz Deutschland verteilt wohne) besucht. Jetzt im Sommer war ich viel draußen (am Badesee und im Freibad) und ich mache gerne ein bißchen Sport, aber mit so etwas kann man ja auch nicht immer den ganzen Tag füllen, zumal ich Single bin und keine Kinder habe. Meine Wohnung ist sehr klein (zum Glück habe ich letztes Jahr schnell Ersatz gefunden und liebe Freunde haben mir den Umzug gemacht), da gibt es also auch nicht viel zu machen, und konkrete Hobbies habe ich keine, so dass mir schon öfter mal langweilig geworden ist. So sehr, dass sich schon mein Freundeskreis ein klein wenig beschwer hat, weil ich meine Freunde natürlich immer mit meinen Fragen ("Hättest Du nicht Zeit zum Kaffee trinken gehen?") genervt habe. Die haben leider höchstens jeder 1 Mal im Monat mal ein paar Stunden Zeit für mich. Im Sommer habe ich mich entschlossen, etwas an meinem Zustand zu ändern und es auch durchgezogen: seit dem 12.10 gehe ich wieder zur Uni und studiere wieder aktiv. Ich stehe quasi (und stand, als ich meine Erstdiagnose bekam) kurz vor dem Abschluß. In diesem Semester muß ich noch 5 Scheine machen, und wenn alles gut geht, kann ich im nächsten Semester meine Bachelorarbeit schreiben und hätte dann meinen Abschluß im Sommer 2016. Der "Preis" den ich dafür zahlen mußte: der Wegfall der Sozialhilfe. Denn obwohl ich nur 10 Stunden pro Woche zur Uni gehe, gelte ich vor dem Gesetz nun wieder als erwerbsfähig. Was natürlich Quatsch ist! Bafög kann ich leider nicht beziehen, so dass ich mir nun einen Studienkredit beantragt habe. Mit dem Kredit und einem Nebenjob (2-4h pro Woche) werde ich gerade so über die Runden kommen. Und zeitlich ist das (also die 12-14h die ich dann insgesamt mache) schon mein Limit, mehr packe ich leider auch nicht, da ich die Univeranstaltungen ja auch noch vor und nachbereiten muß (also bin ich auf kein Fall richtig erwerbsfähig). Klar, ist das alles super stressig, aber seitdem ich wieder studiere und wieder arbeite fühle ich mich richtig gut. Psychisch geht es mir top! Gerade der geistige Anspruch hat mir in den Monaten, in denen ich nichts gemacht habe, total gefehlt. Sicher, ist das allles auf "dünnem Eis" gebaut, finanziell und auch von der Machbarkeit her, aber für mich ist das, was ich tue wieder sehr sinnvoll. Ein kleines Ehrenamt soll auch wieder hinzukommen, halt etwas, was nicht so zeitintensiv ist, bzw. etwas, das man auch gut von zu Hause aus ausüben kann. Ich habe übrigens eine Berufsausbildung (bin gelehhrte Industriekauffrau), somit wäre es nicht unbedingt "notwendig", den Uni Abschluß zu erlangen, jedoch mache ich meine Fächer einfach sehr gerne, und ich fand es so schade, ein Studium aufzugeben, bei dem gar nicht mehr viel gefehlt hätte. Bevor ich wieder losgelegt hatte, ob ich das alles auch packe, hatte ich schon Zweifel an mir und an meiner Leistungsfähigkeit, aber die 10 Stunden Uni und 2-4h Arbeit pro Woche sind mir auf keinen Fall zu viel, sondern tun mir richtig gut. Ich fühle mich wieder ausgeglichen und viel selbstbewusster. Mein neuer Nebenjob ist sogar eine körperliche Tätigkeit, aber mit so einem geringen Stundenumfang ist auch das gut zu schaffen. Jetzt muß ich nur noch körperlich in den nächsten Monaten durchhalten! Ich hoffe sehr, dass mein Krebs in der nächsten Zeit keine bösen Überraschungen für mich bereit hält!
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