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Alt 16.08.2012, 22:23
iriskausemann iriskausemann ist offline
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Registriert seit: 16.08.2012
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Standard Unser Kampf ist nach 10 Jahren beendet

Ich möchte hier die Erfahrung aufschreiben, die ich in den letzten 10 Jahren bei der Begleitung meines Vaters mit Nierenzellkarzinom gemacht habe. Einerseits wird es mir zur Verarbeitung dienen, andereseits vielleicht auch dem ein oder anderen helfen.

Es begann im Juli 2002. Mein Vater hatte mit meiner Mutter zusammen eine Kohlsuppendiät gemacht und im Gegensatz zu ihr fast 15 kg abgenommen. Dann hatte er eines Morgens plötzlich Blut im Urin und fuhr sofort zu unserem Hausarzt. Ein Ultraschall ergab ein 7x5cm großen Tumor in der linken Niere.
Mein Vater erzählte es mir und als ich ihn fragte, was denn jetzt als nächstes anstehe, meinte er, dass er in 6 Wochen einen Termin zum CT hätte.

Daraufhin habe ich im krankenhaus angerufen. Ich hatte eine Ärztin am Telefon und als ich ihr den Befund schilderte, sagte sie mir, ich solle meinen Vater sofort vorbeibringen. Das tat ich und er wurde 3 Tage später operiert. Es war eine schwierige OP. Der Tumor war bereits über die Hohlvene gewachsen. Es waren aber keine Metas und kein Lymphknotenbefall erkennbar. T3 N0 M0

Mein Vater erholte sich rasch und ging von da an regelmäßig zu den Nachsorgeuntersuchungen.

Im Juli 2010, mein Vater war gerade noch bei einer Nachsorgeuntersuchung gewesen und als völlig gesund eingestuft worden, bekam er schlecht Luft. Der Hausarzt überwies ihn ins Krankenhaus zum Röntgen. Zunächst wurde eine linksseitige Lungenentzündung diagnostiziert. Der Hausarzt meinte, das könne nicht sein und veranlasst ein CT. Das zeigt dann, dass die linke Lungenhälfte übersät mit Tumoren war. Als ich meinen Vater fragte, was denn bei den Nachsorgeuntersuchungen gemacht worden wäre, stellte sich heraus, dass man in all den Jahren weder die Lunge noch das Gehirn untersucht hatte. Nur Blutuntersuchung und CT vom Bauchraum.
Unsere Vermutung, dass es sicherlich Metas des Nierenzellkarzinoms waren, wurde abgetan, weil das ja schon 8 Jahre her gewesen sein würde. Wir sollten in die Lungenfachklinik.

6 Stunden warteten wir, bis wir endlich in ein Vierbettzimmer gehen konnten. Untersuchungen wurden durchgeführt, 14 Tage verbrachte mein Vater in der Klinik, um dann gesagt zu bekommen, man wisse nicht genau, ob die Tumore von der Niere stammten, er müsse in die Klinik zurück, in der das NC operiert worden sei.

Wir nach Bergisch-Gladbach. „Da müssen wir aber erst einmal ein paar Untersuchungen durchführen“, 14 Tage Aufenthalt mit der Diagnose: „Ja, die Tumore sind Metastasen des damaligen NC, man könne das aber dort gar nicht behandeln, da man keine Onkologie besäße! Gehen Sie am besten in ein anderes Krankenhaus.“

„Da müssen wir aber erst einmal sehen, ob das wirklich die richtige Diagnose ist!“ Wieder Untersuchungen, Biopsie, CT etc. Und tatsächlich, doch es waren Lungenmetastasen des Nierenzellkarzinoms. Wäre ich ja nie drauf gekommen!
Dann hätten wir gerne Nexavar – Wie kommen Sie denn darauf, Sie bekommen zuerst Sutent und danach erst Nexavar. Okay, akzeptiert. Nach 4 Monaten endlich eines der Medikamente, die man im Netz und auf dieser Seite hier angepriesen fand. 1. Tablette am 22.11.2010, Körpergewicht 80kg.

Sutent schlug sofort bestens bei meinem Vater an. Die Atemnot verschwand. Die Metastasen verkleinerten sich zusehends. Mein Vater hatte natürlich Nebenwirkungen, Hand-Fußsyndrom, empfindliche Schleimhäute, Schluckbeschwerden, Haarausfall, gelbe Gesichtsfarbe, Verstopfung. Wir nahmen zunächst 50mg pro Tag 4 Wochen dann 2 Wochen Pause.
Am 28.6.2011 setzt der Arzt Sutent ab, da es angeblich nicht mehr wirkte und schrieb Afinitor auf. In der zweiwöchigen Pause ging es meinem Paps auch wirklich schlechter, aber unter Sutent eigentlich nicht.
Der Gesundheitszustand meines Paps verschlechtert sich rapide. Er kann nur noch drei Schritte laufen. Akute Luftnot, Husten, Auswurf. Als mein
Paps aus der Narkose erwachte, erhielt er die Nachricht, dass die Metastasen doch inoperabel seien. Wieder eine Hoffnung zerschlagen. Aber unter Sutent geht es meinem Vater weiterhin den Umständen entsprechend gut. Keine Luftnot mehr.
Wir brauchen neues Sutent. Also hin nach Gummersbach. Der Arzt ist total sauer und meint, dass er, wenn München nicht so weit weg wäre, die Weiterbehandlung ablehnen würde. Schreibt Sutent aber auf, diesmal 37,5 mg durchgehend ohne Pause. Gefällt mir zwar nicht, ich hätte lieber 50 mg und nur 1 Woche Pause gemacht, aber wir waren froh Sutent überhaupt wieder zu bekommen. 1. Tablette 37,5 mg am 25.7.2011, Körpergewicht 75 kg.

Im November setzt Durchfall ein. Im Februar wiegt er nur noch 70 kg und klagt über Luftnot. Wasser sammelt sich in der Lunge. Am 28.2. erfolgt die erste Punktion.
Am 12.3 setzt der Arzt Sutent ab und anstatt jetzt endlich Nexavar zu geben, verschreibt er wieder Afinitor. Der Gesundheitszustand verschlechtert sich rapide. 4 Punktionen folgen. Es wird ein Drainage gelegt, damit das Wasser abfließen kann. Das Gewicht verringert sich auf 60 kg. Mein Vater ist nur noch Haut und Knochen. Hustenreiz, Auswurf, Atemnot.
Er wird unter Morphium gesetzt. Kein Appetit, Verstopfung, Müdigkeit. Seit dem 30.03. ist er im Krankenhaus. Am 05.04 wird Afinitor abgesetzt. Mein Vater gilt als austherapiert und es wird ihm die Verlegung in ein Hospiz vorgeschlagen. Mein Paps ist völlig überrumpelt. Heimlich gebe ich ihm übriggebliebenes Sutent und sein Zustand verbessert sich zusehends.
Er verlangt, jetzt endlich Nexavar zu bekommen. Der Arzt schreibt es auf, aber betont, dass das gegen seinen Willen wäre. Das Morphium setze ich ab, der Hausarzt verschreibt Kortison.
Mein Vater bekommt wieder Appetit und sein Zustand verbessert sich. Der Husten und Auswurf verschwinden. Es folgt eine Anämie. Er bekommt einen Beutel Blut und sein Zustand stabilisiert sich wieder. Der Katheder in der Lunge wird gezogen, da kein Wasser mehr produziert wird. Zwischendurch hat er Herzrhythmusstörungen, plötzlich einsetzendes Herzrasen bis zu 150 Schläge in der Minute. Wir bekommen es mit einem Glas eiskaltem Wasser in den Griff. Von der Dosis morgens 2, abends 2 sind wir runtergegangen auf morgens 1 abends 1. Später dann morgens 1, abends 2. Papa fühlt sich allerdings schrecklich müde. Er kann immerzu schlafen und es fällt ihm sehr schwer, sich aufzuraffen. Er wird wieder sehr kurzatmig. Ein Tag im Krankenhaus ergibt keinen Grund für die Kurzatmigkeit. Kein Wasser in der Lunge, Blutwerte in Ordnung. Ich schiebe es darauf, dass er kaum noch Muskelmasse besitzt und das viele Liegen die Sache auch nicht gerade fördert.
Anfang August kann mein Vater noch mit dem Rollator durch die Wohnung gehen, aber die Luftnot wird schlimmer. Er hat Angst davor zu ersticken. Der Hausarzt und ich beteuern, dass das nicht passieren wird. Er versucht es wieder mit Morphium, aber davon bekommt mein Vater Halluzinationen, extreme Verstopfung, kann nichts mehr Essen und wirkt verwirrt.
Er will so nicht weiterleben und auch nicht unter Morphium langsam sterben.
Am Mittwoch, den 15. August gegen 8.00 Uhr nimmt er all seine verbliebene Kraft zusammen, geht in sein Musikzimmer, stellt den Notenständer auf, setzt sich in seinen Sessel davor, legt den alten Karabiner auf und betätigt irgendwie den Abzug. Die Kugel durchschlägt die Lunge, streift das Herz. Er ist sofort tot.
Meine Mutter findet ihn zusammengesunken in seinem Sessel. Was danach folgt ist unbeschreiblich, Polizei, Kripo, Verhöre etc. Wir werden behandelt wie Verbrecher, aber gut die tun halt auch nur ihre Arbeit…
Ich habe meinen besten Freund verloren, meinen Paps, der immer alles für mich getan hat, der immer für seine Familie da war. Es tut mir so leid, dass ich Dir kein menschenwürdiges Sterben ermöglichen konnte. Ich wäre mit Dir bis in die Schweiz gefahren, Du weißt ich hätte alles für Dich getan. Ich bin so stolz auf Dich, Du bist der beste Papa, den man haben konnte. Ich liebe Dich!

Geändert von gitti2002 (06.09.2014 um 17:03 Uhr) Grund: rechtl. Gründe
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