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Alt 23.05.2010, 02:58
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Lilaloona Lilaloona ist offline
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Standard AW: Das Leben danachhttp://www.krebskompass.de/forum/images/editor/separator.gif

Liebe Tanja,

Bei mir war es damals nicht ganz so, ich habe meine Ziele nie aus den Augen verloren.... Mein erster Satz als ich die Diagnose erfahren habe war: "Werde ich jetzt meine Haare verlieren?" der zweite: "Die Chemo dauert acht Monate, gut, danach seht ihr mich so schnell nicht wieder!" Dann mach ich meine Ausbildung und bald habe ich dann eine eigene Wohnung

Nach der Chemo und den drei Wochen AHB habe ich dann doch gemerkt das der "Wiederaufbau" wohl nicht so schnell gehen wird... wollte dann noch "ruhen" nachdem mir der Arzt gegen Ende der AHB sagte das ich noch nicht arbeiten solle.... Doch kaum war ich wieder zuhause gingen die Fragen los... "Wie stellst du dir das jetzt weiter vor?"... "Ja wie lange denkst du denn das du jetzt daheim rumsitzen kannst?".... "Du bist doch wieder gesund also mach gefälligst weiter!".......

Ich will meinen Eltern wirklich keine Vorwüfe machen, sie haben sich während der Therapie aufopferungsvoll um mich gekümmert wofür ich ihnen immer dankbar sein werde.... Aber diese Sätze taten einfach nur weh, ich verstehe bis heute nicht warum sie mir nicht glaubten das es einfach noch nicht geht

Naja, 3 Wochen nach der AHB habe ich meine Ausbildung zur Bürokauffrau angefangen, ging genau ein Jahr gut, dann fing mein Immunsystem auf einmal an zu "spinnen" (anders kann ich mir nicht erklären warum ich im 2-Wochen-Takt von allen möglichen Krankheiten gequält wurde.... Dementsprechend leider die Fehlzeiten in Betrieb und Schule... Die Ärzte meinten, mein Immunsystem sei wie das eines Säuglings und muss all die alltäglichen Krankheits-Zipperlein wieder lernen um antikörper dagegen bilden zu können....

Somit hatte ich im zweiten Lehrjahr so viel versäumt das ich es freiwillig wiederholt habe.... Dieses Mal lief´s besser und ich kam ins dritte Lehrjahr... am Anfang des dritten Lehrjahres ging es dann mit Selbstzweifeln, Depressionen und schlimmer Antriebslosigkeit los.... darauf folgte ein dreimonaiger Aufenthalt in einer psychiatrischen Fachklinik und die Einstellung auf Antidepressiva und Stimmungsstabilisatoren.... Während dieses Aufenthaltes wollte mich mein Ausbilder kündigen, glücklicherweise hatte ich da noch 80 % Schwerbehinderung und das Versorgungsamt sowie die IHK stimmten einer Kündigung nicht zu....

Letztendlich hab ich es dann doch geschafft und meine Ausbildung zur Bürokauffrau erfolgreich abschließen können. Nach der Ausbildung ging´s dann los mit der Jobsuche, mit den Bewerbungen und vor allem mit der Frage: "Wie erkläre ich die Lücke von knapp 2 Jahren in meinem Lebenslauf??" und: "Wie soll ich denen verklickern warum ich so viele Fehlzeiten habe??".... Naja, ich habe dann Bewerbungen geschrieben und die Lücke in meinem Lebenslauf einfach mal Lücke sein lassen... das Zeugnis vom dritten Lehrjahr habe ich einfach nicht mitgeschickt.... Hatte dann auch zwei Vorstellungsgespräche, zweimal Probearbeiten, zweimal ein Nachgespräch nach den Probearbeiten das ich ja so super Arbeite und mich so schnell einlerne in neue Sachverhalte und das ich so super mit den Kollegen umgehen würde... und.. und... und.... Beide male kam dann kurz vor der Einstellung die Frage nach dem letzten Berufsschulzeugnis, beide Male erzählte ich von meiner Erkrankung (wie soll ich die Fehlzeiten auch sonst erklären??) und beide Male hieß es: "Krebs?? Das tut uns wahnsinnig leid für sie aber wir können sie nicht einstellen.... wir können nicht riskieren das sie einen Rückfall erleiden und als Arbeitskraft ausfallen".... Das war wie ein Schlag ins Gesicht

Ich habe Jahrelang (auch nach der Chemo) für das gekämpft was ich will... Jahrelang bin ich über sämmtliche Steine gesprungen die mir in den Weg geworfen wurden... Habe mit Krankenkassen gekämpft um von der Zuzahlungspflicht befreit zu werden (einen Zeitraum von 4 Monaten in dem ich nicht beim Arzt/ Neurologen/ Krankengymnastik oder sonstwas bin gibt es nicht )..... Habe mit dem Arbeitsamt gekämpft, habe versucht mit staatlichen Hilfen eine eigene (wenn auch klitzekleine) Wohnung beziehen zu dürfen.... Habe immer wieder erklärt das ich nicht mehr zuhause wohnen kann weil ich zu Hause nach jedem Nieser die Hölle auf Erden hatte.... "Waaass?? Du bist schon wieder krank??? Das gibt es doch gar nicht, du KANNST nicht schon wieder krank sein!!!" Ich hatte das Gefühl sie glauben mir nicht, sie vertrauen mir nicht mehr...... Ich konnte (und kann bis heute) einfach nicht sagen wie lange ich einen Infekt mit mir rumschleppe bis es mir wieder einigermaßen gut geht....

Ich habe das Gefühl als würde mich kein Mensch in meiner Umgebung verstehen, als würden mich alle als faulen Mensch sehen...

Nachdem ich nach meiner Ausbildung keine Arbeit gefunden habe habe ich mich entschlossen die Berufsoberschule zu besuchen, habe dort die Vorklasse gemeistert und dieses Jahr in der 12ten Klasse leider die Probezeit nicht bestanden.... Im Gespräch mit Klassenleiter, Direktor und meiner liebsten Lehrerin wurde mir vermittelt ich sei psychisch nicht stark genug für dieses Schulsystem, solle mir bis September eine Auszeit nehmen und es dann nochmal versuchen...

Momentan mache ich das auch, nachdem meine Schwiegermutter-In-Spe in langen Gesprächen erfahren hat wie angespannt die Situation bei mir zuhause ist meinte sie ich solle einfach zu meinem Freund ziehen (der auch noch zu hause wohnt weil er gerade seine Diplomarbeit schreibt) nach langem Überlegen habe ich dies dann auch getan ... Trotzdem habe ich lange gebraucht (und schaffe es bis heute kaum) hier ohne schlechtes Gewissen zu leben... vom Arbeitslosengeld komm ich irgendwie durch bis September, auch meine Familie unterstützt mich glücklicherweise Finanziell wenn es gar nicht mehr anders geht...

Mittlerweile bin ich der Meinung das ich mir ein halbes Jahr Pause durchaus verdient habe...

Ich habe mir vorgenommen den Ratschlag meiner Lehrer zu befolgen mit ein halbes Jahr Auszeit zu nehmen und wieder zu mir selbst zu finden.... Durch dieses Forum habe ich es auch geschafft mich zumindest wieder mit meiner Vergangenheit zu beschäftigen, ich hoffe das ich sie so auch aufarbeiten kann was bei mir erfahrungsgemäß immer lange dauert (mit 10 Jahren erfuhr ich vom Selbstmord meiner liebsten Oma.... irgendwann mit 14 habe ich es geschafft zu realisieren das sie wirklich nicht mehr da ist und da dann auch zum ersten Mal geweint..) Mit der Chemo-Zeit geht es mir jetzt ähnlich.....

Ich weiß einfach nicht mehr was ich tun soll... ich bin derart verletzlich zur Zeit... das merkt auch mein Freund... Seine Eltern machen ihm zur Zeit Stress weil er arbeiten soll nebenher.... Heute kam seine Mam zu uns ins Zimmer und zeigte mir eine Stellenanzeige für Erdbeerverkäuferin.... Meine Antwort (die ich nicht mal kontrollieren konnte) war: "Ich rufe am Montag den Rentenversicherungsträger an ob die entlich mal über meinen Reha-Antrag entscheiden"...

Ich weiß nicht wie ich es ausdrücken soll.... nur wegen dieser Stellenanzeige ist in mir eine Welt zusammengebrochen... Sie stand für mich Symbolisch für "Dein Gefühl hat dich getäuscht, auch hier wirst du nicht verstanden... für die Menschen um dich rum dreht sich alles nur ums Arbeiten, keiner Versteht dich wenn du ein Paar Monate Pause brauchst"...

Ich weiß nicht mehr was ich machen soll... jedes Mal wenn ich mit etwas konfrontiert werden mit dem (oder mit etwas ähnlichem) ich iiiirgendwann mal schlechte Erfahrungen gemacht habe (Sei es nun Privatleben, Schule... egal was) kommt sofort die Automatische Blockade... "Nein, das geht nicht weil das ist damals auch nicht gegangen... usw.. usw.... ) Manchmal habe ich das Gefühl ich hänge richtig in der Vergangenheit fest und finde den Weg in die Gegenwart nicht mehr...

Es tut mir sehr leid für dich das du gerade in dieser schweren Zeit von deinem Freund belogen und betrogen wurdest

Das schlimme bei mir ist das ich mich an meine Stärke von damals nicht mehr erinnern kann... so viele Erinnerungen aus dieser Zeit sind weg, das macht mich total fertig

Das ich mehr auf mich achten muss habe ich durch die Chemo auch gelernt, allerdins komme ich mir da auch oft egoistisch vor...Ich habe einen verständnisvollen Freund den ich über alles liebe Aber sogar er wirft mir ab und zu vor das alles nach mir gehen soll und und und... Ich weiß das er mich so gern verstehen würde, weiß aber auch das er mich nicht verstehen kann

Die verwundete Seele beschreibt perfekt wie ich mich fühle

Es fällt mir sehr schwer meine Lebensfreude in kleinen Dingen zu sehen, das sind nur sehr seltene Momente obwohl mir das früher sehr leicht gefallen ist... Ich werde einfach viel zu oft gefragt wie es weitergehen soll... wie ich mir die nächsten Jahre vorstelle... und.. und.. und... von solchen Fragen fühle ich mich jedes Mal total überfordert

Ich kenne das Gefühl wenn ein liebgewordener Mensch durch diese Sch*** Krankheit aus dem Leben gerissen wird.. habe damals auf der AHB eine ganz liebe junge Frau kennen gelernt... sie war an irgendeinem seltenen "Kinderkrebs" erkrankt... Aber sie war eine Frohnatur, sie gab mir die Kraft und den Mut mich auch ohne Perücke mit meinem zu Igelstacheln gegelten Babyflaum auf dem Kopf in der Öffentlichkeit zu zeigen.... auch nach der AHB habe ich sehr oft mit ihr telefoniert... eines Tages bekam ich eine SMS von einem anderen Mitpatienten aus der AHB das sie einen Rückfall erlitten hätte und daran gestorben sein.....

Dankeschön für deine Umarmung Ich hoffe das es bei mir in der Nähe einen Psychoonkologen gibt

Und, sorry das mein "Brief" schon wieder so durcheinander ist.... ich schreibe das was mir gerade durch den Kopf geht... und wenn ich mir so ansehe wie durcheinander des ist denke ich mir nur noch: "Oh man, da herrscht ganz schönes Durcheinander in deinem Kopf"

Ganz liebe Grüße, Evi
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Diagnose Morbus Hodghin im 4. Stadium mit Axilarem Tumor, Wassereinlagerung nähe Zwerchfell und Befall des rechten Lungenflügels im Dezember 2002.

8 Zyklen Beacop (gegen Ende dosiseskaliert)

Abschlussuntersuchung Päd im August 2003, seitdem vollständig geheilt
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