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Alt 23.05.2017, 11:41
Catalie Catalie ist offline
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Registriert seit: 23.05.2017
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Standard Meine Mama stirbt...

Jetzt habe ich mich doch auch angemeldet, weil ich es alleine nicht mehr schaffe. Ich glaube, ich habe in den letzten Tagen mehr geweint, als in meinem 44jährigem Leben davor. Ich bin traurig, überlastet, unsicher...

Nachdem kurz vor Weihnachten mein Vater (74) ganz überraschend tot in seiner Wohnung gefunden wurde, wurde ich Anfang März mit der ebenfalls sehr überraschenden Krebsdiagnose meiner Mutter (73) konfrontiert: Brustkrebs im Endstadium. Ich holte sie aus Süddeutschland nach Berlin "zu mir" in ein sehr gutes Pflegeheim 300 Meter entfernt, zuerst war das als Übergangslösung gedacht.

Seitdem geht mir alles viel zu schnell... Anfang April schauten wir uns noch einige Einrichtungen mit Betreutem Wohnen an, meine Mutter war schwach, machte aber mit mir und den Kindern Ausflüge über mehrere Stunden, konnte auch mit Krücken einige hundert Meter laufen.

Sie bekam eine palliative Chemo, die sie schlecht vertrug. Nach dem zweiten Mal wurde der Abstand auf drei Wochen vergrößert. Sie war nur dreimal dort.

Vor zehn Tagen wurde mir das erste Mal klar - einfach nur gefühlt -, dass es wesentlich schneller gehen würde, als ich und auch meine Mutter gedacht hatten. Mein Gefühl sagte mir, noch ein paar Monate. Ich sprach mit der Ärztin und sie bestätigte mein Gefühl.

Vor vier Tagen bekam ich dann das Gefühl, aus den Monaten könnten Wochen werden. Am Samstag habe ich mit Mama noch einmal einen dreistündigen Ausflug in den Park zum großen Rhododendronhain gemacht. Sie wäre früher ob der Blütenpracht ausgeflippt, jetzt bringt sie kaum mehr ein Lächeln zustande. Ich hatte schon während dieser Stunden das Gefühl, das ist das letzte Mal. Und tatsächlich kommt sie seit Sonntag nicht mehr aus dem Bett.

Sie hat schon seit langem Atemnot (aufgrund des Pleuraergusses wurde überhaupt der Krebs diagnostiziert), Metastasen sind im der Leber und in der Lunge. Eventuell gibt es einen zweiten Tumor in der Gebärmutter. Übel ist ihr schon sehr lange. Seit ca. einer Woche kann sie kaum mehr was essen, weil die Verdauung nicht mehr funktioniert.

In dem Heim gibt es eine Palliativstation und ich vertraue der Ärztin sehr, die zwei- bis dreimal die Woche dort ist. Es ist ein Jonglieren zwischen Schmerzen, Übelkeit, Verdauung und Kraft. Aber ich glaube, sie macht das ganz gut. Sehr starke Schmerzen hat meine Mutter glücklicherweise nicht - zumindest sind sie ihr nicht anzumerken. Sie jammert, aber unspezifisch...

Seit der Diagnose ist meine Mutter depressiv. Was mir einerseits das Herz bricht, andererseits aber auch veranlasst, dass wir nun wirklich gut miteinander auskommen. Es macht sie "weicher". Ich habe sie sonst nur 1-2 Mal im Jahr besucht, weil es öfter aufgrund ihrer psychischen Labilität einfach nicht ging.

Gestern bin ich neben ihr ins Bett gekrochen (und habe gleichzeitig gedacht, lange wird sie nicht mehr rutschen können) und lag einfach nur neben ihr. Ein Teil meines Abschiedes ist dort passiert. Mama döste immer wieder weg, ist aber noch ganz klar (wenn auch sehr unkonzentiert und vergesslich, das gedankliche Fokussieren fällt Ihr schwer) und hat mir einmal ganz lieb über die Wange gestreichelt. Ein Moment, den ich für immer in mir tragen werde.

Ich hatte ihr gebrannte Mandeln mitgebracht, die sie immer so liebte. Sie hat nicht gelächelt, aber sie hat sie fast alle aufgegessen.

Mit meiner Mutter kann ich über ihr Sterben nicht reden. Sie war noch nie ein reflektierter Mensch und Gespräche über ihr "sein" wollte sie nie führen. Ich höre sie in Gedanken förmlich sagen: "Wir wissen doch, was ist... darüber müssen wir doch nicht reden." Ich möchte Ihren unausgesprochenen Wunsch aktzeptieren.

Ich bin hochsensibel, gehe 1:1 mit meiner Mama mit und habe das Gefühl, ich sterbe auch. Ich spüre ihre Angst, Ihre Trauer, Ihr Bedauern über nicht gewesenes und vor allem über die verlorenen Träume. Ich kann mich nicht abgrenzen!!!

Es gibt hier keine weiteren Angehörigen. Meine Schwester wohnt weit weg und kann aus verschiedenen Gründen nur selten hier sein. Ich bin alleinerziehend und habe zwei kleine angenommene Kinder (bald 3 und 6), eins davon mit großen emotionalen Problemen (und damit eine große Herausforderung).

Ich möchte so viel wie möglich bei meiner Mutter sein und gleichzeitig weiß ich auch, dass ich es nur sehr begrenzt schaffe. Dabei geht es nicht so sehr um die Zeit, sondern eher um die Kraft, die es mir raubt. Ich fühle mich ausgelutscht, ohne Energie, als ob ich durch Watte gehe. So bin ich seit ein paar Tagen täglich 1 1/2 bis 2 Stunden bei ihr.

Ich bin sehr traurig, dass meine Mutter geht, aber schlimmer ist, ihr beim Sterben zuzusehen. Ich habe nicht nur großes Mitgefühl, ich leide wirklich sehr mit - gegen besseres Wissen. Natürlich hilft ihr das nicht!

Auch dieser "Abschied auf Raten" macht mich so fertig. Ich habe das Gefühl, ich kann nicht mehr zur Ruhe kommen, als ob es eine unaufhörliche Qual ist. Ich verabschiede mich täglich von Mama und brauche dann 6-12 Stunden, um mich wieder einigermaßen zu sammeln - und dann geht es von vorne los.

Jetzt war eigentlich geplant, dass ich übermorgen mit den Kindern für fünf Tage an die Ostsee fahre. Ich drehe mich jetzt hier im Kreis, weil ich nicht weiß, was ich machen soll.

Ich möchte meine Mutter so ungerne so lange alleine lassen. Meine Besuche strengen sie an, aber sie freut sich auch. Und ich kann ihre Angst spüren. Ich möchte sie nicht "im Stich lassen"... Vor allem möchte ich später nicht bereuen, dass ich nicht da war.

Ich rechne nicht damit, dass meine Mutter "vollständig" stirbt, während ich weg bin. Aber Teile von ihr wird es danach nicht mehr geben...

Auf der anderen Seite aber freuen sich die Kinder so auf die Tage. Und ich selbst könnte eine Pause gut vertragen. Meine Schwester kann in der Hälfte der Zeit für einen halben Tag zu ihr kommen. Und ich habe auch das Auto mit und könnte innerhalb weniger Stunden wieder hier sein.

Mein Kopf sagt: "Geh", aber mein Herz ist zerrissen!

Ein paar Worte würden mir sehr helfen! Ich fühle mich sehr allein!
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