Thema: Ein Jahr...
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Alt 10.01.2010, 18:10
Stefans Stefans ist offline
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Standard AW: Ein Jahr...

Hallo,

danke an alle für den Zuspruch - tut gut!

Annett:
Ich habe verfolgt, wie es dir geht, und habe immer noch ein schlechtes Gewissen, weil ich damals auf deine Nachricht nicht geantwortet habe. Aber es ging einfach nicht, das war mir zu dem Zeitpunkt zu nahe, da war "Selbstschutz" angesagt. Gerade beim Thema Weihnachten. Meiner Frau war das letzte Weihnachten genau so wichtig wie deinem Sohn. Klar, ein Festessen, obwohl sie ja schon lange nichts mehr essen konnte (und schon bei Essensgeruch an zu kotzen fing). Und natürlich der Baum.

So traurig das war, im nachhinein gesehen gab es auch schöne Momente. Als ich meiner Frau in der Klinik sagte, dass ich den Weihnachtsbaum schon gekauft habe, fragte sie gleich nach den Kerzen. Klar, habe ich auch gekauft. Aber doch echte? Natürlich echte, hatten wir doch immer. Wie viele denn? Ich sage, na so 2-3 Packungen, bestimmt 50. Meine Frau: Das reicht doch nicht, da können wir am 1. Feiertag ja schon gar keine Kerzen mehr anzünden. 100 bräuchten wir da mindestens! Es war klar, sie ist so vom Morphium umnebelt, dass sie das nicht mehr einschätzen kann.

Aber es war sonnenklar, wie wichtig ihr das war. Also habe ich brav noch Christbaumkerzen ohne Ende dazu gekauft. Aber vorsichtshalber auch elektrische. Und nur die kamen zum Einsatz, weil meine Frau gar nicht mehr in der Lage war, so lange wach zu bleiben und Gesellschaft zu ertragen, wie echte Kerzen brauchen, um runterzubrennen Aber es war trotzdem ein schönes Weihnachten.

Auch andere Dinge haben sich kurz vor ihrem Tod einfach "gefügt". Hund und Katze (die wirklich "wie Hund und Katze" sind) z.B. waren, als meine Frau zum Sterben nach Hause kam, zum ersten mal zusammen im Wohnzimmer - und völlig friedlich. Das gab's vorher nie. Die Katze hat auf dem Bett meiner Frau gelegen (nein, die Infusionsschläuche sind kein Spielzeug!) und der Hund daneben gesessen und ihr die Hand abgeschleckt. Wenn mir das 2 Wochen vorher jemand gesagt hätte, hätte ich das nie für möglich gehalten.

Zitat:
Zitat von Morgana Beitrag anzeigen
Es hilft mir sehr "damit" zu leben, dass ich weiß, dass zwischen uns nichts offen geblieben ist; dass wir in Liebe Abschied genommen haben.
Das geht mir genau so. Und mir hilft manchmal auch das "relativieren", wie Viki das gesagt hat: anderen geht es noch viel schlimmer.

Uns hätte auch viel Schlimmeres passieren können. Meine Frau hätte im Krankenhaus sterben können, was sie unter keinen Umständen wollte. Dass sie nach Hause kommen konnte, hing letztlich nur an der mobilen Morphium-Pumpe. Hätte der Großhändler da gerade einen Lieferengpass gehabt... Oder sie hätte bei einem Unfall sterben können. Früher dachte ich immer, so ein langsamer Tod wie bei Krebs ist ganz schlimm. Lieber abends einschlafen und morgens nicht mehr aufwachen.

Aber im Nachhinein bin ich überzeugt: wenn meine Frau z.B. morgens zur Arbeit gegangen und abends nicht wieder gekommen wäre, wäre das viel, viel schlimmer gewesen. Wir hatten Zeit, konnten wichtige Dinge regeln und Abschied voneinander nehmen. Es blieb nichts offen, wie bei euch. Ich stelle es mir schrecklich vor, jemanden "ohne Vorwarnung" zu verlieren. Wenn so vieles ungesagt ist und so vieles zu bereuen (warum haben wir am Abend vorher noch gestritten...), was nie mehr zu ändern ist. Insofern war es "gut" so, wie es bei uns war.

Zum Glück bin ich auch so gestrickt, dass ich mir die "Warum?" Frage normalerweise nicht stelle und auch nicht über die Ungerechtigkeit des Lebens nachdenke. Bzw. nur kurzzeitig in ganz schlimmen Phasen, aber die gehen wieder vorbei. Es war halt so, wie es war.

Die Leere und Einsamkeit ist da, und es wird auch niemals einen Ersatz für meine Frau geben. Auch wenn ich sie täglich vermisse und sie zurück wünsche, will ich das eigentlich auch nicht. Was wir hatten, war nicht immer schön, aber einzigartig. Es wird und soll keinen "Ersatz" geben, kein "Zurück" und keine Wiederholung der Vergangenheit. Bestenfalls eine "würdige Nachfolge" für meine Frau. Und das wäre schon sehr viel. Ich fühle auch nicht so wie Annett, dass ich "alles ausschließe, was dir nicht gleicht". Die Frau, die ich liebe und vom Fleck weg heiraten würde (die mich aber nicht haben will), ist das genaue Gegenteil zu mir und meiner Frau. Lebensbejahend, lebensfroh, ein Energiebündel, belastbar, mit voller power nach vorne blickend. Für die sind Depressionen ein Begriff aus der grauen Theorie. Insofern ist es vielleicht gut, dass die mich nicht haben will. Würde wahrscheinlich auf Dauer nicht gut gehen.

Was mir mein Leben einfacher macht, ist auch, dass ich das Leben nicht so wichtig finde. Schon gar nicht in der Quantität, und meins sowieso nicht. Ich kenne Depris und Suizidalität seit 30 Jahren. Ich war mehr als die Hälfte meines Lebens mit meiner Frau zusammen, und mit ihrem Tod ist mir das halbe Leben weggebrochen. Was jetzt noch da ist, ist manchmal schlimm, meist erträglich und manchmal sogar ganz OK. Aber es macht keinen Sinn mehr, und es ist nicht mehr wichtig. Völlig egal. Ich trage niemandem gegenüber mehr Verantwortung (mein Viehzeug ausgenommen), und darüber bin ich sehr froh. Mein "final exit" ist vorbereitet, und es interessiert niemanden, ob und wann ich den wähle oder nicht. OK, stimmt nicht, es interessiert doch ein paar gute Freunde. Aber die wissen, dass sie das nichts angeht und dass sie da ohnehin keinen Einfluss auf mich haben.

Viele Grüße,
Stefan

"If you have to go don't say goodbye
If you have to go don't you cry
If you have to go I will get by
Someday I'll follow you and see you on the other side"
(Smashing Pumpkins; For Martha)
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