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Alt 05.12.2005, 19:18
Barbara 64 Barbara 64 ist offline
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Standard AW: Zwei Jahre danach...

Wir haben viel geredet, auch über die Zeit, als Papa gestorben ist. Ich habe Dir gesagt, was mich damals gestört und verletzt hat, und es schien so zu sein, als ob Du zum ersten Mal zuhören konntest. Du meintest, Du würdest Dich gar nicht erinnern, aber wenn das wirklich alles so gewesen sei, dann täte es Dir leid...
Mama, es war so, tatsächlich war es viel schlimmer, als es sich in einem Gespräch anhören kann. Ich habe kaum glauben können, daß Du Dich nicht erinnert hast, aber Du warst immer ganz gut im Verdrängen von Wahrheiten, die Dich schlecht dastehen ließen. Doch zum ersten Mal konntest Du zumindest zulassen, daß es da auch noch eine andere, meine Wahrnehmung gab.

Du wußtest, daß Du nicht mehr 'ewig' zu leben hattest, hofftest auf ein Jahr... Dein Ziel war, zumindest Deinen 70. Geburtstag im Juli 2004 zu feiern. Ich würde ja da sein, Dich unterstützen, Dir beistehen. Und wir haben Weihnachten verplant, Du würdest Heiligabend zu uns kommen und bei uns schlafen...
Mama, war Dir eigentlich bewußt, wie vollkommen absurd das Ganze war ? Jahrelang dieser unsinnige Kampf, jahrelang Dein Mißtrauen, jahrelang Deine erfolglosen Versuche, mich zu ändern, und plötzlich, in dieser tatsächlich ernsten Situation vertraust Du mir bedingungslos, baust auf mich, akzeptierst Con... und findest das ganz 'normal'...

Ich fand das vollkommen verrückt, empfinde es heute noch als unwirklich. Sicher, einerseits war das schön, auch Papa hat, als es ernst wurde, auf mich vertraut, und so sollte es ja auch sein. Andererseits hattest Du wenige Chancen ausgelassen, um die Distanz zwischen uns zu bewahren. Deine sogenannten Freunde, die Nachbarn, alle Meinungen waren eher Maßstab für Dein Urteil über mich als die Frage, ob ich froh und zufrieden bin. Plötzlich waren alle 'weg', und ich durfte sein, wie ich bin, selbst meine Freunde waren Dir plötzlich wertvoll, weil sie mich unterstützt haben und Dich auch...
Es war ein merkwürdiges Gefühl, nach all den Jahren war es so, wie ich es mir gewünscht hätte, und nun konnte ich es Dir nicht glauben. Und ich glaube es bin heute nicht, habe bis zum heutigen Tag Zweifel daran, ob das, was es damals war, wahrhaftig war...

Con und auch die anderen sagen mir, ich solle darauf vertrauen, Du hättest mich lieb gehabt und eine wirkliche Verbindung zu mir. Sie können zwar meine Zweifel verstehen, und sie empfinden auch den Widersinn in dem Ganzen. Doch sie können nicht fühlen, was ich fühle: Meine Mutter, von der ich mich nie wirklich geliebt fühlte, hat plötzlich eine gewisse Nähe zugelassen... Und ich konnte es nicht genießen. Ich habe es nicht gespürt in mir. Ich wußte nur, daß Du auf meine Verläßlichkeit bauen konntest und darauf, daß ich alles tun würde, was Du für Dich wolltest, weil Du das bei Papa erlebt hattest. Du hattest keine Wahl: Mich oder Keinen, und Du hast Dich für mich entschieden.
Manchmal wünsche ich mir, ich hätte ein Gefühl, das mir sagt, daß das nicht einfach nur die zweitschlechteste Alternative für Dich war. Doch da ist nichts...


Ein Traum, ein Traum ist unser Leben
Auf Erden hier.
Wie Schatten auf den Wolken schweben
Und schwinden wir.
Und messen unsre trägen Tritte
Nach Raum und Zeit;
Und sind (und wissen's nicht) in Mitte
Der Ewigkeit...

Johann Gottfried Herder
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