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Alt 08.01.2012, 12:28
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sywal sywal ist offline
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Standard AW: Myxoides Liposarkom - Rezidive

1995 - 2002

Ich hatte begonnen mein Leben neu zu orientieren. Die 1994, mit Kredit renovierte 3 Zimmer Wohnung im 10. Stock, mit schönem Ausblick und der Möglichkeit den Sonnenuntergang zu beobachten, hatte ich kurz vor der OP 1995 in eine 1 Zimmer Wohnung im 2. Stock getauscht. Die Pension war beantragt, und befristet bewilligt worden, mein Einkommen nun geringer und sozialstaatabhängig. Die Armut meiner Kindheit und nach Familiengründung wollte ich nicht noch mal erleben, nur um weiter in einer großen schönen Wohnung zu leben. Habe ohnehin nur einen Popsch für den ich nur eine Sitzfläche brauche. Habe aber einen Gaumen, der gerne mehr als täglich Kartoffel ohne irgendetwas hätte, und ab und zu wollte ich ins Kino gehen. 1994, als ich den Kredit aufnahm, dachte ich noch nicht an eine Umorientierung. Das Geld, welches ich durch Wohnungsverkleinerung einsparte, ging noch einige Jahre für die Rückzahlung meiner Schulden drauf. Aber ich hatte, auf lange Sicht gesehen, den richtigen Schritt gesetzt. Hatte gelernt zu unterscheiden zwischen „was will ich“ und „was brauche ich“. Die freiwillige Reduktion des Lebensstandards erlebte ich ohne größere Probleme.

Mein Hausarzt hat, wie schon die Hausärztin vor ihm, die Kassenordination zurückgelegt. Der Chirurg wurde Primar in einem Privatkrankenhaus geworden und stand für mich nicht mehr zur Verfügung. Meine materiellen und psychischen Resourcen für weitere Behandlungen waren gleich Null. Sicherlich gab es einige Anläufe zu Therapien. Auch hier lernte ich, dass ich zuerst die Gesamtkosten gesichert haben muss und erst dann eine Therapie eingehen kann. Alles andere würde wenig Sinn machen. So verlegte ich meine Ziele nicht auf Hilfe bei anderen Menschen suchen sondern konzentrierte mich auf „mein Wissen ist mehr Macht über mich“.

Durch den Streit mit der Behörde wegen Rückerstattung der Behandlungskosten kam es auch zum verbalen Eklat mit den beiden Onkologen, welche an der Diskussion mit den Schauspielern teilgenommen hatten. Beide Onkologen empfahlen OP+Chemo+Strahlentherapie, sie leiteten auch Studien bei welchen diese Therapien an Patienten beobachtet wurden.

Der erste Experte behauptete u.a. auch, dass sich myxoide Liposarkome vorwiegend im Bauchraum entwickeln. Gemäß meinen, vorerst sehr einfachen Recherchen stimmte dies nicht. Ich suchte und fand auch woher dieser Arzt möglicherweise seine Information hatte. In einem anerkannten medizinischen Lexikon war die häufigste Lokalisation mit „Bauchraum“ angegeben. So erlaubte ich mir den Herausgeber auf diesen Fehler aufmerksam zu machen und wirklich, in der nächsten Auflage, sollte, laut Rückantwort, der Eintrag geändert werden.

Nach einer Befragung jenes Onkologen, welcher diese 3 Gutachten geschrieben hatte, wurde mir per Bescheid mitgeteilt, dass ich einen Grad 3 Tumor hatte, mein Einspruch mit Berufung auf die vorliegenden histologischen Befunde wurde abgelehnt. Mittlerweile etwas in die medizinische Statistik eingelesen empfand ich seine Behauptung, er könne mit OP+Chemo+Strahlen 80% der Patienten mit meiner Diagnose (myx. LIS Grad 1!) ein Rezidiv ersparen als Medizinerwitz. Menschen die gestorben sind können, und nur das ist wissenschaftlich belegbar, kein Rezidiv entwickeln. Er berief sich auf eine internationale Studie, nannte den Autor. Vor der Behörde sagte er noch „diese Studie gebe ich ihnen“, am nächsten Tag meinte er „wie komme ich dazu, gehen's in die Bibliothek“. Hatte er diese Publikation sinnerfüllt gelesen und entdeckt, dass sie seine Aussage nicht bestätigt? So lernte ich die Fachbibliothek kennen und, nach dem ich den Überblick hatte, begann ich sämtliche internationale Studien zu kopieren, deren Ergebnisse zu katalogisieren. Jene wenigen Publikationen, welche in dieser Bibliothek nicht vorhanden waren ließ ich von einem Literaturservice besorgen. Letztendlich waren es dann 7 Ordner Unterlagen. Aber es gab bis 1999 keine einzige Studie welche für ein operables myxoides Liposarkom Grad 1 einen Überlebensvorteil durch die empfohlene Therapie brachte.

Es gab und gibt aber sehr wohl Patienten mit Weichteilsarkomen, welche von den „scharfen“ Therapien profitierten, die Überlebens- und rezidivfreie Zeit verlängert werden konnte! Es gibt sie auch unter den Liposarkompatienten (Grad 1!), z.B. bei Inoperabilität!

Zu guter letzt wurde mir von einer Freundin das Studienprotokoll des Onkologen zugeschickt. U.a. ist hier zu lesen: „....Die Verabreichung einer ….mit potentiell aggressiver Charkteristik ist daher von großem klinischen Interesse in der Therapie dieser Tumoren, könnte aber auch beispielgebend für die ….Behandlung anderer aggressiver Malignome sein.
Und, unter Einschlußkriterien dieses Studienprotokolls waren keine Grad 1 Weichteilsarkome zu finden. War das die Erklärung für den Grad 3 Bescheid?

Irgendwann begann ich mich komplett zurückzuziehen, ging zu keinem Arzt mehr, wenn ich nur daran dachte bekam ich Panikattacken. 1 Mal in der Woche verließ ich für Lebensmitteleinkäufe die Wohnung, das telefonieren mit Freunden fiel immer schwerer, bis ich auch dies bleiben ließ. Dann fand ich in einer Zeitung ein Inserat, dass ein kleinerer Hund abgegeben wird. Alleine würde ich es nicht mehr schaffen mit den Öffis zu fahren, so bat ich meine Tochter mich zu begleiten. Wasti hieß der kleine Kerl, mein Therapiehund. Ob ich nun wollte oder nicht, mit ihm musste ich das Haus verlassen und auch ab und zu mit anderen Menschen sprechen.
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