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Alt 08.03.2002, 12:26
Gast
 
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Standard Darf man mit einem todkranken Menschen streiten?

Du sprichst mir aus der Seele - es klingt fast so, als ob Du etwas über mich geschrieben hättest. Ja, ich hatte ihn auch, diesen Gedanken, nicht nur einmal - es geschieht ihm Recht, doch wer wagt so etwas schon zu Ende zu denken, geschweige denn auszusprechen? Gleichzeitig tut er mir unendlich leid, denn - um Himmels Willen - natürlich hat er es nicht verdient so schwer krank zu werden - trotz der schweren Fehler, die er objektiv in der Vergangenheit gemacht hat.
In den ersten zwei Jahren seiner - zu dieser Zeit noch nicht erkannten -Erkrankung (wobei eigentlich klar war, dass es sich um eine Krebserkrankung handeln muss), war ich völlig niedergeschlagen. In dieser Zeit hat mich mein Vater sogar das eine oder andere Mal aufgebaut, weil er nicht an eine Krebserkrankung glauben konnte - oder wollte. Natürlich ist für ihn, der er so viel Hoffnung hatte, eine Welt zusammengebrochen, als sich dann herausgestellt hat, dass er tatsächlich Krebs hat. Ich war darauf vorbereitet, mich hat die endgültige Diagnose beinahe erleichtert. Zwei Jahre Ungewissheit hatten mich völlig zermürbt. Zu diesem Zeitpunkt waren wir uns - für unsere Verhältnisse - noch recht nahe.

Dann kam der Bruch, ich glaube er kam mit dem Tag, als mein Vater zum ersten Mal die Symptome seiner Erkrankung ganz unmittelbar zu spüren bekam. Bis dahin waren seine Beschwerden eher subtil. Er hat zum ersten Mal ausgesprochen, dass er Krebs hat, bis zu diesem Zeitpunkt war das völlig tabu. Ganz latent hatte - nicht nur ich - das Gefühl, dass er es uns gesunden Menschen beinahe zum Vorwurf macht, dass es ihn und nicht uns erwischt hat. Er ist so voller Wut und Hass, dass es beinahe unerträglich ist.

Nein, ich versäume es nicht, auch wenn es unter diesen Umständen schwer fällt, ihm zu sagen, dass ich stolz auf ihn bin. Es muss für ihn klingen, wie der blanke Hohn, denn natürlich ist er sich dessen bewusst, dass er in der Rolle als Vater und Ehemann nicht gerade geglänzt hat. Aber es ist so, auch wenn er uns sehr oft und sehr tief verletzt hat - ich liebe ihn, ich bin stolz auf ihn, ich würde ihn nicht eintauschen wollen. Das habe ich mir als Kind zwar sehr oft gewünscht, ihn gegen einen Vater einzutauschen, der auch mal zur Abwechslung zu Hause ist - aber das ist natürlich längst vorbei. Dieser alte Mistkerl, wie macht er das bloss, dass ich jetzt, obwohl ich so wütend auf ihn bin, heulen muss?! Ich danke Euch und - Ghostwriter, wenn du magst, ich gebe Dir mal meine Email-Adresse: besiwe@web.de...
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