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Alt 29.06.2005, 19:39
Gast
 
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Standard Wie geht ihr damit um?

vor ziemlich genau einem Jahr habe ich zum bisher letzten Mal die onkologische Station in Frankfurt am Main verlassen. Ich hatte ein hochmalignes diffuses B-Zell Lymphom. Der Lymphknoten von dem alles ausging war das Mediastinum (unter dem Brustbein). Weil man den nicht ertasten kann wenn er geschwollen ist wurde die Krankheit erst im Stadium 4 diagnostiziert.

Wo soll ich anfangen? Alles ist bestens sollte man meinen. Die Krankheit ist seit drei Nachsorgen in Remission. Ich studiere und arbeite wieder. Nach außen ist eigentlich alles in Ordnung. In letzter Zeit merke ich aber, das so einiges auch nicht in Ordnung ist.

Über die Therapie habe ich mich mit dem Gedanken gerettet, dass die Krankheit und die Therapie und die Quälerei irgendwann vorbei sein wird. Es ging eigentlich nur ums durchhalten. 6 Chemotherapien waren durchzustehen mit Bestrahlung zwischen Block 4 und 5. Der Mut durfte mich nicht verlassen und die Kraft nicht ausgehen. Insgesamt vielleicht 6 oder 7 Monate lang. Ich wollte nur die Zeit durchstehen, danach Gesund sein und bleiben und mein "normales" Leben wieder aufnehmen.

Am Tag als ich zusammen mit meiner Freundin die Diagnose bekam und wir wussten welche Therapie uns schon ab dem folgenden Tag erwartet, gingen wir spazieren. Direkt an der Uni-Klinik gibt es eine Eisenbahn- und Fußgängerbrücke. Völlig unter Schock hatten wir dort einen dieser unfassbaren Momente in denen die Zeit für einen Augenblick still zu stehen scheint. Unglaublich schön, unglaublich traurig. Ein Moment der stark genug ist um eine Chemotherapie mit der Erinnerung an ihn zu überstehen. Dort haben wir uns versprochen dass wir das alles gemeinsam durchstehen und das wir auf diese Brücke zurückkehren wenn alles vorbei ist.

Wir waren noch nicht wieder dort.

Das Lymphom ist wieder weg aber die Angst ist noch da. Ich komme nicht gegen sie an weil sie sich versteckt. Gegen die Krankheit konnte ich angehen, die lag vor mir, ich konnte sie sehen auch wenn ich sie oft mit den Nebenwirkungen der Therapie verwechselt habe. Immerhin gab es etwas dem man die Stirn bieten konnte und wenn es eben die entzündete Mundschleimhaut war. Manchmal konnte man auch gegen beschissene Ärzte kämpfen, glücklicherweise gab es auch tolle.

Diese Scheiß Angst aber, die in mir steckt seit ich in diesen Abgrund geblickt habe lässt sich einfach nicht greifen. Nur ihre Auswirkungen wenn sie mir von der Seite dazwischen grätscht kann ich sehen. Jemand sagt "Fußpilz", ich denke "Arzt" und stelle fest, dass ich soeben meine Hand wieder auf die Brust gelegt habe da wo der Tumor war. Jemand hat eine Glatze und ich erwische mich wie ich demjenigen auf die Augenbrauen starre und seine Gesichtsfarbe untersuche. Und solche Sachen im Stundentakt. Ein Jahr danach. Das hätte ich nie gedacht.

Das Gefühl womöglich niemals zu dieser Brücke zu gehen macht mich unglaublich traurig.

Verdrängen und abwarten dass alles einfach gut wird hat nicht funktioniert. Arbeiten bis an den Rand der Leistungsfähigkeit immerhin eine ganze Weile. Gesund zu werden war offenbar nur der erste Schritt für mich irgendwann einmal wieder ein Leben zu leben, das sich "normal" anfühlt. Deshalb lese ich seit ein paar Tagen viel im Forum. Ich dachte das es mir helfen würde zu spüren nicht der Einzige zu sein dem es so geht.

Allerdings habe ich bisher eigentlich viel mehr Äußerungen gefunden, die vermuten lassen, dass es für die meißten nach der Rückkehr der körperlichen Kräfte und natürlich der Gesundheit, ausgestanden ist, dass zumindest alles was danach noch kommt nicht vergleichbar ist mit der Zeit der Therapie. Für mich fühlt es sich so an als wäre der eigentliche Berg, den es zu bewältigen gibt erst in Sicht gekommen als das letzte Zelltal durchwandert war.

Ich frage mich, wie es Euch geht?
Sascha
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