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Alt 18.11.2005, 17:14
Barbara 64 Barbara 64 ist offline
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Standard AW: Zwei Jahre danach...

Unser Miteinander in der Zeit vor der Gallen-OP war wie immer eher ein Gegeneinander. Ich wollte keinen Streit mit Dir, schließlich warst Du im Krankenhaus, und es tat mir auch leid, daß es Dir schlecht ging. Ich dachte, wir halten Frieden, bis Du wieder gesund bist... Doch das ging mit Dir nie, nicht einmal, als Papa im Sterben lag und auch nicht nach seinem Tod, und so ging es auch jetzt nicht...

Du hast Dir keine großen Sorgen gemacht, nur Gallensteine, bißchen Angst vor der OP, aber ansonsten warst Du wie immer. Und Du hast mir wie immer Vorwürfe gemacht... Ich wollte Dir beistehen, und so habe ich nichts gesagt, nicht widersprochen, Dich einfach reden lassen... Ich hätte wissen können, daß das zu nichts Gutem führt, doch ich wollte keinen Streit... Ich hätte wissen müssen, daß Du Dich genauso verhalten würdest wie früher mit Papa, es gab für Dich kein Halten bis er richtig ärgerlich wurde und auch laut und Du Dich dann selbst bedauern konntest... Ich hätte wissen können...
Alles gipfelte dann in dem Vorwurf, ich sei Schuld daran, daß Du nun krank bist, weil ich Dich vernachlässigt habe, weil Du Dich immerzu fragen mußt, warum wir kein gutes Verhältnis haben, was Du nur gemacht hast, und Du hast doch nie etwas gegen mich gesagt oder getan... Wir haben beide nicht gewußt, wie krank Du warst. Manchmal habe ich mich gefragt, ob Du das auch gesagt hättest, wenn Du schon alles gewußt hättest... Ich wußte und weiß, daß ich keine Schuld habe an Deiner Erkrankung, und der Vorwurf hat auch nichts zu bedeuten... Du hast Dein Leben lang Vorwürfe gemacht, ohne nachzudenken, und wenn ich dann mit Dir darüber gesprochen habe, hast Du Dich entschuldigt, weil Du gar nicht so recht wußtest, was Du gesagt hattest...
Diesmal hattest Du eine Grenze überschritten... Und ich wußte, mit Dir verbindet mich die Tatsache, daß Du meine Mutter bist, sonst gibt es da nichts verläßliches für mich, es gibt kein Wir, es gibt Dich und mich, und es gab diese Zwangsgemeinschaft, weil Du krank warst.

Als ich Dich nach Deiner OP besuchte, warst Du sehr schlapp, und Du hast mir erzählt, daß Du im Aufwachraum gehört hast, daß Du Krebs hast, und ich müsse auf jeden Fall bleiben, bis die Ärztin da war, denn die wolle mit Dir reden, und da sollte ich dabei sein.
Ich war vollkommen hilflos in dem Moment, habe Dich in den Arm genommen, wußte nicht, was sagen, und spürte zweierlei in mir: einerseits fand ich sehr traurig für Dich, daß Du krank warst, ich war traurig für mich denn trotz allem bist Du meine Mutter, ja, und andererseits dachte ich, das kann ja heiter werden, Du warst mit Deinen Zipperlein schon oft unerträglich, wie sollte das werden mit einer lebensbedrohlichen Krankheit...

Ich würde mich also um Dich kümmern und Dich vielleicht sogar pflegen müssen...
Dich, die Papa in seinen letzten Wochen als Despoten beschimpft hat, weil er sich von mir Essen und Kaffee ins KKH bringen ließ... die ihn egoistisch fand, weil er sich am Wochenende dreimal täglich von mir besuchen ließ, zwischen den Mahlzeiten wollte er allein sein... Dich, die ihn bis zum letzten Tag strikt nach Stundenplan halb drei bis vier besucht hat, obwohl ich Dir gesagt hatte, wie sehr er auf Dich wartet schon lange vorher... Dich, die...so viele für mich furchtbare Dinge getan hat in dieser Zeit seiner Krankheit...
Das Gespräch mit der Ärztin war der Hammer. Sie hatte damit gerechnet, daß Du es schon wußtest (vielleicht war das Methode, Patienten während dem Aufwachen Zeuge von Hiobsbotschaften werden zu lassen), und ich habe ihr gesagt, was ich von ihr und dem ganzen Vorgehen halte... Guter Einstieg... Doch sie hatte es verdient, denn statt die bloße Nachricht 'Bauchspeicheldrüsenkrebs, inoperabel' wirken zu lassen, schob sie ungefragt nach, wir mögen nun rasch regeln, was zu regeln ist, solange das noch geht...
Ich glaube, Du hast das an dem Abend gar nicht verstanden. Ich habe sie danach auf dem Gang angesprochen, es war schon klar, sie hatte eigentlich keine Ahnung, war keine Onkologin (aber Götter in weiß sind nun mal allwissend), doch sie kannte die Statistiken. Ich finde das heute noch unfassbar, eine solche Unmenschlichkeit in den schlimmsten Momenten für die Patienten. Ich habe ihr das auch gesagt, doch ich glaube nicht, daß das bei solchen Leuten etwas nützt.

Ich bin noch eine Weile bei Dir geblieben, wir haben kaum geredet, aber heimlich auf dem Balkon geraucht, dann wolltest Du allein sein, und ich bin gegangen...
In mir tobte ein Sturm, ich wollte für Dich da sein, Du bist meine Mutter, und ich hatte so viel Ärger auf Dich in mir. Ich wollte Dir beistehen, wollte Dir helfen, durchzustehen, und in mir war so viel zwischen uns... Würde ich schaffen, den Weg mit Dir zu gehen, egal wohin, ohne Dir Vorwürfe zu machen ? Würde ich schaffen, für Dich zu sorgen, ohne immer und immer wieder daran zu denken, wie furchtbar Du gesprochen und gehandelt hast damals während Papas Erkrankung und nach seinem Tod ? Würde ich Dich bestimmt nicht zusätzlich leiden lassen ? Ich wußte es nicht, und ich war heilfroh darüber, daß die Ärztin Dich noch eine Woche im Krankenhaus behalten wollte, weil Du auf Insulin eingestellt werden mußtest. Das gab mir Zeit zum Nachdenken und Raum für meine Empfindungen.

Ein Traum, ein Traum ist unser Leben
Auf Erden hier.
Wie Schatten auf den Wolken schweben
Und schwinden wir.
Und messen unsre trägen Tritte
Nach Raum und Zeit;
Und sind (und wissen's nicht) in Mitte
Der Ewigkeit...

Johann Gottfried Herder

Geändert von Barbara 64 (18.11.2005 um 17:24 Uhr)
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