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Alt 01.08.2002, 17:17
Gast
 
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Standard Hilflose Helferin

Hallo Brigitte, hallo ihr anderen!

Du fragst, warum es nicht so einfach erlernbar ist, mit Tod und Sterben zurecht zu kommen?
Tja, schwierige Frage. Erstens denke ich, und das habe ich ja schon angedeutet, dass eine große Portion Einfühlungsvermögen dazu gehört, mit einem Menschen zu kommunizieren, der dem Tode nahe ist, weil man nämlich nie weiß, wie weit er sich selbst damit auseinander gesetzt hat, sterben zu müssen. Man will ihm natürlich nicht zu nahe treten, indem man mit ihm über etwas spricht, was er (noch) nicht akzeptieren kann. Andererseits kann es ja auch sein, dass der Nicht-Betroffene auch noch nicht so weit ist, Dinge auszusprechen, die er denkt. Man ist also gezwungen, sich aufeinanderzuzubewegen, sehr vorsichtig miteinander umzugehen und sich in den anderen hineinzuversetzen. Schwer!!! Kann man, glaube ich, nur sehr langsam lernen, durch immer erneute Auseinandersetzung mit anderen Menschen. Und nur mit bestimmten sozialen Kompetenzen und nur mit einer entsprechenden Einstellung. Ist ja eine grundsätzliche Entwicklung, nicht nur eine bzgl. des Sterbens oder des Todes. Viele Menschen wollen oder können sich ja nicht unbedingt mit sich selbst beschäftigen, dann müssten sie nämlich sehr tief in sich selbst hineinhorchen und bestimmte ZUsammenhänge verstehen können. Sie müssten sich und ihr Verhalten durchleuchten und kennen lernen, dazu ist nicht jeder bereit und nicht jeder in der Lage. Oft kommt eine Bereitschaft dazu ja auch erst, wenn man z.B. in die konkrete Situation gekommen ist, sich im Rahmen einer großen Krise mit sich und dem Leben auseinanderzusetzen. Kannst du mir noch folgen??? Ich glaube, ich drücke mich etwas umständlich aus, oder?
Du hast sicher recht, wenn du sagst, dass in unserer Gesellschaft der Tod zu wenig ins Leben integriert wird. Aber: Jeder einzelne von uns ist Gesellschaft! Also kann auch jeder einzelne von uns dazu beitragen, dass die Zustände sich ändern. Wir für unseren Teil machen ja an dieser Stelle schon mal einen guten Anfang, oder?
Übrigens habe ich die Erfahrung gemacht, dass die meisten Menschen irgendwie Angst davor haben, über dieses Thema zu sprechen, obwohl sie so tun, als seien sie sehr aufgeschlossen und hätten sich auch mit dem eigenen Tod schon hinreichend auseinander gesetzt. Da will ich mich selbst übrigens gar nicht ausklammern, ich habe ja geschrieben, dass ich mich schon sehr lange mit mir selbst beschäftige, aber z.B. immer noch nicht selbstbewusst genug bin, vor anderen zu weinen oder meine Hilflosigkeit zu zeigen.
Es ist doch eine Lebensaufgabe, sich auszusöhnen mit sich selbst. Menschen, die das schon getan haben, können sich glücklich schätzen. Sie sind es, die für andere Menschen eine echte Stütze sein können. Darf man von Ärzten und Schwestern erwarten, dass sie mit ihrer Persönlichkeitsentwicklung abgeschlossen haben? Es wäre toll, wenn sie es hätten, aber es ist nicht so. Ärzte sind Ärzte, wieso sollten sie eine klarere Beziehung zu sich selbst haben? Es gibt ja sogar die Theorie, dass viele Ärzte nur deshalb Ärzte geworden sind, weil sie den Tod nicht akzeptieren können und riesige Angst davor haben. Und dass sie sich deshalb so sehr dafür einsetzen, dass ein Patient geheilt wird. Ein Verdrängungsmechanismus! Wenn ein Patient dann doch stirbt, empfinden sie das teilweise als persönliche (!) Niederlage. Ist das verwerflich? Klar darf man nicht so unehrlich und unsentimental mit dir umgehen, wie du es erlebt hast. Aber versuche doch mal zu verstehen, warum die Ärzte sich bei dir so verhalten haben. Sie sind nicht reif genug gewesen, waren noch nicht auf dem gleichen Entwicklungsstand wie du! Soll keine Entschuldigung sein, nur eine Erklärung.
Was sagst du dazu?
Gruß. Anja
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