Thema: Raus damit!
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Alt 30.08.2018, 20:57
Papstanwärter Papstanwärter ist offline
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Standard AW: Raus damit!

Liebe Mitstreiter,

heute habe ich bereits Tag acht auf der Palliativstation des UKE hinter mir.
Mein Prof war der Meinung: gehen Sie mal dorthin, lassen die Schmerzmedikamente ordentlich einstellen und überprüfen, warum Ihnen immer so schnell übel wird und kaum mehr essen können.

Gesagt, getan. Schneller als angekündigt, nämlich am nächsten Tag, erhielt ich den Anruf: bereits übermorgen bis elf Uhr antanzen.
Wanja setzte mich direkt vor der Stationsklinik ab, zu Fuß hätte ich es über das Gelände wohl nicht mehr geschafft. Es ist schon unglaublich, das ich bereits nach 20m Fussweg vollkommen erschöpft war und mein Beckenknochen brannte wie Feuer. Zudem zeigte sich die geballte Ladung BTM, über den Tag verteilt konsumiert, ebenfalls wirkungslos.

Hatte ich doch zuerst die allergrößten Vorbehalte, ausgerechnet Palliativ aufgenommen zu werden, erwies sich die Entscheidung im Nachhinein als vollkommen korrekt.
Direkt im Flur wurde ich von einer freundlichen Ärztin in Empfang genommen, die mich zum Zimmer begleitete und die geplanten Abläufe der nächsten Tage erklärte. Es sollte zuerst über den Port Schmerzmittel verabreicht werden und somit schrittweise an die benötigte Menge herangetastet werden.
Die folgende Woche stand auch eine Magenspiegelung auf dem Programm, um der ständigen Übelkeit und dem regelrecht explosiven Gefühl des Magen auf dem Grund zu gehen.
Nachdem ich in der ersten Nacht dreimal das Sanitärporzellan umarmt hatte und ich tags darauf nach einem 100m langen Fußweg konditionell und schmerzlich vollkommen fertig auf der Station ankam, veranlasste die Ärztin sofort die Verdreifachung der Schmerzmittel als Sofortmaßnahme und die Anlage einer Magensonde durch die Nase.
Ich dachte nicht eine Sekunde über die unangenehme Prozedur nach sondern war froh, endlich diesen wahnsinnigen Druck loszuwerden.
Innerhalb von Sekunden ergoß sich ein Liter Flüssigkeit in den Auffangbeutel. Das einzige, das ich bemerkte: der Druck ließ nach und ich war wirklich erleichtert.
Auch die Schwester staunte nicht schlecht, das die sprudelnde Quelle scheinbar gar nicht versiegen wollte.

Nun ja, das die Sonde durch die Nase keine Dauerlösung sein konnte, war allen klar. Vor allem mir, hatte ich doch ständig mit einem Fremdkörper und Halsschmerzen zu kämpfen.
Also wurde der Termin für die Magenspiegelung beschleunigt und zugleich mit der Option erweitert, die Sonde durch die Bauchdecke zu führen, um dann hierüber den Druck ablassen zu können.

Ich wurde also wieder mittels Propofol schlafen gelegt und musste im Aufwachraum fragen ob ich schon fertig sei.
Der Pfleger bejahte. Zu meiner Verwunderung hatte ich allerdings noch immer den Schlauch der Sonde durch die Nase laufen, diesmal jedoch rechts und nicht wie vorher links.
Nun ja, dafür sollte es wohl eine Erklärung geben. Auch für die "Unversehrtheit" der Bauchdecke, die ich natürlich sofort abtastete.

Diese Erklärung gab es, leider... Wanja war zum Glück bei mir, als sich zwei Ärzte zu uns ins Zimmer setzten.
Ohne ein Wort zu sagen sah ich von einem zum anderen.Alleine die Mienen hätten eigentlich jede Erklärung überflüssig gemacht.
Ob wir die Bilder der Spiegelung sehen wollten?
Nein, wollten wir nicht, zumindest nicht direkt.
Die Sonde wurde nicht durch die Bauchdecke verlegt, weil es nicht möglich war. Tumormasse aus dem Bauchfell hatte die Magenwände durchbrochen und die Passage vollkommen versperrt. Wir sahen uns schluckend an, und die folgenden Sätze kann ich nicht mehr im Detail wiedergeben. Nur so viel: es würden keine Therapien mehr angewandt, weil es einfach zu spät wäre. Eine Änderung der Situation zum Positiven wäre nicht möglich, ein Aufhalten der Entwicklung ebenfalls nicht.
Es könnte versucht werden, durch die Bauchdecke eine Sonde mit CT-Unterstützung zu legen, allerdings hätte diese lediglich den Nutzen des besseren Wohlbefindens. Nahrung und Flüssigkeiten, die durch den Mund aufgenommen würden, könnten logischerweise nicht verwertet werden und aber durch den "Abgang" wieder abgeführt.

Ich hatte mich immer so sehr vor den Augenblick gefürchtet, bei dem die Ärzte vor uns stehen und nur noch mit dem Kopf schütteln. Jetzt war er also gekommen.
Ich bat krampfhaft sachlich um eine Prognose, konnte ich doch an Wanjas Gesichtsausdruck eine Mischung aus Verzweiflung, Wut und Unverständnis ablesen.
Ich würde weiterhin parenterale Ernährung erhalten, die jedoch bei weitem nicht den täglichen Kalorienbedarf abdecken würde und könnte. Muskelmasse würde sich abbauen, der körperliche Verfall würde stetig voranschreiten und ein Rollator (bereits in absehbarer Zeit) und schlußendlich ein Rollstuhl wären die Konsequenzen. Die Möglichkeit eines Pflegebettes zuhause mit Pflegedienst oder auch die Aufnahme in einem Hospiz sollte möglichst zeitnah in Erwägung gezogen werden.
Antworten, die ich zwar nicht unbedingt erwartet, aber auch nicht erhofft hatte.

Es blieb: die Frage der Zeit!
Dann fiel für mich der Hammer: gut sechs Monate bei bisheriger Geschwindigkeit der Entwicklung. Vielleicht zwei Monate weniger, vielleicht zwei Monate länger. Unter anderem davon abhängig, wie weit die Leber mitspielt.

Wir bedankten und für die Offenheit der Worte.
Danach haben wir das erste Mal (!) zusammen geweint.
Aber, das Leben, so komisch es klingt, geht weiter.

Verzeiht, wenn ich diesmal meine sonst vielleicht lockere Art nicht beibehalten konnte, aber obwohl schlechte Nachrichten fast schon gewohnt, müssen wir nun doch längere Zeit diese Botschaften verarbeiten.

Ich wünsche Euch allen schmerzfreie Tage und die Hoffnung, den Kampf niemals aufzugeben.

LG

Ralf

Geändert von Papstanwärter (17.09.2018 um 15:43 Uhr)