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Alt 20.07.2002, 20:58
Gast
 
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Standard Wer kann mir helfen?

Liebe Anja,

ja wahrscheinlich hatte ich Dich nicht ganz richtig verstanden und dennoch meinen wir dasselbe.Der Eine hatte sich räumlich distanziert und der Andere einfach in sich selbst verkrochen, da er nicht mehr die Möglichkeit hatte, sich räumlich zu distanzieren.
Auch was Du alles erfragst, habe ich nachvollzogen,- denn genau diese Dinge gehen ja auch mir ständig im Kopf herum.Auch ich möchte u.A. wissen, ob mein Mann an mich dachte (obwohl ich vor ihm saß) und vor allen Dingen wie er an mich dachte.Ich merkte nur zuhause schon, bevor wir das letzte Mal in die Klinik gingen (daß es das letzte Mal war wußten wir zu dem Zeitpunkt noch nicht).Ich machte meinen Mann auf die Krocusse im Garten aufmerksam und die Osterglocken, die langsam kamen,- aber er sah gar nicht hin.Ich fürchte wirklich, er wollte nichts mehr sehen und hören um nicht noch mehr zu leiden.Selbst die Freunde, die abends immer anriefen, wollte er die allerletzten Tage nicht mehr sprechen.Er "schottete" sich gegen alles ab.Und als es dann in der letzten Nacht ganz dramatisch wurde, waren seine letzten Worte nur noch:schlafen-schlafen-schnell-schnell. Ich habe das so interpretiert, daß er nichts aber auch garnichts mehr mitbekommen wollte.Für mich ein Schock, ich hätte so gerne noch einmal ein liebes Wort von ihm gehört.Oder ihm liebe Dinge gesagt.
Was ihr Vater gedacht hat, weiß ich natürlich nicht, aber die Tatsache, daß er sich räumlich distanziert hat, deute ich so, daß er erstens seiner Familie das teilweise doch grauenvolle Sterben nicht zumuten wollte mit anzusehen. Und dann auch sich wirklich selbst von allen Erinnerungen zu lösen (die sonst nur weh tun).Die gewohnte Umgebung zu verlassen um nicht an "jeder Ecke" auf Erinnerungen zu stoßen, die weh tun, wenn man sein Leben nicht behalten darf. Ich kann mir nicht vorstellen, daß er sich auf den Tod gefreut hat. Es war sicher eher eine Art Ohnmächtigkeit der hoffnungslosen Situation gegenüber und das sich dem entziehen wollen. Mein Mann wußte auch genau in welcher Verzweiflung er mich zurücklassen würde,- aber ich glaube, er schaltete diese Gedanken einfach ab,um nicht noch mehr seelisch leiden zu müssen,- da er ja an der Situation nichts ändern konnte.
Ihr Vater hatte sicher eher Angst vor dem Tode, hatte aber vielleicht auch Angst vor lauter verheulten Gesichtern um ihn herum? Aber vielleicht (und daran klammere ich mich auch in meiner Verzweiflung)sah er am Ende nur noch Licht und fühlte Wohlbefinden. Es gibt Menschen, die dem Tod schon ganz ganz nah waren, die manchmal solche Dinge erzählen.
Im Endeffekt, wir können nur spekulieren, aber ich glaube wir sind der Wahrheit ziemlich nah.Und auch Dein Brief hat mich unsere Situation aufeinmal besser verstehen lassen,- danke.
Ich weiß, ich konnte Dir nicht helfen, aber wir haben uns gegeseitig Denkanstöße gegeben und auch das könnte eine Art Hilfe sein.?
Alles Liebe, Nadine
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