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Alt 17.10.2007, 09:33
*gerhard* *gerhard* ist offline
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Standard AW: Mein Schwiegervater hat die Diagnose Nierenkrebs und ich habe viele fragen.

Hallo Tom,

es ist eine Schande, wenn ich lese, was Du schreibst! - Dein Schwiegervater war nicht nur beim Hausarzt, sondern auch bei einem Orthopäden. Also einem Facharzt für das menschliche Skelett und den ganzen Bewegungsapparat!
Und der kommt, nach Monaten andauernder Schmerzen, nicht einmal auf die Idee, mal näher hinzuschauen nach den Ursachen der Schmerzen? z.B. mit Ultraschall, CT oder MRT? - Sondern verschreibt nur Schmerzmittel? - Einfach unglaublich!

Wenn Nierenzell-Karzinom erst einmal metastasiert hat (met. NZK) so gibt es m.W. keine wirkliche Heilung mehr. Aber das heißt nicht, dass man die Flinte ins Korn werfen muss. Ganz im Gegenteil! Viele Betroffene leben schon viele Jahre mit met. NZK ein noch immer lebenswertes Leben.

Ich selbst hatte den Primärtumor im Jahre 2000 und glaubte mit dem Verlust der li. Niere alles erledigt. Erst 2005 entdeckte man eine große Meta in der li. Schulter (obwohl auch diese schon 1 1/2 Jahre früher schmerzte) und fand wenig später weitere Metas in Lunge, Nebennieren und Lymphgefäßen. Seit dem ersten Befall sind es also bereits über 7 Jahre, einige hier im Forum sind noch länger betroffen.

Ich selbst nehme nun im 7. Zyklus (1 Zyklus = 4 Wochen Anwendung, dann 2 Wochen Pause) das von Dir angesprochene Sutent von der Firma Pfizer ein. Davor 10 Monate lang ein ganz ähnliches Medikament namens Nexavar (von Bayer HealthCare). Ich habe bei beiden Medikamenten in der ersten Phase jeweils einen Rückgang der Metastasen (zahlen- wie größenmäßig) erlebt, dann eine Stabilisierung.

Beide Medikamente sind längst in der BRD zugelassen und werden ganz normal von den Krankenkassen bezahlt (obwohl die Medikamente teuer sind und die Kasse mtl. mit 6 - 8000 EUR belasten). Es ist also keine Teilnahme an irgendeiner Studie notwendig.

Beide Medikamente wirken ähnlich, indem sie die Blutversorgung des Tumors beeinträchtigen und so sein Wachstum hindern. Beide Präparate haben umfangreiche, teils sehr ähnliche Nebenwirkungen, worüber Du hier Einiges lesen kannst. Sie gelten jedoch beide nicht als sog. Primärtherapie.

Beiden Medikamenten ist nämlich gemein, dass sie vermutlich irgendwann ihre Wirkung einbüßen, weil der menschliche Körper sich offensichtlich nach einer gewissen Zeit an das Medikament gewöhnt. Wie lange das ist und wie es dann weitergeht, ist noch unklar. Viele befürchten, dass das lange verzögerte Wachstum dann umso ungehemmter losbricht, denn der Tumor wird nicht wirklich bekämpft bzw. abgetötet, sondern er kann (wenn auch sehr klein und nahe an der Wahrnehmungsgrenze) überleben. Vermutlich hilft dann nur noch ein anderes Medikament nach demselben Wirkprinzip (es gibt mittlerweile noch ein drittes in der Erprobung sowie einige, die sich aber noch in der Forschungsphase befinden; alle 3 sind sie nicht kreuzresistent, d.h. sie können nacheinander genommen werden).

Obwohl diese neuen medikamententösen Substanzen also einen absoluten Fortschritt markieren (in der ansonsten seit rund 20 Jahre kaum veränderten Therapie des metastasierten Nierenzell-Karzinoms), sind sie eigentlich nur "Mittel zweiter Wahl".

Die klassischen Säulen in der Krebstherapie (die Chemotherapie, Bestrahlung und Hormontherapie) sind beim metastasierten Nierenkrebs nämlich kaum wirksam.

Solange der Krebs auf die Niere begrenzt ist, ist die operative Therapie wohl der Standardfall. Für die fortgeschrittene Erkrankung, also wenn Metastasen aufgetreten sind, gilt die Kombination aus operativer Entfernung der betroffenen Niere und der anschließenden "systemischen Therapie" der Metastasen mit immunologisch aktiven Medikamenten (z.B. Immuntherapie mit Interleukin-2 und Interferon-aplpha) als wirksamste Maßnahme. Diese sog. Standard-Immuntherapie ist eine Primärtherapie ("first-line-Therapy"). Darüber können andere Betroffene Näheres schreiben. Fakt ist aber, dass diese Therapie nur eine rel. geringe Ansprech- bzw. Erfolgsrate hat (<40% ?) und ebenfalls mit erheblichen Nebenwirkungen daherkommt.

Für Deinen Schwiegervater gilt erst mal eine ganz klare Bestandsaufnahme: Welche Organe sind betroffen? - Sind sie operapel? - In welchem Stadium befindet sich die Krankheit?

Offensichtlich ist man nun aufgewacht. - Aufwachen müsst aber auch Ihr als Betroffene und Angehörige! - Es gilt, sich möglichst umfassend zu informieren. Und den Ärzten nicht mehr blind zu vertrauen. Eine Zweit- oder auch Drittmeinung einzuholen. Und nun keine unbedingten Schnellschüsse abzugeben. Optimal wäre der Besuch bei einem internistischen Onkologen.

Zum Glück wächst der Nierentumer vergleichsweise langsam. Es bleibt also wohl Zeit, sich auf die neue Situation einzustellen. Gegen die starken Schmerzen kann man sehr schnell etwas tun. Vermutlich wird man zur Schmerzlinderung auch bestrahlen. Leider wird man aber wohl das, was am Bewegungsapparat bereits unwiderruflich geschädigt ist, nicht mehr wieder gutmachen können, d.h. es werden möglicherweise Bewegungseinschränkungen und gewisse Grundbeschwerden bleiben.

Ich wünsche Deinem Schwiegervater und der ganzen Familie alles Gute!

Gerhard
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