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Alt 07.01.2006, 16:01
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Sandra! Sandra! ist offline
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Standard AW: Papa!Du mußt jetzt gehen.Das ist schon ok

Hallo Marinchen, und natürlich auch an alle anderen!

Die Geschichte von den letzten Tagen bzw. Stunden meines Vaters ist etwas länger. 1000 mal Endschuldigung dafür. Sie hat aber auch etwas Beruhigendes an sich, da selbst diese traurigen Stunden noch etwas Trost gespendet haben und noch immer spenden.

Mein Vater hat fast bis zum Schluss noch mit uns gesprochen und uns angeschaut. Wobei man am Dienstag (04.10.) schon gemerkt hat, dass er nicht mehr so ganz aufmerksam war und hin und wieder beim Sprechen den Faden verloren hatte. Da wusste ich bereits, dass ihm wohl nicht mehr so viel Zeit auf Erden bleibt. Als ich dann weinen musste, obwohl ich mich so zusammengerissen habe nicht zu weinen, fragte mein Vater mich, warum ich denn weine. Ich sagte einfach nur, weil ich traurig bin. Er sagte mir dann, dass ich nicht weinen sollte, denn damit ändere ich nichts an der Tatsache; genauso wenig wie er noch etwas ändern kann. Und dann teilte er mir per Gedanken mit, dass er nun bald gehen müsse und dass ich nun aufhören sollte zu weinen. Das schmerzte so sehr, als hätte mir jemand ein Messer ins Herz gestoßen. Ich ging spät abends vom Krankenhaus nach Hause und legte mich direkt schlafen.

Als ich Mittwoch (05.10.) morgens aufwachte "träumte" ich von meinem Vater. Ich sagte ihm im Traum, dass er nicht gehen soll, aber er antwortete mir, dass er gehen müsse. Ich bat ihn noch zu warten und versprach ihm, dass ich sofort nach der Arbeit ins Krankenhaus kommen würde. Dann spürte ich eine herzliche Umarmung und war plötzlich hellwach. Ich schaute rüber zu meinem Mann und erkannte sofort, dass nicht er mich soeben gedrückt haben konnte, da er viel zu weit weg von mir lag. Und da war ich mir sicher, dass mein Vater mich soeben besucht hatte. Nach der Arbeit eilte ich nachmittags sofort ins Krankenhaus und wurde auf dem Flur von der Krankenschwester und meiner Mutter abgefangen. Sie erzählten mir unter Tränen, dass bei meinem Vater das Sterben eingesetzt hat und er es wohl nicht mehr bis Freitag (07.10.) schaffen würde. Für dann war seine Entlassung vorgesehen. Wir wollten ihn wieder nach Hause holen, da mein Vater nicht in ein Hospiz verlegt werden wollte. Als ich zu ihm ins Zimmer ging, sah er bereits ganz anders als am Vortag aus. Er war so blass und abgemagert. Er kämpfte innerlich richtig mit sich und dem Tod. Es war so schlimm anzusehen. Ich fuhr schnell nach Hause um meinem Mann und meinem Bruder Bescheid zu geben, dass es nun mit ihm zu Ende geht. Telefonisch wollte ich es ihnen nicht mitteilen. Dann düsten wir nacheinander wieder ins Krankenhaus. Als ich zu meinem Vater kam waren wieder zig Ärzte und Schwestern bei ihm, die gerade dabei waren das Bauchwasser bei ihm wieder abzulassen, damit er besser Luft bekam. Bei ihm hatte sich innerhalb von nur 5 Tagen ein neuer riesiger Tumor in der Bauchdecke gebildet, der unheimlich viel Bauchwasser mit sich brachte. Man konnte ihn sogar äußerlich richtig erkennen. Und wenn er Luft holte rasselte es immer so seltsam. Es war so grausam. Nach und nach verschwanden die Ärzte und Schwestern wieder. Sie konnten halt nicht wirklich mehr was für ihn tun. Als ich dann mit meinem Mann alleine an seinem Bett saß, drehte mein Vater seinen Kopf zu mir und flüsterte, dass ihm so kalt sei. Wir schlossen sofort sämtliche Fenster, deckten ihn mit zig Decken ordentlich zu und betteten ihn noch mal richtig. Als mein Bruder auch ins Zimmer kam, schaute mein Vater uns drei noch mal an und legte sich zurück. Während ich meinem Vater mit der einen Hand sanft über die Stirn gestreichelt und der anderen Hand die seine hielt, beruhigte er sich langsam. Wir versprachen ihm, dass er nun seinen letzten Weg beruhigt antreten kann und dass wir uns um seine Frau und alles andere kümmern werden. Unter Tränen sagte ich ihm, dass er nun gehen solle und, dass er nun die Hand, die ihm von oben gereicht wurde nun annehmen solle. Er drehte sich noch ein letztes Mal zu mir und flüsterte ganz leise, dass sie ihn nun holen würden und griff gleichzeitig mit seiner rechten Hand in die Höhe, als wollte er jemandem die Hand geben. Ich fragte ihn, ob wir noch bis zu seinem letzten Atemzug bleiben sollen oder ob er lieber alleine sein wolle. Aber er regte sich nicht mehr. Doch atmete er noch leise rasselnd. Er lag da ganz ruhig, zufrieden und fast richtig entspannt, als wolle er nun auch alleine sein, um in Ruhe seine letzte Reise anzutreten. Es war Mitternacht als wir gegangen sind. Um 4:25 Uhr rief mich das Krankenhaus an und teile mit, dass er soeben ganz ruhig und friedlich eingeschlafen sein. Ich fuhr dann sofort zu meiner Mutter, um sie abzuholen. Als ich in ihr Schlafzimmer kam, war sie bereits wach und fragte mich unter Tränen, ob Papa nun gegangen sei. Ich sagte ja und sie erwiderte sofort, dass sie es bereits wüsste, da er noch bei ihr war uns sich von ihr verabschiedet hatte.

Als wir dann ins Krankenhaus kamen, war es dieses Mal ein ganz seltsames Gefühl. Wir wussten, dass es nun das letzte Mal sein würde, dass wir dort Papa "besuchen" würden. Mir war sowieso ganz mulmig in der Bauchgegend, da ich nicht wusste, was nun eigentlich wirklich kam. Ich habe noch nie einen Toten gesehen, und zum anderen war es für mich so unglaublich, dass mein Vater nun nicht mehr da sein sollte. Irgendwie hatte ich doch immer noch so einen Funken Hoffnung, dass vielleicht doch noch mal alles gut wird. Ich war so konfus in meiner Gedankenwelt. Ich konnte und wollte es nicht wahr haben, dass er nun wirklich von uns gegangen ist. Vor gerade mal 4 Monaten war doch die Welt noch scheinbar in Ordnung!? Da haben wir noch zusammen gefeiert, gelacht und Pläne geschmiedet. Das kann doch nun nicht einfach vorbei sein?!
Als ich dann mit meiner Mutter das Zimmer meines Vaters betrat und ihn so friedlich und ruhig liegen sah, spürte ich plötzlich so eine Ruhe. Es war so unglaublich still. Mein Vater sah plötzlich so "gut" aus. Er hatte kein schmerzverzerrtes Gesicht mehr und seine Zornesfalten auf der Stirn waren weg. Er sah wirklich richtig entspannt aus. Seine Mundwinkel waren leicht nach oben gerichtet, fast schon so als würde er lächeln. Meine Mutter und ich waren durch diesen Anblick in einer doch befremdlichen Art etwas beruhigt und doch flossen die Tränen in Strömen. Wir haben uns fast drei Stunden lang von ihm verabschiedet, was uns allerdings höchstens wie 45 Minuten vorkam. Es war so seltsam. Diese plötzliche Stille und unendliche Leere, die man verspürte. Es kam mir so vor, als könne man seine Erlösung von all den Qualen und Schmerzen in diesem Moment selber fühlen.

Das alles ist nun 3 Monate her, aber all diese Eindrücke habe ich noch immer so präsent vor Augen, als wäre es erst Gestern geschehen. Ich vermisse meinen Vater ganz schrecklich. (Die anderen natürlich auch!) Und es tut so weh, wenn ich bloß daran denke, dass er nie wieder bei uns sein wird. Ich weiß, dass wir uns mit diesem Gedanken irgendwie anfreunden müssen. Aber irgendwie kam die Krankheit zu plötzlich. Sie verlief viel zu schnell und aggressiv. Und dann kam auch schon der Tod! Vielleicht lässt unser Schmerz auch irgendwann etwas nach?!

Liebe Marinchen, auch wenn es nur ein kleiner Trost ist, aber wir können wirklich dankbar dafür sein, dass wir unsere Väter noch in den letzten Stunden begleiten konnten. Wie viele Menschen sterben ganz plötzlich ohne Vorahnung durch einen Unfall oder durch eine andere plötzliche Krankheit. Von denen konnten sich die Angehörigen nicht mehr verabschieden.

Beruhigend finde ich auch den Gedanken, dass er nun nicht mehr leiden muss und ihm somit bestimmt einiges erspart geblieben ist. Mein Vater sagte zum Schluss "Sie holen mich nun!", so als ob wirklich seine bereits verstorbenen Eltern und seine Schwester auf ihn warten bzw. ihn abholen würden. Vielleicht haben die Schriftsteller Elisabeth Kübler-Ross, Raymond Moody, Bern Jakoby und wie sie alle heißen Recht, und wir treffen später wirklich unsere Lieben wieder! Nach dem Tod meines Vaters habe ich viele Bücher von den vorgenannten Schriftstellern für meine Mutter und mich gekauft und gelesen. Teilweise ist es schön zu hören, was andere für Erfahrungen – sei es Nahtoderfahrungen oder auch mit Kontakte mit Verstorbenen – gemacht haben. Vielleicht bekommen wir auch noch mal ein Zeichen oder "Besuch" von unseren Liebsten?! Wer weiß das schon so genau, was nach dem Tod wirklich passiert und was unsere Liebsten gerade machen oder wo sie gerade sind?!

Apropos, Marinchen, ich bin sehr auf deine Erzählungen von der Wahrsagerin gespannt!

Ich für meinen Teil, habe meinen Vater immer bei mir im Herzen und dort wird er auch immer bleiben. Ich bin dankbar für jeden Tag, jede Stunde und jede Minute, die ich mit ihm erlebt habe. Papa ich liebe dich!

Liebe Grüße
Sandra

PS: Noch mal Sorry, dass mein Text hier so lang geworden ist. Aber das lag mir alles so auf dem Herzen und wollte einfach mal gesagt werden.
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