Thema: Yes I Can
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Alt 13.11.2009, 13:06
loewi loewi ist offline
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Standard 9. august 2009

heut habe ich von herrn w. eine antwort auf meine email bekommen, die mich sehr bewegt hat und ich glaube auch etwas ausgelöst hat in mir. sie ist sehr feinfühlig geschrieben und besonders der fett markierte satz ist für mich von großer bedeutung:

Liebe Frau S.,
als ich sah, dass da endlich mal wieder ein Lebenszeichen von Ihnen war, freute ich mich gleich, was dann aber bei der Lektüre Ihres nüchtern medizinischen Textes einer eher ernsten Stimmung wich.
Wenn ich daran denke, dass Sie mich kurz vor meinem schulischen Abgang im Juni letzten Jahres noch besuchten und ein Geschenk mitbrachten, dann war die Welt da sicher auch nicht mehr heil, aber ich wusste ja andererseits nicht besonders viel über Ihre Stimmung und Situation damals und täuschte mich vermutlich daher, wunderte mich eher, das Sie einen Tag vor meinem Fest und nicht an diesem kamen und erfuhr erst danach peu a peu und auch verständlicherweise nicht immer vollständig, was Sie bewegte und warum. In diesem Jahr danach haben Sie jetzt so viel erlebt und verkraften müssen - und hoffentlich auch leidlich können - , was einer jungen Frau wie Ihnen besser erspart geblieben wäre, aber leider nicht ist. Das tut mir sehr leid. Das hilft Ihnen aber gar nicht. Ich weiß auch nicht, was ihnen bei der Bewältigung dieser sehr schwierigen persönlichen Situation helfen kann, vielleicht die Kommunikation mit Ihrer Psychoonkologin, hoffentlich.
Ich weiß nur, was mir selber damals geholfen hat, mit der lebensbedrohlichen Situation umzugehen:
Für mich gab es keine Alternative zur absoluten Klarheit bezüglich der Größe der Gefahr und zur Auseinandersetzung mit der Möglichkeit des Todes. Kein Selbstmitleid, das hatte ich bei einem japanischen Autor gelesen und mir immer wieder in Erinnerung gerufen.
Nun war ich damals natürlich viel älter als Sie es sind, ohne dass ich eigentlich meiner Frau jetzt sagen konnte, wie alt Sie denn tatsächlich mittlerweile sind. Ich sehe Sie immer noch bei unseren Lehrereinstellungstreffen, die doch in guter Atmosphäre liefen und bei denen die Welt für Sie noch in Ordnung war und ich mit der Drohung des möglicherweise bevorstehenden Todes lebte und arbeitete, was man aber sicher nicht gemerkt hat. Das sage ich als ein nach 7,5 Jahren vorerst Davongekommener. Damals haben wir gemeinsam manche gute Entscheidung getroffen, auch manche eher schlechte, das sah man erst später, zu spät.
Die Angst ist ganz normal. Im Knochenszintigramm hatte man auch bei mir schon mal „Anreicherungen“ im Bereich der Hüfte festgestellt, die man dann für „altersgemäß“ erklärte. Was ihre Lymphknoten betrifft, so hoffe ich mit Ihnen, dass ihre Ärzte die richtige Entscheidung treffen und ihr Handwerk verstehen.
Ich hoffe auf demnächst mal bessere Nachrichten von Ihnen. Wünsche ich mir, genauer gesagt.
Passt kaum zu dieser Mail, dass ich erwähne, dass es mir sehr gut geht. Am Ende des Monats werden wir ein Jahr hier sein, nur durch zwei Wochen in Düsseldorf Anfang April unterbrochen. Wenn das Haus nicht doch noch verkauft werden sollte, werden wir wohl auch im nächsten Jahr noch hier sein. Wenn ich mich für gesund halten würde, würde ich es selber kaufen, so wohl fühlen wir uns hier. Wenn ich mich dabei aber täuschen sollte, wäre meine Frau danach die Dumme, das will ich auf keinen Fall. Also mieten wir so lange bis man uns rausschmeißt. Sollte es vielleicht im nächsten Jahr dazu kommen, erwägen wir, den Jakobsweg zu probieren oder vielleicht Teile davon.
Letzte Woche hatten wir von Donnerstagnacht bis Samstagmittag 36 Stunden Horror. Mitten in der Nacht kam plötzlich ein Sturm mit heißem Wind aus der Sahelzone auf, die Temperaturen stiegen innerhalb weniger Minuten von 27 Grad um 2 Uhr auf 35 Grad um 2.30 Uhr. Den ganzen Freitag konnten wir nicht raus, alle Türen und Fenster zu, am Nachmittag waren es im Haus dennoch 36 Grad, draußen aber 48 Grad im Schatten bei sehr heißem starkem Wind. Der Spuk dauerte bis Samstagmittag, dann fielen die Temperaturen auf unter 40 Grad, erst mal vorbei. Ergebnisse u.a.: etliche z.T. neu gezogene Pflanzen völlig verbrannt, z.B. war eine halbe Wand voller Prunkbohnen innerhalb eines Tages verdorrt. Seitdem sind wir dabei, von Palmen und anderen großen Pflanzen Blätter abzusägen bzw. zu schneiden und überall die verbrannten Blätter aufzuheben. Das Ganze nennt sich Calima, zuletzt war dieser heiße Sturm Ende Januar/Anfang Februar, da war er aber willkommen, weil er damals den „Winter“ ablöste. Seitdem ist übrigens kein Tropfen Regen mehr gefallen.
Genug für heute Nacht.
Meine besten Wünsche für Sie
M.W.


hier meine antwort an herrn w., einer seele von mensch

Lieber Herr W.,
vielen, vielen lieben Dank für Ihre wunderbare email. Sie hat mich sehr berührt. Besonders dieser Satz:
Für mich gab es keine Alternative zur absoluten Klarheit bezüglich der Größe der Gefahr und zur Auseinandersetzung mit der Möglichkeit des Todes.
ja besonders die Größe der Gefahr und die Auseinandersetzung mit der Möglichkeit des Todes ist das, was mir unglaublich zu schaffen macht und was leider kaum ein Mensch verstehen kann, der nicht einmal mit einer solchen Todesangst konfrontiert war. Und ich glaube, dass die Todesangst sich noch einmal von der Todesangst durch Krebs unterscheidet.
Ich war jetzt einige Tage mit einer Freundin in München und es war für mich unglaublich anstrengend und belastend, denn da ist mir zum ersten Mal deutlich vor Augen geführt worden, dass ich mich sehr verändert habe. Ich frage mich, bin ich härter geworden? Oder erwachsener? Was ich in den vergangenen Monaten erlebt habe war eine immer größere Sprachlosigkeit - vielleicht auch der Grund, warum ich mich erst nach so einer langen Pause gemeldet habe. Und dann mit diesem nüchternen medizinischen Bericht. Es ist mir erst beim zweiten Lesen mal aufgefallen, wie nüchtern er in der Tat ist. Nur keine Gefühle da rein bringen, keine Angst (mich selber) spüren lassen. Was aber berechtigt ist: ich habe allen Grund dazu, Angst zu haben! Und Selbstmitleid...nein, Selbstmitleid habe ich nicht! Ich verstehe meinen Krebs als eine Aufgabe und auch nicht (mehr) als eine Strafe von Gott.
Gott - mein Glaube - etwas, das mir leider kaum Möglichkeiten schafft, meine Ängste zu lindern. Wie soll ich beten? ich habe immer gelernt, Gott nicht um etwas zu bitten, sondern ihm zu danken. Ich weiß nicht in welchem Buch ich das gelesen habe, doch ich fand es gut, denn wie oft wende ich mich und wenden sich viele Menschen gerade dann an Gott, wenn sie sich in einer ausweglosen Situatuion wähnen?
Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ich an dem Morgen, bevor ich die Diagnose bekommen habe, am 24. Februar, mir geschworen habe, wenn das alles gut ausgeht (ironischerweise war bis zu dem Zeitpunkt nie die Rede von Krebs), ich wieder in die Kirche eintreten werde. Eingetreten bin ich bis heute nicht wieder, doch nicht wegen der Diagnose, sondern da ich merke, dass ich für mich alleine kaum beten kann. Doch ich setze mich einfach gerne in eine Kirche und genieße die wenigen Minuten der Stille. Derzeit überlege ich, einmal Exerzitien in einem nahegelegenen Kloster zu machen - in Mariendonk. Deswegen finde ich Ihre Idee sehr schön, den Jakobsweg zu gehen, egal wie weit. Ich selber habe einmal von den Dominikaneren an einer Pilger"reise" von Düsseldorf nach Knechtsteden teilgenommen und alleine dieses Erlebnis war sehr bewegend. Besonders die schweigenden Momente bringen einen näher zu sich selbst, als jemals zuvor.
Sehr hilfreich für mich sind die Gespräche mit meiner Psychoonkologin, denn wie gesagt, bis vor einigen Wochen war ich in einer vollkommenen Sprachlosigkeit gefangen, es hat mich beinahe an den Rand des Wahnsinns gebracht. Dann kam der erlösende Anruf, dass ich ab Ende Juli einsteigen kann und sie hat etwas an sich, dass ich sehr ehrlich mit ihr, aber vor allem mit mir selber sein kann. Ich rede und rede und rede: über meine Angst mit der Krankheit zu leben, aber auch über meine Angst, daran zu sterben. Ich verurteile mich oft für diese Angst, denn ich empfinde sie als unrealistisch, da ich doch eine sehr gute Prognose habe. Doch meine Therapeutin ermutigt mich darin, diese Ängste an- und ernst zu nehmen, denn sie sind realistisch und berechtigt.
Inzwischen habe ich auch die Befunde so gut wie zusammen und in der Tumorkonferenz am Donnerstag haben sie nun endgültig entschieden, dass sie mir die Hausbesetzer (vier oder fünf Stück) entfernen um auf Nummer sicher zu gehen. Ja inzwischen gebe ich meiner Krankheit Namen. Natürlich weiß ich nicht, ob die Lymphknoten befallen sind, aber da sie meines Erachtens nichts in meinem Körper zu suchen haben, nenne ich sie Hausbesetzer oder Mietnomaden (da sie ja nicht mal miete zahlen) - hoffentlich hinterlassen sie dann nicht auch noch so einen Dreck, wenn sie ausgezogen sind. Ach so, und was die Knochen angeht hat der Radiologe diagnostiziert, dass es sich dabei um einen genetischen Defekt handelt.
Inzwischen komme ich auch alles in allem gut damit klar, dass ich nun keine eigenen Kinder mehr werde bekommen können. Ich habe in meinem Freundeskreis einige Freundinnen mit Babys/Kleinkindern. Sicher wenn ich sie sehe und mit ihnen spiele, sie mir ihr Vertrauen schenken (so wie die kleine 10 Monate alte Tochter, die mich am Mittwoch das erste Mal gesehen hat. Wir waren schwimmen und sie wollte von sich aus auch von mir gehalten werden. Ich war so berührt. sie kennt mich nicht, aber sie hat ein unsagbares Vertrauen. Sie zu halten, ihre weiche Haut, der besondere Babyduft... klar das alles tut sehr weh (aber erst im Nachhinein) und in diesem Moment bin ich hell und weg und glücklich und und und). Zudem merke ich, dass es eben nicht alles so einfach ist, weder eine Schwangerschaft, noch dann Mutter sein. Sicherlich wäre es schön, aber ich kann es jetzt annehmen dass es eben nicht so ist. Und ich weiß, warum ich diesen "Preis" bezahlt habe. Ich bin (vermutlich) geheilt!
Ach so, ich bin übrigens 33 .
So, noch einmal lieben Dank für Ihre email. Sie hat sehr viel ausgelöst bei mir -im positiven! Vielen vielen Dank und schöne Grüße unbekannter Weise an Ihre Frau!

C.S.
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Mitfreude, nicht Mitleid, macht den Freund aus. (Nietzsche)

Geändert von loewi (13.11.2009 um 13:07 Uhr) Grund: ergänzung
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