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Alt 27.04.2007, 13:12
estella estella ist offline
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Registriert seit: 25.04.2007
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Standard AW: Verzweifelt, traurig und wütend

Hallo,
zurück aus dem Virchow. Alles lief anders ab als gedacht, leider nicht die Diagnose des Assistenzarztes. Beinah wären wir heute früh zu spät zum Termin gekommen, da die Strassen Berlins voll gestopft waren mit LKWs, die ihre Waren entluden. Als wir endlich vor der Anmeldung standen stellte sich heraus, dass niemand mit meinem Vater gerechnet hatte. Ich hatte mir vorgestellt, dass uns sein behandelnder Onkologe in "Empfang" nehmen würde. Statt dessen warteten wir zusammen mit vielen anderen Patienten im Warteraum auf den Arzt, der gerade Visite machte. Nach fast drei Stunden wurden wir reingebeten. Wie von Ulla empfohlen, hatte ich Stift und Block parat, was den jungen Assistenzarzt zu beeindrucken schien - er nahm mir gegenüber sofort eine "professionelle" Haltung ein. Da ich mich (ua. auch dank dieses Forums) gut vorbereitet fühlte, konnte ich sehr präzise Fragen stellen. Mein Vater saß neben mir blass, verängstigt und als ob ihm zum ersten mal klar werden würde, wie schlimm sein Befund ist. Ich konzentrierte mich auf das junge Gesichts des Arztes, denn wenn immer ich meinen Vater ansah, mußte ich mit den Tränen kämpfen. Meinem Bruder Esteban ging es nicht anders. Er ist so traurig, dass es mein Herz bricht. Montag gehts weiter, dann wird per Ultraschall geklärt werden, ob es Metastasen in der Leber gibt. Dann natürlich Lunge, Halsschlagader uvm. Am 8.5 wird er eingeweisen, am gleichen Tag kommt eine Endoskopie der besonderen Art, mit Ultraschall, um genau zu sehen, wie tief der Tumor ist. Der junge Arzt drückte sich sehr verschwommen aus, sicher um uns zu schonen, aber dadurch mußte ich viel nachfragen. Der Chirurg, der ihn operieren wird, heißt Dr.Schumann. Es gibt die Möglichkeit ihn anzumailen, was ich nach Montag, wenn wir mehr über die Leber wissen, auch machen werde. Als ich gestern schlafen ging, tat ich es mit dem Gefühl, dass mein Vater es schafft, dass es schwer wird, aber dass er ein starker Mann ist...jetzt habe ich Angst , mit etwas vorzumachen. Ich will den Tumor nicht unterschätzen, will nicht naiv positiv sein, in dem ich sage: "Kämpfe nur, dann überlebst du!" - das tat dieser junge Mann, namens Micha auch. Seine Beiträge fand ich unglaublich positiv. Als ich später las, dass er gestorben ist, konnte ich es nicht fassen. Andererseits lebt mein Vater. Er fährt Fahrrad, er läuft zu schnell die Treppen hoch, bis er zu uns in den fünften Stock gelangt, er lacht laut, er kocht gerne (aber nicht besonders gut...), er tollt mit seinen drei Enkelkinder rum, er hört viel zu laut klassische Musik...er ist so viel vitaler als viele Menschen Mitte dreissig. Das zählt doch auch, oder? Das Schreiben erleichtert mich sehr, danke allen, die die Geduld aufbringen, es zu lesen,
estella
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