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Alt 22.01.2011, 19:14
julia_basti julia_basti ist offline
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Beiträge: 44
Standard Soll es das etwa schon gewesen sein?

Hallo liebe Forumsmitglieder und Leser,

ich schreibe mir hier einfach mal den Frust und die Trauer von der Seele, während mein geliebter Schatz Julia im Schlafzimmer liegt und so erschöpft ist, dass sie sich noch nicht mal mehr selbstständig aufsetzten kann. Wir mussten ein Babyfon istallieren, damit ich sie hören kann, es ist einfach schrecklich.

Aber von Anfang an:

Im August 2010 bekam Julia morgens Doppelbilder. Zunächst wurde von einer Neuroborreliose ausgegangen, da sie zuvor die typische Wanderröte nach einem Zeckerbiss am Bein hatte. Doch auch unter der Gabe von Antibiotika besserte sich ihr Zustand nicht, im Gegenteil, es wurde schlimmer. Es gesellten sich starke Kopfschmerzen hinzu, die insbesondere beim Sport unerträglich wurden. Julia musste das Boxtraining nach nur 5 Minuten abrechen. Die Doppelbilder kamen nun auch tagsüber und waren nach nur einer Woche chronisch.
Nun fingen auch ihre Augenlider an herunterzuhängen, der Arzt nennt sowas "Ptosis". Auch das wurde rasch schlimmer, sodass Julia große Schwierigkeiten beim Gehen, Orientieren und natürlich auch beim Schauen hatte.

Im MRT sah mein einen Kontrastmittel-aufnehmenden Bereich im Thalamus. Der Radiologe sagte uns, dass dies so ziemlich alles sein könnte, von Tumor bis hin zum Hauptverdächtigen: der Neuro-Borreliose. Auf jeden Fall würde der Bereich den Abfluss des Hirnwassers blockieren, so dass die Hirnventrikel stark vergrößert seinen, was die Kopfschmerzen auslöse.
Julia wurde gleich am nächsten Tag in die Asklepios Klinik Hamburg St. Georg eingewiesen, wo durch sehr nette Ärzte umfangreiche Untersuchungen und ein weiteres MRT durchgeführt wurden.
Ich war noch kurz zu Hause, um ein paar Sachen einzupacken. Als ich wieder in die Klinik kam, saß Julia auf dem Bett und sagte: "Der Arzt war hier. Sie sind sich sicher, dass es ein Tumor ist. Aufgrund der Lage inoperabel. Es gibt zwei Möglichkeiten: Es kann ein primäres Lymphom sein, oder ein Tumor, der eigentlich nur bei Kindern vorkommt."
Damals wusste ich nicht, dass ein Gliom des Thalamus und des Hirnstammes eigentlich nur bei Kindern vorkommt...

Nachdem durch ein Thorax-CT ausgeschlossen wurde, dass es sich um eine Hirnmetastase eines anderen Primärtumors handeln könnte (samt allergischer Reaktion auf das CT-Kontrastmittel), wurde Julia in die Asklepios Klinik Hamburg Altona überstellt, wo die Hirnventrikel mit einer endoskopisch durchgeführten OP einen neuen Abfluss bekamen. Nach der OP war sie zwar völlig abgeschlagen (zu viel Narkose?) aber die Doppelbilder waren weg. Die Ptosis blieb zwar unverändert, aber wir freuten uns sehr über das neue/alte Sehen in 3D ;-) Leider hielt es nur wenige Tage, dann waren die Doppelbilder wieder chronisch.

Nun ging es per Krankentransport weiter nach Magdeburg, wo eine stereotaktische Biosie durchgeführt wurde. Das Krankenhaus war sehr modern und lag in einer tollen Parkanlage. Wir genossen die Spaziergänge über das Gelände und lagen in der Herbstsonne auf der Bank.

Die Biopsieergebnisse wurden uns eine Woche später in Hamburg mitgeteilt. Es handele sich um ein Astrocytom, die WHO - Klassifizierung sei noch nicht klar. Der Oberarzt erklärte uns, dass man aufgrund des raschen Wachstums (mittlerweile konnte Julia die Augen kaum noch offen halten) von einem bösartigen Tumor Grad III oder IV ausgehen müsse und dass die Lage "fatal" sei. In der Region des Thalamus würden schon kleine Tumore zu massiven Funktionsausfällen führen. Dennoch riet er uns zu einer PCV-Chemotherapie, da genug Zeit vorhanden sei, um diese vor einer eventuellen Themodal-Therapie auszuprobieren. Wir stimmten zu.

Zunächst sah alles super aus: Julia wurde zusehends fitter und war nach einem kurzfristigen Dänemark-Urlaub bald wieder in der Lage, Spaziergänge von bis zu 2 Stunden zu unternehmen und gemeinsam mit mir einzukaufen etc.. Sie war sehr froh, wieder am normalen Leben teilnehmen zu können. Das Handycap der Doppelbilder (mittlerweile war der rechte Augapfel nach außen/unten abgewandert) bekam Julia mit Augenklappe und -je nach Laune- einer Schielbrille (ein Aufsatz, der per Saugnapf an die Innenseite der Brille angebracht wird) super unter Kontrolle.

Zwischenzeitlich haben wir eine ketogene Diät eingeführt, die aber -wie ich mittlerweile nach Rücksprache mit einem der weltweit führenden Professoren auf dem Gebiet weiß- nicht wie geplant wirken konnte. Julia bekam einfach zu viel Cortison, welches bestimmte Aminosäuren in Zucker umwandelt. Ein dauerhafter Zustand von niedrigem Blutzucker und hohen Ketonwerten ist somit nicht möglich.

Das erste Kontroll-MRT nach Zyklus 1 der PCV-Chemo war super: Der Tumor war stabil, es war kein Wachstum festzustellen. Wir waren sehr erleichtert.
Die Vorweihnachtszeit war einfach toll, wir konnten Shoppen gehen wie "normale" Menschen auch und waren sogar im Ballett.

Leider ging es ab Ende Dezember merklich schlechter. Julia wurde immer müder und kam vor 12 Uhr nicht aus dem Bett. Nach dem Aufstehen brauchte sie sehr lange, um wach zu werden (und min. 4 Tassen Kaffee).
Sylvester war dann ein besonders guter Tag. Julias Auge ging sehr weit auf und sie war total fit. Wir spielten Abends Karten und sie war voller Energie und total Lebenslustig. Sie war einfach genau so, wie sie vor der Krankheit war...

Ab Anfang Januar ging es leider rapide bergab: Alles wurde schlimmer. Die Augen gingen kaum noch auf, die Müdigkeit war extrem. Wir probierten verschiedene Schlafmittel, weil wir dachten, Julia würde einfach schlecht schlafen (aufgrund der Dauermedikation von 50 mg/ Tag Prednisolon) und bräuchte einfach einen besseren Schlaf. Interessanterweise korrelierte zuvor eine gute Nacht immer mit einem besseren Befinden am nächsten Tag. Doch nun ging es Ihr auch schlecht, wenn sie gut geschlafen hatte.

Das nächste MRT am 19.01.2011 zeigte leider das Befürchtete: Julias Tumor war stark gewachsen. Nun kamen auch noch komplette Erschöpfungszustände hinzu: Beim Einnehmen ihrer Tabletten morgens im Bett hatte sie plötlich keine Kraft mehr in den Armen und im Kiefer, hing über das Bett und konnte nicht sprechen. Dieser Zustand ist nun innerhalb weniger Tage rasant schlimmer geworden. Sie kann sich nicht mehr alleine anziehen, kann kein Wasserglas halten und hab auch tagsüber eine allgemeine Muskelschwäche im ganzen Körper. Die Ärzte sagen, dies komme definitiv vom Tumor und sei leider ein schlechtes Zeichen.

Nun wurde Themodal mit 170 mg / m2 KOF = 280 mg / Tag im 5/21-Schema angeordnet. Dazu bekommt sie "Eins-Alpha", mit welchem die Ärzte bei aggressiven Gliomen sehr gute Erfahrungen hätten. Die Ärzte sagen, wenn der Tumor darauf anspringt, ist es sehr wahrscheinlich, dass die Schwäche wieder zurückgeht und zumindestes ein Zustand wie in der tollen Vorweihnachtszeit erreicht werden kann. Das wäre für uns Gold wert!

Aufbauend auf sehr guten Forschungsergebnissen mit THC (Wirkstoff des Haschischs) was die Verhinderung von Resistenzen gegen Themodal angeht, werden wir täglich 1g Haschisch geben, verteilt auf 2 Dosen, damit kein Rausch entsteht. Die Ergebnisse im Zellkultur- und Tiermodell sind beeindruckend: Grade bei Resistenten Zellen ließ sich durch THC in geringen Dosen ein Ansprechen auf Themodal erzeugen. (Ich sollte an dieser Stelle vielleicht erzählen, dass ich Biochemie studiert habe)

Tja, und wenn das alles nicht anschlägt? Dann wird die Schwäche immer stärker werden, Julia wird zum Pflegefall und irgendwann ins Koma fallen. Ich habe so schreckliche Angst, ich bin selber an der Grenze meiner Belastungsfähigkeit. Haushalt, Bankangelegenheiten, die Pflege von Julia und und und ... wächst mir einfach über den Kopf. Ich erfahre eine grandiose Unterstützung durch meine Mutter, die Julia wie eine eigene Tochter liebt. Auch Julias Eltern werden jetzt mehr hier sein und helfen. Bisher wollten wir sie raus halten, da die Erkrankung ihnen extrem zusetzt.

Ich habe schreckliche Angst, binnen kurzer Zeit meine süße Maus zu verlieren. Wir wollten nach 6,5 gemeinsamen Jahren in diesem Sommer heiraten. Doch während der Planung gingen die Symptome los! Es ist alles so schrecklich, und ich frage mich, wie andere Angehörige dies aushalten?!? Sie so hilflos zu sehen, zerreist mir das Herz!

Ach ja: Heute ist ihr 26. Geburtstag.

Es tat gut, das alles mal niederzuschreiben.

Liebe Grüße an alle,
Basti
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