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Alt 08.03.2005, 12:34
Gast
 
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Standard interleukin+interferon-Therapie

Hallo, Ulrike,

Überlebensprognose lt. aktueller Arbeit von Atzpodien bei IL, IF, 5FU, die DGCIN-Studie, in J Clin Oncol. 2004 Apr 1;22(7):1188-94 gibt Überlebenszeiten von 25 Monaten, eine obj. Ansprechrate von 31% an. Das sind wirklich supergute Ergebnisse, wenn man bedenkt, was es vorher gab! Vor Allem der Sprung von ca. 20% ohne 5-FU auf jetzt 31% Ansprechrate! (Ob dieses Glas nun halb voll oder halb leer ist? Kommt auf den Blickwinkel an!)

1% Spontanheilungsrate glaube ich nicht. Da müßten wir in der Praxis alle 2 Jahre einen sehen, wir sehen seit 20 Jahren nicht mal eine Spontanremission. Meine Partnerin hat in ihrem Leben, und die ist seit 45 Jahren dabei, eine solche nicht gesehen, ich hatte in der Klinik eine erleben dürfen. Ist auch egal, welche Prozente: ist eben selten. Wie selten, ist eine Diskussion über die Menge der auf eine Nadelspitze passenden Engel, da gebe ich Dir Recht.

Zu der Verorodnungsfrage:

Die Situation: ein nicht-zugelassenes Medikament darf im Kassenbereich nicht zur Anwendung kommen, §31 ff. SGBV. Es gibt Ausnahmen, der Begriff Standardtherapie fällt da in dem Urteil des BSG nicht. Ausnahme im BSG_Urteil ist: wenn ein Medikament zwar (noch) nicht zugelassen ist, aber es Phase-3-Studie(n) gibt, kann es verordnet werden (Streitpunkt regelmäßig bei den Ausschüssen ist, ob eine Phase-3-Studie reicht, oder es entspr. dem Sozialgerichtsurteil Studie"n" sein müssen, also mehr als eine). Inzwischen gilt als rechtliches Konstrukt, aber wohl keinen diesbezgl. Urteilstext, daß eine allgemein anerkannte Standardtherapie auch von den Kassen übernommen werden muß. Aber: wird ein Abzug vom Honorar des Arztes festgestellt, hat seine BEschwerde keine aufschiebende Wirkung, es wird also gekürzt. Nun kann er sich beschweren, er kann klagen: Das Geld ist erstmal weg. Und, s.u., durchaus bereits bei einem Fall existenzbedrohlich. Bekäme er nach Jahren der Gerichtsverfahren Recht, bekäme der das Geld. Die Praxis ist inzwischen aber alle Patienten los. Einmal in dieser Mühle drin, ob Recht oder nicht: Betrieb Arztpraxis ist, mit allen Folgen für Angestellte, Familie, auch die Patienten, tot. In Fällen der vorliegenden Phase-3-Studien kann man es abschmettern, Bei der Frage "Therapiestandard" gehen die Kassen immer in die Vollen, weil sie genau wissen, daß sie mindestens einen Gutachter finden, da forschen sie auch jeweils recht lange, der begutachtet, daß es eben nicht Therapiestandard ist. Sich als Arzt auf diese Argumentationsschiene zu begeben, ist Vabanque, russisches Roulette.

Ach so, zur Klarstellung: der Patient hat mit alledem NICHTS zu tun, er bekommt es nicht mal mit! Hat er Behandlung auf Kassenrezept bekommen, trägt alle wirtschaftlichen Folgen der Arzt! Kassenpat. hat keinerlei Kosten zu tragen, die Zuzahlung ausgenommen, er wird auch nie im Nachhinein irgendwie in Anspruch genommen, weder von Kasse oder Arzt!!

Zur sachlich-med. Situation:

Soweit ich weiß, ist die 1998-Studie eine phase-2-Studie, die DGCIN ist nach eben erfolgter telef. Auskunft des Europäisches Institut für Tumor Immunologie und Prävention keine Phasen-Studie, sondern eine Dosisoptimierungsstudie, entspricht damit einer Phase-2, ist aber eben keine Phase-2!! Prof. Atzpodien ruft in Kürze zurück, ob es eine Phase-3-Studie gibt. Ich habe in der Literatur dazu nichts gefunden.

Insofern, das darf ich nahezu garantieren, WIRD es Zoff mit den Kassen geben bei der VErordnung von 5-FU, die filtern offenbar automatisch alles raus, was nicht zugelassen ist. Nun ist 5-FU ein zugelassenes Medikament, nur eben nicht für den Nierentumor, da kann es den Automaten durchrutschen, da muß dann schon geschulter Mensch die Rezepte filtern. Aber: an der Tatsache, daß es formell Probleme geben kann, wenn ein solches Rezept erstmal im Wege des "Sonstigen Schadens" reklamiert wird, führt kaum ein Weg vorbei.

zur Frage Einverständnis der Kasse: das sollte nicht Aufgabe des Patienten sein müssen bei einer gesetzlichen Kasse. Dieses Einverständnis hat wohl auch keine juristische Bindung, soweit ich das bisher bei Kollegen mitbekommen habe. Abgesehen davon geben die Kassen lediglich die mündliche Zusage "Alles, was nötig ist, bezahlen wir", schriftlich bekommt man das nie. Oder hat hier irgend Jemand eine andere Erfahrung?
Sobald Arzt das Medikament aufgeschrieben hat (Nur Kassenbereich!!!), ist Pat. raus aus jeglicher Inanspruchnahme. Es ist auch Aufgabe des Arztes, den ganzen Schriftkram zu erledigen. Wenn Pat. sich da selber einsetzt, nimmt man das sehr, sehr gerne in Anspruch, klar.

Therapiekosten spielen (zumindest in Berlin) keine Rolle, das dürfte woanders nicht anders sein: MEdikamente zur Behandlung bösartiger Krankheiten werden als sog. Praxisbesonderheiten aus dem Budget herausgerechnet. (nicht klar ist, ob es alleine die spezifischen Krebsmedikamente sind, oder alle Medikamente, wie auch Schmerzmittel, bei Krebspatienten, spielt aber in der Frage hier keine Rolle). Bitte den Unterschied verstehen: einerseits kein Problem von Seiten der Kosten, das betrifft aber "nur" die Richtgröße, also das Medikamentenbudget. Die Frage des Off-Label-Use, also die Inanspruchnahme des Arztes wegen Verordnung eines nicht für die Indikation zugelassenen Medikamentes ist ein anderer, auch verwaltungstechnischer, Vorgang. Die Budgetprüfung betrifft alle Meds, der Sonstige Schaden immer nur den Einzelfall. Beim Budget spielen medizinische Aspekte keine Rolle, beim Sonstigen Schaden muß/kann man im Einzelfalle argumentieren.

Krankenkassen unterstützen? Vergiß das! Die Kranken Kassen haben sich die Ärzte als Gegner ausgesucht, da unterstütz KEIN Kassenarzt irgend eine Kasse! Die Zeiten sind seit 20 Jahren definitiv vorbei, falls es sie denn mal gegeben haben sollte.

Budgetfrage? s.o., ist bei diesen Meds. keine Budgetfrage. Jedenfalls nicht in Berlin. Wie gesagt, kann woanders durchaus anders sein.

Wenn die Meds ins Budget geraten, dann darf man die Probleme des Arztes keinesfalls verharmlosen. Nun hat ein Urologe recht viel Krebspat. Stelle man sich vor, er betriebe eine IMT:

Es gibt ein Budget bei uns von 26 Euro für Mitglieder, 54 Euro für Rentner. Eine Woche Proleukin kostet um die 1000 Euro (geringe Variation wg. Körperoberfläche). Über 8 Wochen sinds schon mal beim IL 8000 Euro. IF kenne ih Preise jetzt nicht, ist wohl weniger, bin zu faul zum Nachsehen, sorry. Auch 5-FU liegt so bei 30 Euro pro Inj., sind 4 Inj. fällig pro Pat. Also: Ein Patient mit metast. Nierenzell-Ca., und es müssen ca. 200 Pat. OHNE JEGLICHE MEDIKAMENTE durchgeschleust werden. Das ist illusorisch.
Überschreitet Arzt (Wie gesagt, unter der Annahme, es gibt für Krebskrankheiten keine Ausnahmeregelgung) sein Budget um diese ca. 10000 Euro pro Pat, wird dies bei der nächsten Abrechnung glashart von seinem Honorar abgezogen. Wir haben im Schnitt pro Jahr 200.000 Euro Honorar für 2 Ärzte, davon sind 82% Betriebsausgaben, bleiben pro Jahr 36.000 Einkommen vor Steuer, Krankenversicherung usw. für 2 Leute. Wir liegen zugegeben rel. niedrig in Berlin. Die Sachsen z.B. dürften da ähnlich liegen. Hätten wir also pro Quartal einen solchen Pat., würden 40.000 vom Honorar abgezogen, damit wäre jegliches Geld, das als Gewinn übrig bliebe, komplett WEG. Wir würden sofort bankrott, wären fertig.

Es gäbe, würden diese Medikamente bei uns in Berlin nicht rausgerechnet, keine Möglichkeit, sich zu rechtfertigen: im Vorgang um die Richtgrößen, also die Medikamentenbudgets, gibt es keine Möglichkeit der Diskussion um die Sinnhaftigkeit der Verordnung, es zählt alleine die Frage der Praxisbesonderheit. Und daß ein Allg.med. nun zufällig mal einen Pat. mit Nierentumor hat, ist KEINE Praxisbesonderheit.

Genau so ist die Situation. Das ist nicht schade, das ist furchtbar, Ulrike! So sind die Gesetze. Entweder Arzt springt wirtschaftlich über die Klinge, oder Patient gesundheitlich. Das sanktionieren wir, wir alle, Du, ich, der Patient mit den Metastasen im Kreuz, durch unsere Kreuzchen auf den Wahlzetteln. Irrsinnig? Ja, keine Frage.

Vor diesem Hintergrund wirkt die Bemerkung eines ehemaligen Ärztekammerpräsidenten vom "sozialverträglichen Frühableben" nicht mehr als Unwort, sondern als Situationsbeschreibung.

Nicht sagen, wir haben ja nichts gewußt, wir haben das ja nicht gewollt!
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