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Alt 22.07.2013, 16:55
father-1947 father-1947 ist offline
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Standard Tired of crying, sick of trying, yeah i'm smiling, but inside i'm dying

Nachdem ich diesen Post gelöscht hatte, habe ich mich dazu entschlossen ihn wieder einzustellen - entschuldigt meine Unentschlossenheit!

5 Monate ist es her, dass du, mein lieber Papa, gestorben bist und erst jetzt beginnt meine Trauer so richtig. Jetzt plötzich bin ich unfähig mich auf die Arbeit zu konzentrieren, überhaupt mich auf irgendwas zu konzentrieren, und habe diesen starken inneren Drang, das jetzt zu schreiben...

Seit 5 Jahren wussten wir von der COPD, seit 2 Jahren, dass es das höchste Stadium erreicht hat und seit einem halben Jahr vom Lungenkrebs...

Ich habe ständig die Bilder aus den letzten 3 Wochen deines Lebens im Kopf, - dein Fasterstickungstod zu Hause, mein eineinhalbstündiger Monolog um dich dazu zu bewegen endlich ins Krankenhaus zu gehen, dann 3 Kliniken, 4 verschiedene Stationen, sehr viele Untersuchungen, Behandlungen, Medikamente, ständige Hiobsbotschaften, aber vor allem Schmerzen, unerträgliche Schmerzen, die du aushalten musstest, gepaart mit starker Atemnot und der täglichen Angst zu ersticken. Die guten Tage, an denen es dir besser ging, du Scherze gemacht und gelächelt hast und wir voller Hoffnung waren. Die Schlechten, an denen du zu schwach warst zu essen, zu wenig Luft hattest um dich im Bett aufzurichten.
...und diese fiese Gleichmäßigkeit, dass diese Tage sich fast täglich abwechselten, es aber stetig bergab ging...

Wie hast du das nur ausgehalten und ertragen?

Ich war die letzten 5 Monate stark und habe auf Mama aufgepasst, so wie ich es dir versprochen habe, aber Mama ist tapfer - sehr sogar, du kannst so stolz auf sie sein! Sie kämpft, sie leidet, lässt sich aber nicht unterkriegen, verkriecht sich nicht und stellt sich allen Aufgaben und ich unterstütze sie wo ich nur kann.

aber jetzt plötzlich kommt alles bei mir hoch, auf ganz brutale Weise, fast so, als ob ich alles noch einmal erlebe... Bilder von dir, wie du schwach und verletzlich in dem Krankenhausbett auf der Intesivstation liegst, ein Schatten dessen was du einmal warst. Ich habe zum ersten mal Angst und Verzweiflung, vielmehr Resignation in deinem Blick gesehen. Auch wenn du es nie wolltest, aber ich hatte so viel Mitleid mit dir! Für mich warst du immer der Innbegriff eines Mannes der alten Schule, ein Macher, der stark ist, den nichts umhauen kann, jemand der sich jedem Problem stellt und in den ausweglosesten Situationen noch eine Lösung findet, aber dafür gab es keine Lösung mehr...

Ach Papa, das alles tut mir so unendlich leid, aber ich bin auch unglaublich dankbar, wie du gehen durftest. Nach all den Strapazen und des Leidens, war dir doch noch ein würdevoller Tod vergönnt. An jenem Mittwoch, dem letzten Tag in deinem Leben, du konntest nicht reden wegen des Intubationsschlauchs, der das war, was du nie wolltest, wovor du solche Angst hattest. Du wolltest keine lebensverlängerten Maßnahmen. Zwei Tage zuvor kam ich mit der von dir gewünschten Patientenverfügung in der Hand ins Krankenhaus, du musstest sie nur noch unterschreiben und dann der Schock, in den frühen Morgenstunden hattest du starke Atemnot und es begann ein fünfstündiger Todeskampf, die letzte Chance der Ärzte war es dich künstlich zu beatmen. Da standen wir nun, ich wusste, du willst GENAU DAS NICHT. Ich redete mit den Ärzten, erzählte von deinem Wunsch nie küntslich am Leben gehalten zu werden und so wollten sie dich wieder von dem Schlauch entwöhnen, was am darauffolgenden Tag komplett schief ging und du wieder fast erstickt wärst und auf Nachfragen der Ärzte einer Intubation zugestimmt hast, und das war unser Dilemma, was sollten wir jetzt tun? du wolltest das nicht, das wussten wir, aber in Todesangst hattest du zugestimmt. Mama wollte trotzdem deinen Willen durchsetzen, aber ich konnte es nicht, ich musste es noch einmal von dir persönlich bestätigt bekommen.

Die Ärzte wollten versuchen dich in einem wachen und klaren Zustand zu bekommen, was am darauffolgenden Tag geschah und so konnte ich dich am Mittwoch fragen, dir die schwerste Frage stellen, die mir je über die Lippen kam, "möchtest du, dass die Beatmungsmaschine abgestellt wird?" und du hast mich mit festem Blick angeschaut, meine Hand gedrückt, du warst ruhig und gefasst - und hast genickt, und wir drei haben geweint. Dann hast du Stift und Papier verlangt und schriebst mit krakeliger Schrift etwas, ich konnte es als einziger entziffern und verstand sofort die Bedeutung, da stand "ich möchte keinen Selbstmord", denn du hattest an dem Morgen mehrfach versucht dir den Intubationsschlauch herrauszureißen und wurdest deswegen am Bett fixiert. Es war für dich ein letzter Ausweg, aber ein Weg den du nicht gehen wolltest, du wolltest dich eigentlich nicht umbringen, wolltest aber auch nicht von einer Maschine am Leben gehalten werden. Du wurdest nervöser, wahrscheinlich weil du nicht wusstest wie es jetzt weitergeht, wie lange du noch an dieser Maschine hängst. Ich ließ den Oberarzt kommen und er stellte dir die selbe Frage auf sehr direkte Art "Herr ..., möchten sie sterben?", gleiche Reaktion, mit festem Blick hast du ihm ganz entschlossen zugenickt, er klärte dich noch über die Möglichkeit eines Luftröhrenschnitts auf, was du aber sofort durch Kopfschütteln abgelehnt hast und ab dem Moment war klar, dein Sterben wird noch an diesem Tag eingeleitet...

...was aber viel wichtiger war, wir konnten dich begleiten, uns von dir verabschieden, du warst nicht alleine!
Nichts blieb unausgesprochen, es gab viele Tränen, zärtliche Berührungen und Umarmungen, aber du warst relativ ruhig, und dann war da dieser eine Moment, du hast Mama ganz lange liebevoll und gütig angeschaut, sie getreichelt, gedrückt, geküsst, dann hast du mich angesehen und ich sah diese Traurigkeit und Besorgnis in deinem Gesicht, dieser Blick hat Bände gesprochen, die Angst was aus Mama wird, ob sie das alles packt und verkraftet, du hast meine Hand ganz fest gedrückt und ich gab dir das Versprechen auf sie aufzupassen, egal was passiert und immer für sie da zu sein. Jedes mal wenn ich daran denke, wie auch jetzt, schießen mir die Tränen in die Augen. Ich hoffe so sehr, dass ich alles richtig mache, dass ich dich nicht enttäusche...

Irgendwann hast du Mamas und meine Hand hochgehoben und fest auf das Bett gehauen, mit dem Kopf hast du eine Vorwärtsbewegung gemacht, mich dann entschlossen angesehen, aber die Tränen kullerten über deine Wangen und ich fragte dich, ob du willst, dass es losgeht, ob du bereit bist und du hast genickt. Ich ging los und holte die Ärztin, wie schlimm, ich hole jemanden, der das Sterben meines Vaters einleitet, eigentlich hätte alles in mir schreien sollen - NEIN, aber in dem Moment ging es nur noch um deine Erlösung.

Deine Morphiumdosis wurde erhöht und du bist kurz eingeschlafen, wir waren mittlerweile viele Stunden bei dir und die Schwestern meinten wir sollen ein wenig Luft schnappen, versuchen etwas zu essen und zu trinken, so gingen wir und kamen eine halbe Stunde später wieder, eine Schwester nahm uns in Empfang und sagte du wärst wach und würdest lächeln. Wir gingen rasch in dein Zimmer und du strahltest uns mit deinen blauen Augen an und hast gelächelt, auf eine Art wie ich es zuvor noch nie bei dir gesehen habe, wie ein kleines unschuldiges Kind, unbekümmert, befreit, fast schon glücklich - ein unbeschreiblicher Moment für mich dich so zu sehen, und Mama und ich merkten, du bist jetzt definitiv bereit zu gehen. Wir umarmten dich und setzten uns dann links und rechts von dir neben dein Bett und hielten, streichelten deine Hand. Die Ärztin kam und fragte dich ob du Schmerzen hast, du verneintest, sie fragte ob du Angst hast und auch das hast du verneint. Die Morphiumdosis wurde weiter erhöht und du schliefst ein, aber immer wieder riss dich das kleinste Geräusch aus dem Schlaf, fast schon verängstigt, war dein erster Blick nach links, ob Mama noch da sitzt und dann nach rechts zu mir, dann wurdest du ruhiger und hast deine Augen wieder geschlossen.

Es hat mehrere Stunden gedauert bis du in diesen festen, tiefen Morphiumschlaf gefallen bist, dann wurde deine Beatmungsmaschine abgeschaltet und das war der Moment vor dem ich so wahnsinnig Angst hatte. Egal wie, aber ich wollte dich auf keinen Fall alleine lassen, wollte die ganze Zeit bei dir sein, egal wie schlimm es wird, ohne aber zu wissen was mich erwartet oder ob ich es ertragen kann. Aber es kam ganz anders, du lagst seelenruhig da, kein Aufbäumen, kein Todeskampf. Zusehends fiel dein Blutdruck, irgendwann hast du die Augen noch ein letztes mal geöffnet und an die Decke geschaut, du hast niemanden mehr im Raum wahrgenommen, du sahst zufrieden aus und nur wenige Augenblicke später hast du sie wieder geschlossen. was hast du in dem Moment gesehen?

Nach ungefähr eineinhalb Stunden hast du das letzte mal geatmet und wenige Minuten später gab es die Nullinie... du hattest es endlich geschafft, keine Schmerzen mehr, kein Leiden, keine Ängste, in dem Moment der Nullinie, dem Todeszeitpunkt war ich ganz ruhig, fast schon ausgeglichen, ich war mit mir im Reinen, war unendlich dankbar dafür, dass du so sterben durftest, dass wir dich begleiten konnten...

wir blieben noch ein paar Minuten bei dir und sind dann kurz an die frische Luft, durchatmen und damit die Schwester dich von den ganzen Schläuchen und Infusionen befreien konnte. Danach sind Mama und ich getrennt voeinander zu dir ins Zimmer um uns zu verabschieden, Mama ging als erste, sie war sehr lange bei dir und dann ging ich zu dir. du lagst friedlich und mit offenem Mund da, so wie du auch oft geschlafen hast und ich glaube ich habe diesen Moment, diesen Tag, die 3 Wochen bis dahin nicht mal im Ansatz realisiert. Ich saß neben dir und nahm deine Hand, sie war schon kalt, ich habe deinen Arm gestreichelt, der übersät mit Blutergüssen von den Dutzenden von Infusionen war. Mein Verstand hat mir immer wieder einen Streich gespielt, denn ich hätte schwören können, dass ich mehrfach deinen Brustkorb hab heben und senken sehen können, und für einen kurzen Moment dachte ich immer wieder du lebst noch und ich nahm dich in den Arm, ganz fest, hab dich ganz fest an mich gedrückt und dein Rücken war noch ganz warm, ein Zeichen für Leben, ein schöne Illusion.
Ich sprach mal in Gedanken oder mal ganz leise mit dir, versuchte so viel von meinen Gefühlen zum Ausdruck zu bringen wie nur ging. Dann nahm ich deine Armbanduhr, machte sie mir um mein Handgelenk, gab dir noch einen Kuss auf die Stirn, umarmte dich ein letztes mal, streichelte durch dein Haar und ging...

Die Wochen darauf waren sehr hart, aber Mama und ich sind ein tolles Team, wir haben bis jetzt alles gemeistert und mir ging es den Umständen entsprechend ganz ok, vielleicht auch weil ich für Mama so stark sein musste und keine Schwäche zulassen konnte, aber eben seit zwei drei Wochen hat sich irgendwas geändert...

Wir vermissen dich so sehr!

Ich hab dich lieb Papa

Geändert von father-1947 (31.07.2013 um 10:52 Uhr)
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