Einzelnen Beitrag anzeigen
  #61  
Alt 18.10.2002, 14:16
Gast
 
Beiträge: n/a
Standard Dokumentarfilm über das Tabu Sterben

Hallo, Ilona,
das ungute Gefühl, das Du bei meinem Eintrag hattest, hatte ich, als ich den Aufruf für den Film gelesen habe. Warum ein Dokumentarfilm über das Tabu Sterben? Warum nicht über Menschenleben? Ich finde das Thema Tod und Sterben übrigens gar nicht so tabu. Jeder erlebt es im seinem Leben doch, dass Familienangehörige, Freunde, Bekannte, Arbeitskollegen sterben. Und jeder muss damit umgehen. Ich auch. Ich verschließe meine Augen doch nicht vor dem Tod. Aber der Tod beendet nur mein Leben. Es ist nicht Bestandteil meines Lebens. Ich sehe mein Leben eher wie ein Buch. Der Deckel vorne ist die Geburt, die Seiten dazwischen versuche ich mit Leben zu füllen, und der Tod ist der Deckel hinten. Mal sehr abstrakt ausgedrückt. Ich sehe absolut keinen Sinn darin, um mal bei dem Beispiel zu bleiben, jetzt seit der Diagnose alle noch leeren Seiten mit einem Kreuz zu kennzeichnen. Ich habe geregelt, was ich regeln konnte. Alles weitere ergibt sich doch erst. Das ist aber nur meine ganz persönliche Meinung. Andere sehen es ganz anders. Eben so, wie sie damit umgehen können. Jeder eben auf seine Weise.
Du schreibst, dass die Frau, die jetzt leider verstorben ist, mit niemandem über das Sterben reden konnte. Das ist bitter. Ich bin da in der "glücklicheren" Lage, dass ich weiss, mit wem ich darüber reden kann, wenn mir danach ist. Aber ich finde es absolut fragwürdig, wenn man permanent mit dem Sterben konfrontiert wird, obwohl man es definitiv nicht will. Ich will es nicht. Es macht mich traurig, es zieht mich runter. Ich will lieber an das positive denken. Ich will auch nicht auf diese Krankheit "reduziert" werden. Ich bin ich. Immer noch. Ich habe meine Familie, meinen Beruf, meine Interessen. Ich lebe mein Leben, zwar mit Einschränkungen, aber die lassen sich halt durch die Krankheit nicht vermeiden.
Ich lebe bewußter. Das stimmt schon. Meiner Meinung nach hat jeder, der mit der Diagnose Krebs konfrontiert wird, auch sowas wie ein Nah-Tod-Erlebnis. Nur nicht auf die sonst beschriebene Art mit dem schönen hellen Licht am Ende des Tunnels und Wogen von Glückseligkeit, die einen umhüllen. Da kommt eher der Holzhammer. Ich bin jetzt wahrscheinlich etwas zu krass, aber genau so habe ich es empfunden. Schock pur. Und wenn man einigermaßen wieder denken kann, fängt man an zu überlegen, was wirklich wichtig ist im Leben. Ich habe für mich entschieden, dass es nichts wichtigeres als meine Familie für mich gibt. Alles andere ist zweitrangig. Ich möchte mit meiner Familie einfach die Zeit, die uns noch bleibt, glücklich verbringen. Schöne Erinnerungen haben für Zeiten, die vielleicht nicht mehr so glücklich sind. Daran kann man sich dann festhalten. Klar, gibt es bei uns auch ganz normalen Alltagsstreß, aber that's Life!
Warum manche Freunde nicht mit der Krankheit umgehen können, ist sicher eine schwierige Frage. Krebs wird ja hauptsächlich nur als tödliche Krankheit darstellt. Das haben die Menschen dann auch halt so im Hinterkopf. Krebs = Tod. Wer kann damit schon gut umgehen, zu wissen, dass ein naher Angehöriger, ein Freund vielleicht schon bald sterben wird? Ein Freund hat zu mir gesagt, dass es ihm einfach zu nahe geht. Er kann mit mir nicht übers Sterben sprechen, weil er einfach nicht möchte, dass ich sterbe. Also lassen wir das Thema. Das geht doch auch.
Mit Zitat antworten