Thema: Yes I Can
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Alt 13.11.2009, 12:44
loewi loewi ist offline
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Standard 21. juni 2009

schon seit einigen wochen und monaten (eigentlich seit der krebs erkrankung - ich zögere oft noch es auszuschreiben/auszusprechen) leide ich mehr und mehr unter den dissos.
freitag hatte ich ergotherapie und ich habe sehr viel vertrauen zu meiner ergotherapeutin. doch auch bei ihr habe ich die letzten stunden immer wieder so stark dissoziiert, dass dieser zustand noch mehrere stunden danach andauert... gut aber auch darum geht es mir grad gar nicht.

ich habe mir nach dem letzten mal am freitag ein paar gedanken gemacht dazu, was es ist, wie es sich anfühlt, nicht unbedingt warum ich bei ihr grad die schwierigkeiten habe...sondern einfach über meine dissos allgemein:

Dissoziieren
Neben mir stehen
Alles unwirklich und doch nah…

So fühlt es sich an, möchte meinen Kopf in meine Hände nehmen und dagegen schlagen, damit dieses taube, dumpfe Gefühl bis zum nächsten Mal aufhört. Alle Sinne sind in diesem Moment hochsensibel … besonders meine Haut und meine Nase reagieren auf Nuancen von Veränderung von einer Sekunde auf die andere. Worte erreichen mich wie durch eine Glaskugel… diese taube, dumpfe Gefühl veruracht eine zunehmende Panik in mir und nur mit großer Mühe gelingt es mir, nicht die Fassung zu verlieren.

Außenstehenden ist dieser Zustand kaum zugänglich – deshalb, weil kaum einer wahrnehmen kann, dass ich mich gerade in diesem Moment in einem Ausnahmezustand befinde. Man merkt es mir kaum an… und so weiß derzeit kaum ein Mensch, eigentlich gar keiner, wie es in meiner Seele tatsächlich aussieht. Ich will es einfach mal versuchen, auch wenn es sehr schwer ist.
Dabei greife ich das auf, was mein Körpertherapeut mir damals mit auf den Weg gegeben hat – „Versuche dein Gefühl zu beschreiben – mit Adjektiven“… ich versuche es aber auch mit Substantiven

Also:

Manche Gefühle fühlen sich gerade rund an …

Meine Angst ist rund wie ein Loch und ich kann vom Rand in einen tiefen Abgrund blicken. Dieses Loch zieht mich magisch an. Es ist die Angst, die der Krebs bei mir ausgelöst hat. Es war, als habe jemand einen Schalter umgelegt. Ich kannte Angst ja zur Genüge, aber diese ist mit keinen anderen Ängsten zu vergleichen. Es ist ein tiefes Loch, eine Falle und die Gefahr ist groß, hineinzufallen. Denn man sieht es kaum, es passt sich deinem Alltag an; bin ich unterwegs breitet sich die Angst, breitet sich das Loch auf den Pflastersteinen, im Sand, auf der Wiese aus. Sie kommt mir vor wie ein Spion, lauernd, dass ich darauf hereinfalle. Doch ich bin vorsichtig geworden.

Meine Freude, die ich an manchen Tagen empfinde, ist rund wie ein Trampolin, auf dem ich meine Freudensprünge machen kann.


Die Worte, die ich gerade bis jetzt geschrieben habe, drücken bei Weitem nicht aus, was ich empfinde. Dafür habe ich keine Worte. Es fühlt sich an, als seien sie in einer Kiste fest verschlossen. Bei dem Gedanken oder der Erinnerung, was meine erste bewusste Dissoziation ausgelöst hat, habe ich vielleicht gerade hier die Antwort gefunden – beim Schreiben der Worte, beim Fühlen der Sprachlosigkeit, in der Hilflosigkeit der Sprachlosigkeit… denn an die erste Dissoziation, an die Hilflosigkeit kann ich mich stark erinnern … denn sie entstand in einer Sprachlosigkeit. Damals hatte meine Mutter zur Strafe vier Tage lang kein Wort mit mir geredet… ich habe es nicht verstanden und verstehe es bis heute nicht… kein „Guten Morgen“ kein „Hallo“ kein „Wie war es in der Schule“ und kein „Gute Nacht“ – vier Tage lang. Ich bin hysterisch geworden aus lauter Hilflosigkeit und da habe ich zum ersten Mal dieses Gefühl der Dissos erlebt. Ich hätte mit dem Kopf gegen die Wand schlagen können, bin auf Knien gerutscht und und und… Mama hat nur müde darüber gelacht, nein nicht müde, sie hat mich ausgelacht…warum ist mir egal, aber sie hat gelacht. Nun, mein Gedanke ist, dass mich meine seit Monaten andauernde Sprachlosigkeit in eine ähnliche Hilflosigkeit versetzt wie damals.
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Mitfreude, nicht Mitleid, macht den Freund aus. (Nietzsche)
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