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Alt 10.11.2005, 09:40
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Kerstin63 Kerstin63 ist offline
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Standard AW: Alltags bewältigung

Hallo Ylva und Laura,

ich kenne die Empfindungen die ihr beschreibt auch sehr gut. Nun gehöre ich allerdings inzwischen zu den Hinterbliebenen weil mein Vater am 13.6.04 gestorben ist. Hoffe, es ist trotzdem OK wenn ich Euch hier antworte. Ich stecke da ja im Grunde auch drin - auch wenn ich es z.T. hinter mir habe, jedenfalls das aktuelle Geschehen in dem ihr im Moment drinsteckt. Aber es war genauso, mit der Krankheit und eigentlich noch extremer später mit Sterben und Tod. Gespräch über den Verstorbenen und alles was passiert ist, über Grabpflege usw. sind ungefähr genauso "beliebt" wie die über Krebs und Behandlungen und all die Sorgen und Nöte und das Entsetzen....

Ich war auch schon oft ganz wütend und enttäuscht von meinem Umfeld. Andererseits: ich kann nicht behaupten dass ich es so viel besser gemacht hätte, wenn das einer Bekannten oder Freundin von mir passiert wäre. Ich hatte immer grosse Berührungsängste mit Tod und Krankheit und all dem. Meine Tante (Schwester meiner Mutter) an der ich sehr hing war schon jahrelang krank und starb schliesslich 1/2 Jahr vor meinem Vater. Ich wusste überhaupt nicht wie ich mich verhalten sollte, hab mich schliesslich gedrückt davor am Ende noch zu ihr ins KH zu gehen (hatte innerlich alle möglichen Ausreden, dass ich ihre Söhne nicht stören will usw.). Bei meinem Vater führte dann kein Weg mehr dran vorbei.

Was ich nur sagen will: wenn man selbst richtig drin steckt ist es ganz anders als wenn man nur am Rande berührt wird. Und ich bin nicht mal besonders konfliktscheu oder so... aber dieses Thema weckt in jedem tiefe Ängste und Unsicherheiten, da ist es doch einfacher wegzukucken.... Das ist bestimmt bei den meisten Menschen keine Gleichgültigkeit (ich hatte meine Tante lieb aber die Angst war offenbar grösser, wofür ich mich immer noch schäme, aber so war es nun mal).

Ich erlebe das auch ständig dass das was mich bewegt keiner hören will. Ich habe jetzt das Gefühl, dass sich in mir so eine parallele Gefühlswelt aufgebaut hat. Natürlich ist das Leben jetzt anders als es jemals war, man entdeckt an sich Empfindungen die man nicht kannte, man wird zutiefst erschüttert und zugleich auch stärker, auch wenn man das in dieser Zeit der Hilflosigkeit sicher nicht so empfindet, aber später kann man das merken... Das Leben gewinnt merkwürdigerweise an Tiefe - und die macht es einem oft schwer mit dem Alltag und all den Banalitäten klar zu kommen. Ich habe auch so oft an einem Kaffeetisch gesessen und wusste rein garnix zu sagen weil mich das alles nicht interessierte und ich wusste das was MICH bewegte konnte ich da unmöglich über die Torte hinweg sagen (schade eigentlich...). Zu grausam, zu gruselig....

Aber ich versuche inzwischen das Unvermögen der anderen wohlwollender zu sehen - wie gesagt, ich hätte bzw. hatte es kein Stück besser gemacht. Ich versuche ihnen zugute zu halten, dass es weniger mit Gleichgültigkeit zu tun hat, als mit den eigenen Grenzen die sie nicht überwinden können: Scheu, Ängste, Unsicherheit.... Was bringt einem denn auch der Zorn? Man kann ja niemanden dazu zwingen. Das soll sich jetzt nicht total abgeklärt anhören... ich habe auch schon oft (fies) gedacht "wart's nur ab....." wenn ich mich im Stich gelassen fühlte und so allein....

In gewissem Sinne ist man auch allein damit, ausser man hat das Glück eben doch einige wenige Menschen zu finden die auch offen sind für das ganze Thema. Als mein Vater schwer krank wurde, bekam ich plötzlich Zuwendung und Unterstützung aus ganz unerwarteten Ecken (langjährige Kolleginnen meines Vaters z.B. die mich sehr gestützt haben) während andere die man selbst lange kennt "schlapp gemacht haben".... sogar mein Bruder. Aber so war es eben nun mal. (Wie gesagt, ich war auch nicht besser gewesen).

Ich wollte Euch nur mal versuchen meine Sichtweise zu erklären. Wenn man wütend ist, entfremdet man sich nur noch weiter von "den anderen". Ich finde es inzwischen leichter (für meinen inneren Frieden und für das Miteinander) das zu verzeihen. Es gibt schon Leute denen ich (noch) nicht verzeihen kann was da z.T. passiert ist. Aber so banal es klingt: das andere normale Leben geht eben auch weiter und muss und soll es ja auch. Das innere Erleben wird sicher für immer verändert bleiben. Inzwischen denke ich auch, all das hat mich auch reicher gemacht, innerlich. Ich weiss z.B., wenn das jetzt einer Freundin passieren würde, könnte ich sie auf allen Wegen begleiten. Ich weiss nicht ob ihr versteht was ich meine.

Ich habe inzwischen akzeptiert, dass es Dinge gibt die ich trotz allem Mitteilungsdrang (der manchmal durchbricht je nachdem was mich gerade bewegt) nicht erwarten kann und darf dass jeder das mit mir teilen kann. Ich kann das hier im KK und bei wenigen "echten" Menschen, das muss reichen. Ich versuche, diese neue Gefühlswelt zu akzeptieren, auch dass man sich damit manchmal einsam fühlen kann. Am allermeisten hat mir glaube ich geholfen, dass ich zu der Zeit wegen anderen Problemen in psychotherapeutischer Behandlung war. In meinem Thera hatte ich einen Menschen bei dem ich jederzeit ALLES loswerden konnte (ist ja sein Job - aber er hat es auch gut gemacht), und immer und immer wieder. Kann ich nur empfehlen...vor allem wenn man das Gefühl hat, es allein wirklich nicht mehr zu schaffen.

Ich weiss nicht, ob ihr damit jetzt was anfangen konntet.

Viele Grüsse
Kerstin
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