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Alt 14.06.2002, 04:47
Gast
 
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Standard Sie will das ich gehe!!

Hallo zusammen!

Ich bin mal wieder mitten in der Nacht aufgestanden, weil ich nicht schlafen kann. Mein Vater ist an Krebs erkrankt, und seit ca. 1 Monat folgt im mittlerweile dritten KKH eine Untersuchung der nächsten. Eine endlose Zeit voller Tränen, Zweifel, Ungewissheit, Hoffen, Zweifel... (und bei allem der Gedanke: Wie muss ER sich denn erst fühlen?).

Da habe ich Euch "gefunden", und ich bin so froh. Ich hoffe (Hoffen ist gut), ich kann hier ein wenig Stärke gewinnen (vor allem, um meinem Vater zu helfen) und vielleicht auch andere stärken. Zu wissen, dass man nicht allein ist, hilft ungemein, ich denke, Betroffenen und Angehörigen gleichermaßen.

Vor allem ist es so schön, dass speziell in diesem Forum Betroffene UND Angehörige schreiben. Die eine oder andere Antwort fand ich am Anfang etwas hart, aber dann merkte ich schnell, dass Direktheit das Einzige ist, was wirklich hilft! Am Schlimmsten sind beschwichtigende Sprüche, AUCH für Angehörige ("Wird schon alles werden" oder "Grüß' Deinen Vater schön" - das werde ich sicher NICHT tun, dann wüßte er ja, dass ich mich bei anderen ausheule - oder am allerallerschlimmsten "Oooooooooh Gott, Du AAAAAAAAArme!" - wieso ich?). Ich stelle immer wieder fest, dass auch wiederum Freunde von Angehörigen oft nicht damit umgehen können. Vielleicht konnte ich es selber früher nicht - bis es mich selbst als Angehörige betraf!

Ich finde hier so viel wieder von dem, was ich durchlebe.
Um mich DIREKT herum scheinen nur Menschen zu sein, die die Augen verschließen wollen. Es hat schon wiederholt bösen Ärger in der Familie gegeben, weil ich soviel recherchiere, im Internet surfe und mich mit dem Thema auseinandersetze (statt den Ärzten zu vertrauen, zu warten, warten, warten...). Ich kann aber nicht anders! Ich kann doch nicht da sitzen und nur warten, was mit meinem Vater passiert. Ich möchte ihm so gerne helfen. Meine Verwandtschaft verschließt sich, wie gesagt, sie waren sogar teilweise der Meinung, ich würde mehr schaden als nützen. Ihre größte Angst ist, dass ich meinem Vater von meinen Recherchen berichten könnte. Ich weiß schon überhaupt nicht mehr, ob ich das tun soll oder nicht. Ich möchte ihn ja auch nicht noch zusätzlich verwirren! Andererseits habe ich Angst, etwas zu verpassen, dass es eine Therapiemöglichkeit gibt, von der er nichts weiß (denn ER kann sich ja diese Informationen in der Klinik nicht beschaffen, die aber ansonsten einen recht guten Eindruck macht - die jetzige), irgendeine Spezialklinik, irgendein Zauberwasser, irgendein Buch, dass ihm Glauben schenken könnte, in der Hoffnung, dass Glaube Berge versetzt oder ihm einfach nur hilft!

Außerdem weiß ich nicht, wie ich wirklich für ihn da sein kann, wie er mich braucht.

Ich denke, gerade das Thema Väter, was hier besonders behandelt wird, ist so eine spezielle Sache! Mein Vater und ich hatten eigentlich nie so eine Nähe in der Form, dass wir untergehakt einen Einkaufsbummel gemacht hätten o.ä. In den letzten Jahren haben wir auf einmal angefangen, uns bei Begrüßung und Abschied herzlich zu umarmen, und seit einiger Zeit hat er mir immer einen Kuss auf die Wange gegeben (da wusste er noch nichts von seiner Krankheit). Das ist auch nach wie vor so, jedoch scheinen ihm meine sehr herzlichen Umarmungen jetzt einerseits gut zu tun und andererseits traurig zu machen. Was braucht er wirklich?
Ich weiß nicht, ob ich z.B. seine Hand nehmen soll. Das wäre doch auf einmal komisch, hätte vielleicht auch irgendwo etwas Dramatisches.
Oder hilft es ihm (mir würde es, glaube ich, helfen, soweit ich das als "Nichtbetroffene" einschätzen kann).

Ich möchte am Liebsten immer bei ihm sein... Ich möchte ihn nicht allein lassen mit der Angst. Er ist da im Krankenhaus allein und kann vielleicht auch nachts nicht schlafen so wie ich (schon).

Ich versuche, da zu sein, und all das, was Ihr hier geschrieben habt, ist so: Manchmal will er über seine Krankheit reden, manchmal nicht, manchmal aber auch einfach über ganz normale Dinge. Wenn ICH dann gerade gerne über seine Krankheit reden würde, bin ich zwar, ehrlich gesagt, enttäuscht und bedrückt, aber ich LASSE ihn, und ich habe hier nochmal die Bestärkung bekommen, dass das richtig so ist. Wahrscheinlich ist DAS Hilfe.

Trotzdem würde ich ihm gerne Einiges sagen (man fühlt sich manchmal so gelähmt ihm Sprechen), nämlich, dass er jederzeit reden KANN, wenn er möchte, dass ich nicht mehr nur das kleine Mädchen bin, dass er beschützen und vor allem Bösen fernhalten muss, dass ich es mit ihm zusammen schaffen will, wo er es möchte. Dass ich ihn respektiere, auch über ärztliche Urteile hinaus, sollte es mal zur Debatte stehen. Dass ich SEINE Entscheidung respektiere. Dass ich sofort da bin, wenn er mich braucht, er braucht es nur zu sagen. Dass ich ihm helfe, dass ich ihn hinfahre, wo er will, wenn er es möchte.
Wenn meine Familie das hier lesen würde, wäre was los... das ist auch so schwer, dass zwar in gewisser Weise ein Zusammenhalt in der Familie da ist (abwechselnde Besuche etc.), aber nicht wirklich untereinander. Die Meinungen driften so auseinander, aber keiner geht wirklich auf SEINE Meinung ein (vielleicht ist das der Grund, dass er manchmal einfach schweigt).
Manchmal komme ich mir vor wie eine Randfigur, obwohl ich so mitleide. Die anderen nehmen mich nicht ernst oder verachten meine Einstellung sogar, so dass ich immer ganz vorsichtig sein muss, mit dem, was ich sage, bloß um die Familie nicht in Zwistigkeiten zu bringen, was meinem Vater ja letztlich schaden würde (Einige drehen schon durch, wenn sie das Wort "Mistel" nur hören - ich sage ja auch immer, dass das nur eine Zusatztherapie sein kann, aber die hören gar nicht zu - zum Glück soll er es ab morgen auf eigenen Wunsch bekommen, er glaubt schon lange an solche Dinge).
Auf der anderen Seite ist da mein Vater, der mir soviel Leid wohl nicht antun will. Dann fühle ich mich manchmal wirklich schwach.

Dann gibt es bei uns auch Einiges, was wir vielleicht klären sollten. Er hat vor längerer Zeit mal den Versuch gemacht, da bin ich nicht direkt drauf eingegangen. Sollte ich es jetzt tun? Nachher vermittelt das so den Eindruck, als wenn die Uhr tickt (sorry für die krasse Umschreibung). Vielleicht ist es ja gar nicht so, vielleicht. Die Andeutungen der Ärzte waren bisher alles andere als in irgendeiner Weise hoffnungsschöpfend, aber meinem Vater geht es gut (es wurde nur durch Zufall entdeckt).

Danke fürs Mitlesen und "Gute Nacht"!
Tina S.
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