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Alt 12.06.2002, 20:00
Gast
 
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Standard Sie will das ich gehe!!

Hallo Brigitte,
wenn auch verspätet, danke für die kleine Kopfwäsche. Es gab vor einen paar Wochen ein Gespräch mit meinem Mann, der mir vorgehalten hat, dass mein Verhalten meinem Vater gegenüber sehr egoistisch wäre, ich musste damals sehr schlucken. Wahrscheinlich ist es so, denn nach der Diagnose hat man wieder angefangen nachzudenken und man denkt an Vergangenes und an die Zukunft, aber man schafft es nicht an das momentane zu denken und vor allen Dingen zu akzeptieren. Man denkt immer darüber nach, ist es richtig, dass ich dieses oder jenes tue, man denkt und denkt, aber man ist gelähmt im Handeln. In solchen Situation lerne ich das spontane Handeln meines 6-jährigen Sohnes zu schätzen, er tut es einfach, weil ihm danach ist, er ist ehrlich in seinem Tun und er ist der Einzige der meinem Vater z. Z. zum Lachen bringt, weil sie nichts voneinander erwarten, sondern sich aneinander erfreuen. Wenn ich mit meinem Vater zusammen bin ist immer eine Spannung vorhanden, man ist immer in Wartestellung, wird sich heute was klären, gibt es was Neues. Du hast in einem Deiner Artikel von Lernen in der Schule gesprochen, alles was man lernt, wenn man überhaupt in diesem Bereich was lernt ist halt Theorie, doch die Praxis sieht immer anders aus und man kann sich auf die Krankheit nicht wie auf eine Prüfung vorbereiten. Dir gegenüber ist es einfach seine Gefühle auszudrücken, weil Du anscheinend, Deinen Weg mit den Dingen umzugehen gefunden hast. Es ist sogar so, dass man hofft Denkanstösse von dir zu bekommen auch wenn sie mit Kritik verbunden sind, denn man kann sich entsprechende Gedanken dazu machen und reagieren. Aber es ist halt super schwierig mit jemanden umzugehen, der garnichts von sich preis gibt und dem man emotional so nahe steht. Auch als Angehöriger kann man nicht in seine normale Welt zurück, auch weil man weiss, dass man selbst morgen der nächste mit dieser Diagnose sein kann.
Für mich persönlich muss ich sagen, liegt auch das Problem darin: Mein Schwiegervater ist von heute auf morgen gestorben, man konnte sich zu Lebzeiten eben nicht von ihm verabschieden. Jetzt steht die Diagnose da: ca. noch ein halbes Jahr, also hätte man jetzt die Gelegenheit sich zu verabschieden, aber wie ohne jemanden zu verletzten und nicht immer im Hinterkopf zu haben es könnte das letzte Mal sein und wie wird es enden. Natürlich kann es immer das letzte Mal sein auch ohne diese Diagnose, trotzdem ist es ein Kampf gegen die Zeit.
Am Anfang dieser Diagnose habe ich sehr viel geweint, vielleicht auch aus Selbstmitleid, aber ich hatte ein Ventil, jetzt ist da eine Leere eingekehrt, die aus Hilflosigkeit besteht, aber auch aus Verdrengung, wie wird sich da erst ein Betroffener fühlen??? Man wird es verstehen, aber nicht nachfühlen können.
Ich kann immer wieder nur sagen, es freut mich für alle die, die einen Weg gefunden haben mit dieser Situation umzugehen, mag dieser für andere noch so unverständlich erscheinen, wichtig ist doch dass man die Kraft findet mit seinem "Leben" fertig zu werden und solange man das nicht mit seinem eigenen kann, wie soll man dann die Kraft haben anderen zu helfen. Für mich bist Du Brigitte an dem Punkt angekommen, mit Dir im Reinen zu sein egal wie es ausgeht und daher hast Du die Kraft uns weiterzuhelfen und das ist ein erstrebenswerter Zustand, denn das gibt allem wenigsten einen kleinen Sinn, ich denke auch Dich hat das eine Menge Arbeit gekostet, aber es hat Dich zur "krassen" Brigitte gemacht.
Auch wenn es das letzte war jemand hier zu verletzten, freut mich doch diese Resonanz, auf die Worte "Pflicht eines Betroffenen". Es war vielmehr eine Anklage an diese Krankheit, man meint jemanden zu kennen und so eine Krankheit verändert alles und weder Pflicht noch Recht noch sonstirgendwas hat plötzlich einen Wert, sondern man steht im Nichts und man klammert sich an irgendetwas. Doch der, der sonst einem immer geholfen hat, ist plötzlich der Schwache und oh ja man ist plötzlich selbst gefragt, die Rollen haben sich vertauscht. Für mich ein Lernprozess, mal schaun ob ich diesen auch praktisch umsetzen kann.
Und wie man sieht sind Umarmungen oder Gesten mehr Wert als tausend Worte. Diese Nähe nimmt einem keiner, aber das sind auch halt die Momente, die einem alles noch mehr erschweren, denn man will nicht loslassen, man will festhalten -diesen Moment- (Egoismus?).
Ich wünsche euch allen viele glückliche Stunden, die euch die Kraft geben, die Stärke zu erlangen, die wir alle brauchen. Und ich weiss, dass mein 6 jähriger Sohn es verdient viele glückliche Kindheitserinnerungen zu haben, eine davon wird bestimmt sein "lachender" Opa sein.
Michaela
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