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Alt 17.12.2010, 08:55
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Jessi77 Jessi77 ist offline
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Standard AW: Nicht übers Sterben gesprochen

Guten Morgen liebe Anna,

mein Pa ist im Juli 2009 mit 64 Jahren gestorben. Ein Jahr hat er mit dem Krebs (Lungenkrebs) gekämpft. Er hat alles mit sich selbst aus gemacht. Von Anfang an.

Bei der Diagnose war ich dabei. Noch heute sehe ich ihn vor mir mit Falten auf der Stirn, im Krankenhauszimmer, wie er sich für den Nachhauseweg das Hemd anzieht, über seinen schon dünner werdenden Körper. Wir waren voller Hoffnung und haben nie über das Schlimmste geredet. Ich habe 2 Tage, glaube ich, durch geheult, war nur im Internet um Infos zu sammeln, meine Familie hat erst mal abgewartet! Die Hoffnung lag in einer OP nach einer vorherigen Chemo! Als es nach der Chemo zur OP Voruntersuchung gehen sollte, stellten die Ärzte fest, dass es keine Chance mehr auf OP geben würde. Hier hat mein Pa mich angerufen, damit ich es allen schonend beibringen kann. Ich habe es auch irgendwie gepackt. Ich war leider die, die sich "schlau machte", alle verließen sich da auf mich. Mein Pa wollte aber alles so genau gar nicht wissen, wie so viele Erkrankte! Auch jetzt wollte er nicht mit mir sprechen. Ich habe es immer versucht! Es wäre für mich sehr wichtig gewesen, denn ich beschäftige mich schon sehr mit dem Tod: er gehört einfach dazu und lässt das Leben erst so richtig an Bedeutung gewinnen.

Aber mein Vater wollte nicht - das musste ich akzeptieren.

Dann war er wegen Wasser in der Lunge im Krankenhaus. Wir dachten, ok das Wasser muss weg und gut. Aber nein, dies brach ihn! Zwei Tage vor seinem Tod (er konnte nicht mehr richtig atmen, eine Verklebung schlug fehl, die ganze Lunge nur voll Wasser) fragte er mich überrascht, ob er jetzt schon sterben müsse! Diese Augen werde ich nicht vergessen. Ich sagte ihm nur was ich wußte und fühlte und dass ich immer für ihn da sein werde!Dann ging ich und musste ihn dort so liegen lassen. Er war in seinem Elend lieber allein, Besuch ok aber dort bleiben sollten wir nicht! Ich werde nicht vergessen, wie sein letztes Bild war. So dünn und hilflos und verzweifelt!

Dann ist er, wie uns später berichtet wurde, die ganze Nacht auf dem Flur umher gelaufen (wo die Kraft herkam, keine Ahnung). Er machte "es" wieder mit sich selber aus!!!! Als Ergebnis seiner Überlegungen ließ er sich morgens dann an die Morphiumpumpe legen. Als wir kamen, war er schon in einer anderen Welt. Kein Wort vorher von ihm, kein Anruf, kein Abschied!!!! Wir saßen einfach schweigend an seinem Bett und schauten ihn an! Vielleicht hat er uns gespürt? Am nächsten Morgen ist er dann einfach gegangen. Kein Arzt, keine Schwester hat damit gerechnet! Und ich leide heute noch unter den unausgesprochenen Worten!

Tage später habe ich geträumt, dass ich mit meinem Pa am Tisch sitze und er mich fragt, wie denn jetzt so alles ohne ihn funktioniert und ob meine Ma, die auch noch Parkinson hat, klar kommt. Nach diesem Traum ging es mir etwas besser. Er schien mir so normal!

Sorry, jetzt ist alles aus mir heraus gesprudelt. Aber manchmal ist es so, auch noch nach 1,5 Jahren. Ich denke, dass geht nie vorbei. Vielleicht erst, wenn ich selbst diese Welt verlassen muss.

Ich wünsche dir alle Kraft, Wärme und Liebe für dein weiteres Leben. Wir müssen damit leben! Irgendwie!

Jessi
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