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Alt 21.05.2002, 18:51
Gast
 
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Standard Wie kommt der Tod?

Meine Oma hat Lungenkrebs. Wir gehen jetzt in die 14-te Woche und von Tag zu Tag wird es schlimmer.
Fünf Wochen hat sie zu Hause gelitten. Sie bekam starke Rückenschmerzen -alle dachten an eine Entzündung des Ischias-Nervs oder an einen Bandscheibenvorfall. Die Ärzte wußten einfach nichts mit ihr anzufangen. Sie bekam erst Salben, dann Tabletten, dann Spritzen und schließlich Tröpfchen. Nichts half. Sie konnte nicht mehr essen, liegen, nicht mal mehr am Fernsehen war sie interessiert. Und von den Ärzten muß man sich dann noch dumme Sprüche gefallen lassen. "Stellen Sie sich doch nicht so an!! Da hätten Sie ruhig bis morgen warten können!!" Und das von der Hausärztin, die ganz genau weiß, daß meine Oma nicht wegen jedem kleinen Wehwehchen kommt.
Und diese Ärztin hat ihr noch vor drei Monaten die "vollkommene Gesundheit" attestiert.
Ich glaube das nicht. Soviel zu Vorsorge.
Meine Eltern mussten erst extrem unangenehm werden, um eine Einweisung ins Krankenhaus zu erwirken. Ich weiß nicht, wie krank man sein muß, um von einem Arzt ernstgenommen zu werden.
Drei Wochen hat sie die Hölle im Krankenhaus durchgemacht. Erst der Anschiss, daß man doch noch bis zum Montag hätte warten können, dann haben sie ihr nicht die richtigen Schmerzmittel gegeben. Außerdem sind sie überhaupt nicht damit zurechtgekommen, daß meine Oma von Nichts wissen wollte. Sie hat ihr ganzes Leben betont, daß sie -im schlimmsten Fall- auf keinen Fall die Diagnose hören möchte. Nur den lieben Ärzten und Schwestern passt das nicht. Man hat doch zum Teufel auch das Recht auf Unwissen. Sie hatte irgendwie schon eine Vorahnung, aber genau wissen wollte sie es nicht.
Dann am letzten Tag hat der Arzt sich nicht mehr zurückhalten können. "Sie wissen doch sowieso was es ist. Sie wissen doch genau das es Krebs ist"
Ich hätte ihn umbringen können. Er wußte genau, was er vorhatte und schickt mich noch mit einem Lächeln aus dem Zimmer. Und dann mit einem Lächlen wieder rein. Die sagen Dir einfach knallhart ins Gesicht, was Du zu erwarten hast und dann gehen sie. Ich werde ihr Gesicht in diesem Moment nie wieder vergessen. Und meine Güte, was soll man in einem solchen Moment sagen?
Ich weiß nicht mehr, was ich gesagt habe.
Sie hat einen riesigen Tumor in der Lunge, dann Metastasen in der Leber, den Nebennieren, den Knochen, nur das Hirn ist bisher verschont.
Sie hat einen riesigen Bauch, obwohl sie so gut wie nichts ißt, und bestimmt schon 30 Kilo abgenommen hat. Auch hat sie Beulen am ganzen Körper. Ihre Beine sind fast gelähmt. Da ist wirklich nichts mehr zu machen.
Sie wollten sie zwar zur Chemotherapie schicken,
aber da hat sie sich einfach geweigert.
Sie ist schon seit 5 Wochen wieder Zuhause bei uns.
Am Anfang ging es ihr wirklich sehr gut. Sie hat sich so gefreut wieder in den eigenen vier Wänden zu sein. Aber die Euphorie ist schnell verloschen.
Sie hat schon längst losgelassen. Sterben möchte sie so gut wie jeden Tag. Morgens, wenn wir runterkommen, dann flüstert sie immmer "Pscht, ich will jetzt sterben. Nicht sprechen. Ich sterbe jetzt. Ich gebe mich ganz hin." Das ist schlimm, aber auch süß, wenn sie so entschlossen im Bett liegt, und meint selbst entscheiden zu können, wann sie denn stirbt. Sie versucht es jetzt seit zwei Wochen. Wir sind mittlerweile auch in dem Stadium, daß wir ihr es von ganzem Herzen gönnen würden. Ich kann mir zwar ein Leben ohne sie nicht vorstellen, aber einen Menschen so würdelos dahinzukrebsen zu lassen; das ist nicht richtig.
Jedem Tier gibt man die Gnadenspritze. Ich habe irgendwann aufgehört zu zählen, so oft hat sie schon um Erlösung gebeten.
Und man kann gar nichts tun. Das bricht einem das Herz.
Ich glaube, ich habe jetzt ein bißchen viel und ein bißchen durcheinander erzählt, aber ich muß zugeben, daß das sehr gut tut.
Zuhause ist es nicht so einfach. Da nimmt sich jeder zusammen. Ich mache mir nur Sorgen um meine Mutter, denn die ganze Pflege ist schwer. Spät ins Bett, mindestens zweimal in der Nacht aufstehen um ihr die Tabletten zu geben, morgens um fünf der heiße Tee, dann immer auf Abruf, wenn sie Angstzustände bekommt... und dazu noch einen Mann und vier Kinder. Wir versuchen zu helfen, wo wir nur können, aber ich habe das Gefühl, es ist nie genug.
Denise
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