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Alt 25.08.2010, 09:17
Ilmarinen Ilmarinen ist offline
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Standard AW: Heute beginnt Chemo

Hallo Julie,

letzten Winter hatte ich auch Hodenkrebs. Meine "Bauchmetastase" war 14x12cm groß, dennoch gab es lange Zeit gute Hoffnung, dass sie während der vier Zyklen PEB absterben und sich zurückbilden würde. Tatsächlich hat sie sich auch auf 11x10 cm verkleinert, das ist also immernoch pampelmusengröße ;-) Deswegen musste die RLA im März durchgeführt werden. Die Histologie des entnommenen Metastasenballs zeigte nach der OP, dass es sich nur noch um Nekrose, also tote Zellen handelte. Die Chemo hatte also selbst bei diesem Monster hervorragend gewirkt. Als Folge daraus kann man bei meinen Lungenmetastasen, die sich auch deutlich verkleinert haben, die Wait&See-Methode anwenden, was mir erstmal zwei Lungen-OPs erspart.
Psychisch hat mir sehr geholfen, als mir ein Arzt erklärte, dass der Hodenkrebs erstmal nicht selbst lebensbedrohlich ist, sondern nur die Metastasen, sobald diese durch ihre Größe andere Organe in ihrer Funktion beeinträchtigen. Und dieser Wachstum passiert nicht von heute auf morgen. Da passiert Deinem Mann also nichts und es wird alles überwacht. Jetzt soll erstmal die Chemo in Ruhe wirken.

In der Chemo ist es immer etwas fies, dass man die Erfolge nicht sehen kann, die Nebenwirkungen aber sehr deutlich erlebt. Es werden aber jeden Zyklus Tumormarker gemessen, die einem den Erfolg schon anzeigen werden. Man muss hier leider geduldiger sein, als man möchte. Ich empfehle auch, möglichst viel zu trinken, auch wenn das heißt, dass man nachts häufig unterwegs ist. Und Bewegung sollte man versuchen, auch bei Kraftlosigkeit in den Tag zu integrieren. 20 min am Tag Spazieren o. ä. verzögern den sonst drohenden Muskelschwund enorm. Und immer Appetit nutzen, wenn er da ist, das Kotzen (das dank Pantoprezol oder ähnlichen Magensäureneutralisierern nicht so schrecklich ist, wie man befürchtet) kommt leider eh irgendwann. Haare am besten auch ab, sobald die ersten ausfallen, passiert meistens am 20. Tag, also direkt vorm 2. Zyklus. Das mit den Haaren ist übrigens nach meiner Erfahrung das am wenigsten unangenehmste, denn man spürt es ja in keinster Weise. Trotzdem wird man etwas traurig, denn man "sieht" sich den Krebs ab da an... Ist aber wirklich kein Ding. Kauf Deinem Mann eine schöne Kappe oder eins von den Kopftüchern von Head, dann friert man auch im Herbst nicht so und sieht cool aus ;-)

Die RLA liest sich furchtbar, ist an den ersten Tagen nach der OP auch wirklich nicht schön, ist aber in größeren Kliniken (ich persönlich kann Herrn Heidenreich in der UK Aachen für diese OP sehr empfehlen) mit hohen Fallzahlen im Jahr nichts besonderes. Man braucht danach einige Zeit zum Erholen, z. B. in der Reha, und hat sein Leben lang eine "Reissverschlussnarbe" am Bauch (bei der offenen OP, bei der laparaskopischen weniger), aber die Lebensqualität wird wieder sehr hoch. Ich war heute 6 Monate nach der RLA mittlerweile schon wieder in Hochseilgärten klettern, Kanufahren, bin drei Kilometer geschwommen und auch die Sexualität leidet nicht (da hatte ich schon etwas Sorgen...). Und die Hochzeit mit meiner tollen Freundin ist nächsten Monat.

Das Größte Trauma hat Dein Mann mit der Diagnose und des "Es-Dir-Sagen-müssen" schon hinter sich, deshalb sei für ihn da, nimm ihn in der Arm, wenn er es braucht und nimm Dir selbst die Zeit, mind. einmal in der Woche mit einer Freundin oder Verwandten über Deine Gefühle, Ängste oder Bedürfnisse zu sprechen. Sind auch wichtig, da wird dein Mann aber in den nächsten Wochen keine Kraft für haben, die braucht er selbst. Ich wünsche Euch viel Kraft für die nächsten Wochen. Es ist schon anstrengend, aber es wird ein Heilungsverlauf...
Wenn Du zu einzelnen Teilen der Behandlung Fragen hast oder Tipps brauchst, helf ich gerne.

Gruß
Ilmarinen
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