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Alt 01.10.2009, 23:56
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Blume68 Blume68 ist offline
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Standard AW: Betroffen?! Angehörig?! Herzlich Willkommen!

Liebe Annika,

Mama und ich, wir haben täglich telefoniert, mindestens (!) einmal.
Die SMS´e zähle ich mal gar nicht dazu. Und wir haben uns so oft gesehen, nicht erst nach der Diagnose.

Natürlich fehlt mir dieser Austausch, gnaz doll manchmal. Aber...so blöd das klingen mag...mir war in der Zeit ihrer Erkrankung so klar, dass das wegfallen würde, dass ich es akzeptiert habe. Das Handy hatte ihr meine Schwester mal geschenkt. Ich habe es ihr auf Wunsch zurückgegeben.
Zum letzten Geburtstag habe ich Mama eine SMS geschickt - blöd, was? Wusste ja, sie kann sie, zumindest auf dem Handy, nicht lesen. Aber wer weiß...vielleicht hat sie es beim tippen gesehen.

Ich sehe immer, wenn eine Meldung durchgegangen ist. Diese Meldung ging nicht durch, damals, als ich nachts auf der Terasse saß. Sei´s drum, das hatte ich ja schon vorher gewusst - Handy war aus. (najaaa, hätte ja auch sein können, es wäre an gewesen...)

Ich vermisste manchmal ihren Rat, wenn ich im Garten rumprüddelte, und nicht wusste, welche Blume oder Pflanze eben welche war, welche Pflege sie brauchte...wie oft hatte Mama mir gesagt: "Nun GUCK doch mal, wie schön alles blüht"... - ein flüchtiger Blick, eine Anerkennung - aber ohne wirkliches Nachvollziehenkönnen. Heute kann ich mich soooo viel besser einfühlen... Und das Vermissen hält an. Es ist eine Sache, an die man sich gewöhnt...irgendwie...
man lernt, damit zu leben.

Täglich hatten wir Kontakt, ich konnte ihr ALLES erzählen. Wirklich alles. Heute kann ich das nicht mehr. Es ist mir aber nicht immer in jeder Situation bewusst. Außer letztens - da habe ich einer lieben Freundin so lange alles mögliche in epischer Breite geschildert, dass ich mich später fragte: was muss die gedacht haben??
So konnte ich eben früher mit meiner Mama reden. Über alles.

Es sind eher Momente bei mir, plötzliche Momente, in denen sie mir sehr fehlt.
Und die kommen und gehen, ein Jahr ist da nicht lang, und doch unendlich lang. Was soll ich dir da sagen...?

Mein Alltag fängt auch einiges auf. Kinder - ja, Kinder lenken natürlich nochmal ganz anders ab, und können auch Trost geben. Die habe ich nicht, und das ist ein ganz eigenes Thema der Trauerbearbeitung. Vieles, was mein zukünftiges Leben angeht, sehe ich unter diesem Aspekt - was bleibt von mir, wenn ich mal gehe? Ich habe erlebt, wie schön es sein kann, wenn etwas bleibt. In menschlicher Form.

Manchmal spreche ich mir ihr, so ganz leise, vor mich hin. Aber nur, wenn ich ganz allein bin. Und eher nur so kurze, spontane Sätze. Ich denke mir dann immer: sie liest eh meine Gedanken. Was soll ich da vor mich hinbrabeln?

Alles hat seine Zeit, alles braucht seine Zeit. Manchmal schreibe ich in meinem persönlichen KK-Eckchen. Das ist, wenn es mal unadressiert raus muss.

Das tut dann gut.

Weißt du noch, dass unsere Mütter in ähnlicher Zeit ihre Diagnose bekamen? Oder täuscht mich die Erinnerung? Einiges ist natürlich "verwaschen", weil ich so beschäftigt und belastet war im letzten Jahr. Aber es war die gleiche Diagnose. Deine Mama war jünger als meine, und hat die Zeit mit dir noch anders genießen können. Und du umgekehrt auch. Vielleicht fühlte ich mich deine Mama deshalb anders ganz nah.

Behalte das in deinem Herzen, liebe Annika.
Nur das zählt.

Ich bin froh, zu lesen, dass deine Familie dir Stütze ist. Und die vielen Freunde, die du hast. Die verstehen können, und mit dir weinen. Das ist viel wert.

Ich wünsche dir auch weiterhin viel Kraft.

Drücke dich ganz lieb und fest!
Blümchen
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In uns allen findet sich die Quelle höchster Weisheit -
die Quelle der Liebe.
(Thich Nhat Hanh)

Geändert von Blume68 (02.10.2009 um 00:03 Uhr) Grund: (das eine oder andere fiel mir noch ein.)
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